BFH-Urteile vom 8.8.2013, VI R 59/12 und VI R 72/12
Immer wieder streiten Finanzamt und Steuerpflichtige um die richtige Abgrenzung zwischen einer regelmäßigen Arbeitsstätte und einer beruflich veranlassten Auswärtstätigkeit. Der BFH hat sich nun in zwei am 27.11.2013 veröffentlichten Urteilen mit dieser Fragestellung im Zusammenhang mit einer vorübergehenden bzw. dauerhaften Versetzung befasst.
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Problemstellung
Im ersten Fall wurde ein Steuerpflichtiger von seinem Arbeitgeber befristet an eine andere Tätigkeitsstätte versetzt. Im Versetzungsschreiben hieß es, die Versetzung sei nach dem derzeitigen Stand für drei Jahre vorgesehen.
Im zweiten Fall wurde ein Arbeitnehmer dauerhaft an eine andere Tätigkeitsstelle versetzt. Dabei konnte von einer Verweildauer von mindestens vier Jahren an der neuen Arbeitsstätte ausgegangen werden.
Hinweis: In beiden Fällen handelte es sich bei den steuerpflichtigen Personen um Beamte.
Lösung
Der BFH kommt in seinen Urteilen zu folgender Einschätzung:
- Eine vorübergehende Abordnung oder Versetzung begründet keine neue regelmäßige Arbeitsstätte.
- Bei einer absehbaren Verweildauer von mindestens vier Jahren in Verbindung mit einer unbefristeten Versetzung ist eine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte regelmäßige Arbeitsstätte anzunehmen.
- Ausdrücklich unbeantwortet lässt der BFH die Frage, ob eine unbefristete Versetzung stets zur Begründung einer neuen regelmäßigen Arbeitsstätte führt.
Praxishinweise: - Arbeitnehmer sollten auf die steuerlichen Konsequenzen einer Versetzung achten. Wenn nötig, sollte zusammen mit dem Arbeitgeber entschieden werden, ob eine langfristige, aber vorübergehende oder eine dauerhafte Versetzung erfolgen soll (siehe 4.).
- Der BFH erklärte, eine „absehbare Verweildauer von mindestens vier Jahren“ mag bei Beamten möglich sein. In vielen Wirtschaftsbranchen dürfte allerdings die durchschnittliche Unternehmenszugehörigkeit unter dieser Zeitspanne liegen. Insofern mag man es bedauern, dass der BFH diese Frage offengelassen hat, ob eine dauerhafte Versetzung stets zur Begründung einer neuen beruflich veranlassten Arbeitsstätte führt. Beantwortet wurde dies jedoch zwischenzeitlich durch die jüngste Gesetzgebung zum neuen Reisekostenrecht: Dauerhaft ist demnach ein Tätigwerden des Arbeitnehmers über 48 Monate – also vier Jahre – hinaus, wenn der Arbeitgeber eine dementsprechende Zuordnungsentscheidung getroffen hat (§ 9 Abs. 4 Satz 3 EStG i.d.F. für 2014, siehe auch quantitative Kriterien unten).
- Ab den am 1.1.2014 in Kraft tretenden Neuregelungen zum Reisekostenrecht tritt die gesetzliche Definition der ersten Tätigkeitsstätte an die Stelle der regelmäßigen Arbeitsstätte. Ausschlaggebend wird dabei die Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers sein: Selbst wenn z.B. durch Krankheit, politische Unruhen am Tätigkeitsort, Insolvenz des Kunden o. Ä. von der ursprünglichen Festlegung (Prognose) der dauerhaften Zuordnung abgewichen wird, bleibt die zuvor getroffene Prognoseentscheidung für die Vergangenheit bezüglich des Vorliegens der ersten Tätigkeitsstätte maßgebend (siehe auch unten).
- Bei beruflich veranlassten Auswärtstätigkeiten können die Fahrtkosten in Höhe der tatsächlich entstandenen Aufwendungen als Werbungskosten berücksichtigt werden (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 1 EStG); Entsprechendes gilt für einen steuerfreien Reisekostenersatz der Fahrtkosten durch den Arbeitgeber. Des Weiteren dürfen Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen – abhängig von der Dauer der Abwesenheit – angesetzt werden (siehe ausführlicher BMF-Schreiben vom 30.9.2013, IV C 5 – S 2353/13/10004 vom 30.9.2013, IV C 5 – S 2353/13/10004).
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Die Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte erfolgt künftig vorrangig anhand der arbeits- oder dienstrechtlichen Festlegungen durch den Arbeitgeber (dauerhafte Zuordnung zumindest über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus). In Betracht kommen z.B. Regelungen im Arbeitsvertrag, im Tarifvertrag, in Protokollnotizen, dienstrechtliche Verfügungen, Einsatzpläne, Reiserichtlinien, Reisekostenabrechnungen, der Ansatz eines geldwerten Vorteils für die Nutzung eines Firmenwagens für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oder vom Arbeitgeber als Nachweis seiner Zuordnungsentscheidung vorgelegte Organigramme.
Sind solche arbeits- oder dienstrechtlichen Festlegungen nicht vorhanden oder sind die getroffenen Festlegungen nicht eindeutig, werden hilfsweise quantitative Kriterien herangezogen. In diesem Fall ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer
– typischerweise arbeitstäglich oder
– je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit
dauerhaft (= unbefristet, für die gesamte Dauer des Dienstverhältnisses oder über 48 Monate hinaus) tätig werden soll (§ 9 Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. für 2014). Weitere Voraussetzung ist: Der Arbeitnehmer muss an der betrieblichen Einrichtung seine eigentliche berufliche Tätigkeit ausüben. Allein ein regelmäßiges Aufsuchen der betrieblichen Einrichtung, z.B. um ein Kundendienstfahrzeug, Material, Auftragsbestätigungen, Stundenzettel, Krankmeldungen o. Ä. abzuholen oder abzugeben, führt hier noch nicht zu einer Qualifizierung der betrieblichen Einrichtung als erste Tätigkeitsstätte. Entscheidend ist der Umfang der an der Tätigkeitsstätte zu leistenden arbeitsvertraglichen Arbeitszeit:
- mindestens 1/3 der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit oder
- zwei volle Arbeitstage wöchentlich oder arbeitstäglich.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Operational Risk Manager Corporate Finance, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 12/2013
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