Dr. Hans-Jürgen Hillmer
Aufbruch zu neuen Ufern dringend erforderlich

Zwar fordern der geografische Wandel, geopolitische Risiken, die Globalisierung und die Digitalisierung auch die Familienunternehmen heraus, die insbesondere unter dem Vertrauens- und Werteverlust der politischen Institutionen leiden. Gleichwohl bleiben Familienunternehmen in Krisen deutlich stabiler und krisenfester, was sich insbesondere an den auseinanderfallenden Insolvenzzahlen für Kapitalgesellschaften und Familiengesellschaften zeigt. Dies erfordert allerdings ein funktionierendes Risikomanagement.
Praxis-Info!
Problemstellung
Soziale Marktwirtschaft und Familienunternehmen haben als deutsche Besonderheiten entscheidend zum Aufstieg Deutschlands zu einer der führenden Wirtschaftsnationen beigetragen. Anlässlich der diesjährigen achten Ausführung des sog. Bodenseeforums begrüßte der Konferenzleiter Prof. Dr. Hans Haarmeyer am 10. und 11.7.2025 in der historisch geprägten Kulisse des Konzils Konstanz zahlreiche Teilnehmer zum Fokusthema „Familienunternehmen in der Transformation – Hidden Champions zwischen Krise, Sanierung und Nachfolge.“
Das 8. Bodenseeforum nahm sich der aktuell enormen Herausforderungen an, stellte die Stärke der Familienunternehmen auch in der Transformation in den Vordergrund und zeigte zugleich Fragen auf, deren Beantwortung für die Zukunftsfähigkeit von enormer Bedeutung sind oder es sehr bald werden.
Problemlösung
1. Zunahme der Insolvenz-Betroffenheit
Disruptive Jahre haben dem Mittelstand zwar in Form von außergewöhnlichem Transformationsdruck zugesetzt. Patrik-Ludwig Hantzsch (Creditreform, Leiter Wirtschaftsforschung; seit 1979 werden Befragungen mittelständischer Unternehmen wie Insolvenz- und Schließungsanalysen durchgeführt) verwies auf vielfältige Einflussfaktoren, die Deutschland ins Hintertreffen geführt und bewirkt haben, dass die Insolvenz- und Ausfallgefahr zugenommen hat. Einblicke in die Studienlage zeigen demnach: Deutschland benötigt einen Neustart, allerdings inkl. Insolvenzen als Wesensmerkmal einer funktionierenden Marktwirtschaft. Wichtiger als deren absolute Zahl (vgl. dazu zuletzt im BC-Newsletter vom 26.6.2025) ist aber die Höhe der Schäden und der bedrohten Arbeitsplätze: Die sog. Insolvenz-Betroffenheit steigt.

Abb. 1: Insolvenz-Betroffenheit gemäß Creditreform-Analysen (Quelle: Vortragsunterlagen Hantzsch, Fol. 12)
Im Verarbeitenden Gewerbe, wie z.B. den Automobilzulieferern, ist die Steigerungsrate der Insolvenzen so hoch wie noch nie zuvor gemessen worden (Metallerzeugung: + 218% in 2024, Kraftwagenherstellung: + 70,6%). Die Stimmungslage ist ausgesprochen schlecht. Die finanzielle Resilienz (Widerstandsfähigkeit) sinkt (Eigenkapitalausstattung gemessen an der Bilanzsumme). Nachfrage und Vergabe stagnieren. Auch Ikonen der deutschen Unternehmenslandschaft wie Volkswagen und Bosch sind in Schwierigkeiten geraten.
Zur Frage, ob die Wirtschaftswende gelingen und was dabei der Wirtschaft helfen kann, wurde wie folgt argumentiert:
- Geld allein reicht nicht!
- Keine Subventionspolitik!
- Bürokratieabbau, Dokumentationspflichten verringern (Beispiel: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – LkSG)!
- „Staatszange“ lockern (Bürgergeld, Mindestlohn, Abwerben für den öffentlichen Dienst)!
- Steuererleichterungen (vereinfachte Abschreibungen für Investitionen)!
- Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ja, nicht in Sozialsysteme!
Bedenklich sei, dass Subventionen steigen, die Körperschaftsteuer aber erst 2028 gesenkt werden soll. Hinsichtlich der Arbeitskosten sei festzustellen, dass die Lohnnebenkosten weiter steigen. Aber nicht nur die Politik ist verantwortlich: Unternehmen haben zu oft von der Substanz gelebt und den Erfolg vergangener Jahre nicht zwecks Entwicklung neuer Geschäftsmodelle infrage gestellt. Das zeigen auch die ausbleibenden Kreditaufnahmen des Mittelstands im 2. Halbjahr 2024. Viel zu oft werde in der Gesellschaft der frühestmögliche Renteneintritt als Ziel ausgegeben. Ein noch gesunder Mittelstand müsse zurück auf den richtigen Pfad.
2. Das zukunftsfähige Familienunternehmen zwischen Unabhängigkeit, Resilienz und Robustheit
Dass die Arbeitsproduktivität in der EU viel zu langsam steigt, ist für Prof. Dr. Werner Gleißner (FutureValue Group AG) ein wichtiger Grund der aktuellen Schwierigkeiten. Seit 2008 ist in Deutschland durchschnittlich kein Zuwachs mehr erzielt worden. Seit 1999 zeigen sich erschreckende Rückgänge der Investitionsquoten und der Kapitalrenditen.
Die Leitfrage für die Entwicklung des von ihm mitentwickelten sog. Q-Score-Modells lautet: „Was ist belegbar wichtig, um Unternehmenserfolg nachhaltig – über Generationen – abzusichern?“
Die Absicherung des Erfolgs ist gemäß den Erklärungen von Gleißner auf drei Ebenen nötig, um mittels einer robusten Strategie eine finanzielle Nachhaltigkeit zu erreichen:
- Kompetenz im Umgang mit Unsicherheit
- Gut vorbereitete unternehmerische Entscheidungen.
Die Studienlage zeigt:
- Qualitätsunternehmen, speziell solche mit hoher finanzieller Nachhaltigkeit, sind überdurchschnittlich erfolgreich.
- Unternehmen mit gutem Ertrag-Risiko-Profil und niedrigem „fundamentalen Risiko“ sind auch an der Börse, insbesondere in Krisen, nachhaltig erfolgreich.
- Resiliente Organisation und robuste Strategie sichern den Erfolg langfristig.
- Familienunternehmen sind aufgrund der Langfristorientierung überdurchschnittlich erfolgreich.
- Gut vorbereitete „unternehmerische Entscheidungen“ (§ 93 AktG) sind auch für mittelständische Familienunternehmen relevant – und helfen, den Erfolg abzusichern.
- Ausgeprägte Fähigkeit im Umgang mit Unsicherheiten (Chancen und Gefahren) erhöhen die Krisenstabilität.
Vor diesem Hintergrund wurde der sog. Q-Score zur Messung der Zukunftsfähigkeit in Verbindung mit der Bedeutung des Risikos entwickelt (die Kunst, die richtigen Risiken einzugehen). Die Abb. 2 zeigt, wie 10 Q-Kriterien für ein Beispielunternehmen gemessen und bewertet werden konnten.

