Dr. Hans-Jürgen Hillmer
Hinweise anlässlich des Insolvenzrechtstags vom 3./4.4.2025 in Berlin

Mit der am 2.4.2025 von den USA eingeleiteten weltweiten Zoll-Offensive dürfte eine Branche noch mehr als bisher schon in Schwierigkeiten geraten: In der Automobilindustrie sind neben den Automobil-Konzernen insbesondere die Zulieferer in einem nun nochmals verschärften Wettbewerbsumfeld tätig und müssen ihre Anstrengungen sofort verstärken.
Praxis-Info!
Problemstellung
Als einen Rückfall in die handelspolitische Steinzeit bezeichnet der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwannecke, die vom US-Präsidenten am 2.4.2025 verkündeten Zoll-Dekrete. Der geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz spricht von einem „Anschlag“ auf die globale Handelsordnung. Aus deutscher Sicht dürfte dieser Zölle-Anschlag besonders im Automotive-Bereich für Unruhe sorgen. Insoweit erhalten die Einsichten, die anlässlich des 22. Deutschen Insolvenzrechtstags im Workshop „Restrukturierung und Insolvenz im Automotivebereich“ am 3.4.2025 diskutiert wurden, eine besondere Aktualität.
Lösung
Einführend beschrieb Dr. Alexander Jaroschinsky (Partner, EY-Parthenon, Stuttgart) das derzeit hoch-volatile Marktumfeld. Bereits seit 2020 sinkt der globale Automobilabsatz trotz China als Wachstumstreiber. Unter den Top 15 der Welt finden sich nur noch drei deutsche Anbieter (VW auf Platz 2, dann BMW und Mercedes Benz mit großem Abstand auf 11 und 12), die auf Marktwachstum gesetzt haben und nun mit zu hohen Kapazitäten und Fixkosten zu kämpfen haben. Neben dem Rentabilitätsproblem besteht ein Kapitalbindungsproblem, insbesondere im Working Capital der Zulieferer. SOP-Verschiebungen (Start of Production) von vielen Monaten führen zu ausbleibenden Zahlungen bei den Zulieferern. Zwar können solche, die auch Geschäftsbeziehungen mit anderen Branchen unterhalten, das auffangen. Andere aber müssen z.B. über M&A-Prozesse schrumpfen (M&A – Mergers & Acquisitions, Merger – Verschmelzung, Zusammenschluss; Acquisitions – Unternehmenserwerbe). Sanierungsansätze wie eine reine Liquiditätsfreisetzung oder Zusatzfinanzierungen reichen zur nachhaltigen Restrukturierung nicht mehr aus.
Kleinserien-Fertigungen werden bei hoher Fixkostenbelastung nicht mehr ausreichend vergütet. Anpassungen der Kostenstruktur müssen auf der Basis der kurz-, mittel- und langfristigen Volumenänderungen getroffen werden. Standortverlagerungen und/oder -schließungen werden oft eine Lösung sein (müssen). Jahrelang konnte aufgrund der hohen Kapazitäten profitiert werden, nun schlägt das Pendel zurück. Jaroschinsky erwartet, dass immer komplexere Sanierungsprobleme zu deutlich mehr außergerichtlichen Sanierungsbemühungen in gerichtlichen Verfahren führen werden.
Ergänzend wiesen die Podiumsteilnehmer unter der Moderation von Marlies Raschke (Rechtsanwältin, NOERR, Dresden) auf folgende Aspekte hin:
- Maximilian Bei der Kellen (Senior Restructuring Legal Counsel, Volvo Group) gab sich optimistisch, dass sich die Branche als sehr widerstandsfähig erwiesen habe. Eine Finanzierungsfunktion der OEMs (Original Equipment Manufacturer; Hersteller der Erstausrüstung wie z.B. VW) für Zulieferer sieht der Volvo-Experte Bei der Kellen nicht.