Abb. 2: Messung der Zukunftsfähigkeit (Quelle: Vortragsunterlagen Gleißner, Fol. 11)
Die sog. überraschende Krise ist für Gleißner nur Ausdruck der Mängel im Risikomanagement. Die zu bewältigenden Herausforderungen für die nachhaltige Sicherung des Erfolgs sind weit schwerwiegender als vor 5 bis 10 Jahren. Daher sollten sich (leider) gerade Familienunternehmer folgende Fragen stellen:
- Wie weit muss die Zukunftsfähigkeit (QScore), speziell die internationale Wettbewerbsfähigkeit, verbessert werden, um nachhaltig erfolgreich zu sein – und um einen „schleichenden“ Wertverlust zu vermeiden?
- Welche Exit-Strategie kommt als „Plan B“ in Betracht, wenn ein solcher Wertverlust nicht vermieden werden kann (z.B. Exit, partieller Verkauf – gegebenenfalls nach Maßnahmen zur Optimierung des möglichen Verkaufspreises)?
Zu empfehlen ist nach Gleißner eine fundierte Bestandsaufnahme:
- Welche Eigenschaften benötigen Familienunternehmen, um langfristig erfolgreich zu sein und sich von der Konkurrenz abzuheben?
- Wie können sie mit Wettbewerbern mithalten, die von niedrigeren Personal- und Energiekosten (z.B. in China) oder technologischen Vorsprüngen (z.B. durch Digitalisierung/KI in den USA) profitieren?
- Ist mehr (ökologische) Nachhaltigkeit ein Vorteil oder eine zusätzliche Belastung?
- Reichen bestehende Risiko- und Krisenfrüherkennungssysteme aus, um
(1) das Unternehmen zu schützen und
(2) risikoadäquat zu bewerten sowie
(3) Haftungsrisiken zu reduzieren (§ 1 StaRUG)?
- Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen (partiellen) Verkauf des Unternehmens?
Praxishinweise: - Die Standardversion der Software für die QScore-Analyse steht kostenfrei zur Verfügung: „Strategie Navigator“: https://futurevalue.de/leistungen-produkte/strategienavigator/software-download/.
- Für Risikomanager und Geschäftsleiter gibt es also viel zu tun. Motivierend könnten folgende Zitate erfolgreicher Unternehmer sein, die in einem weiteren Vortrag von Thorsten Klindworth (CEO A.B.S. Global Factoring, Mitglied im Präsidium des BGA des mittelständischen Groß- und Außenhandels) mitgebracht wurden:
– „Ein Unternehmer darf nie stehen bleiben. Er muss stets nach vorne denken – gerade in der Krise“ (Reinhold Würth, Familienunternehmer Würth-Gruppe). – „Krisen haben schon immer Innovationsschübe ausgelöst – der deutsche Mittelstand war dabei nie Zuschauer, sondern Treiber“ (Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt BVMW). – „Die Zukunft gehört denen, die den Wandel gestalten – nicht denen, die auf ihn warten“ (Dieter Schwarz, Lidl-Gründer). - Informationen zu den weiteren Themen des Bodenseeforums finden Interessierte unter www.kongress-bodenseeforum.de.
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Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 8/2025
BC20250812