- Hakan Civelek (Geschäftsführer, IG Metall) betonte, dass nicht nur OEMs die Verantwortung tragen, sondern Zulieferer auch aus eigener Kraft bestehen müssen. Über Jahre wurde seit 2009 gut Geld verdient, ohne den langfristigen Fortbestand dieser Entwicklung ausreichend betrachtet zu haben.
- Martina Rabe (Senior Consultant, Norton Rose Fulbright) hat ebenfalls nicht wahrgenommen, dass sich die Zuliefererbranche ausreichend hinterfragt hat. Nun sei ein Zusammenspiel von OEM, Banken und Eigentümern nötig, um quasi zu retten, was zu retten ist. Rabe beobachtet, dass Banken zunehmend auf die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells achten. Dabei komme es sehr darauf an, wie der OEM zum Zulieferer steht und ob er ihn im Zweifel auch unterstützen wolle.
- Gerüchte, wonach Banken im Automotive-Sektor nicht mehr finanzieren wollten, wies Jaroschinsky entschieden zurück. Eine mannigfaltige Krise habe einen deutlich höheren Finanzierungsbedarf zur Folge. Eine Bank könne nicht als Ersatz für bisherige Vorfinanzierungen der OEMs dienen. Auch die Arbeitnehmerschaft müsse ebenso wie die Gesellschafter einen Beitrag leisten. Umstellungen auf eine 4-Tage-Woche und Forderungen nach 10%-Lohnerhöhungen kämen nicht zur rechten Zeit.
- Civelek mahnte an, den Gewerkschaften nicht wirtschaftliche Unvernunft zu unterstellen. Zu beobachten seien regelmäßig unternehmerische Fehlentscheidungen, sodass man auch Gewerkschaften zugestehen müsse, zumindest „mitzureden“. Gewerkschaften würden bei Restrukturierungen leider oft zu spät eingebunden.
- Bei der Bellen wandte sich gegen Träumereien, die Transformation in die E-Mobilität rückgängig machen zu können: „Der Zug ist längst abgefahren“; dies gelte sogar für die von ihm vertretene Truck-Sparte.
Praxishinweise: - Im Management wird man sich auf die neue Lage einstellen müssen. Besonders die Höhe der neuen US-Zölle gibt auch Experten Rätsel auf. „Wir wissen nicht, wie US-Präsident Donald Trump zu diesen Zahlen kommt“, sagte Rolf Langhammer, Ökonom am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „Wir tappen noch im Dunkeln.“ Trump versuche wohl sog. nichttarifäre Handelshemmnisse über Zolläquivalente zu quantifizieren. Vor allem Gesundheits- und Konsumentenschutzregelungen seien dem US-Präsidenten ein Dorn im Auge, so Langhammer. Als Beispiel nannte er hormonbehandeltes Rindfleisch, das aus den USA nicht in die EU eingeführt werden dürfe. Da klebe Trump dann einfach ein Preisschild dran. Zusätzlich ziehe der US-Präsident womöglich weitere Faktoren hinzu, etwa die Importumsatzsteuer oder Zertifizierungsvorschriften bei der Einfuhr.
- Neben dem Management werden sich die für die Rechnungsstellung und -kontrolle in den Unternehmen verantwortlichen BC-Leser quasi von einem Tag auf den anderen auf Mehrarbeit einrichten müssen. Im Vorteil sind die, die entsprechende Software bereits angepasst haben. Die anderen werden möglicherweise bedauern, dass die im sog. Sondierungspapier angekündigte Steuerfreiheit der Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte bzw. an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, noch nicht gilt (mehr zum Sondierungspapier der künftigen Regierungskoalition im BC-Newsletter vom 27.3.2025). Aber es könnte ja noch beschlossen werden, diese Neuerung bereits ab dem 1.1. oder zumindest ab dem 1.4.2025 anzuwenden. Das wäre dann auch für den Fall vorteilhaft, dass es angesichts der Sprunghaftigkeit der maßgeblichen US-Entscheider letztendlich zu ganz anderen Regelungen kommen könnte, als nun verkündet.
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Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 5/2025
BC20250506