Dr. Hans-Jürgen Hillmer
EuGH Urt. v. 14.11.2024, C-613/23, Rs. Herdijk: EuGH zementiert Verantwortlichkeit für Steuerverbindlichkeiten
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Fehler in der Geschäftsführung können auch bei Kapitalgesellschaften eine persönliche Haftung für Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Gesellschaft auslösen.
Praxis-Info!
Problemstellung
Zwar schulden Kapitalgesellschaften (z.B. eine GmbH oder eine AG) als eigenständige juristische Personen grundsätzlich die entstandene Umsatzsteuer selbst. Und da die Haftung hierbei auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt ist (vgl. § 13 Abs. 2 GmbHG, § 1 Abs. 1 S. 2 AktG), droht Vertretungsorganen wie Geschäftsführern oder Vorständen im Regelfall kein Rückgriff des Fiskus für Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Gesellschaft. Allerdings gilt das (gemäß dem oben genannten EuGH-Urteil vom 14.11.2024) nicht, wenn Vertretungsorgane vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzungen in der Geschäftsführung begehen und die Gesellschaft deshalb Steuern nicht bezahlt hat (§ 69 AO). Dann können sie im Wege der Haftung durch das Finanzamt in Anspruch genommen werden.
Lösung
Grob fahrlässiges Verhalten oder gar vorsätzliche Pflichtverstöße schützen also nicht vor der Haftung. Der Umsatzsteuerexperte Grambeck empfiehlt daher sowohl Geschäftsführern als auch Gesellschafter-Geschäftsführern, sich des potenziellen Haftungsrisikos bei Fehlern in der Geschäftsführung immer bewusst zu sein (vgl. Umsatzsteuer Aktuell des Beratungsteams nesemann & grambeck vom 28.1.2025). Um das Haftungsrisiko abschirmen zu können, betont er einmal mehr die Notwendigkeit, durch betriebsinterne Prozesse entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Damit sind das Interne Kontrollsystem (IKS) bzw. das Tax-Compliance-Management-System (TCMS – innerbetriebliches Kontrollsystem zur Erfüllung steuerlicher Pflichten) angesprochen.
Geklagt hatte in dem zum EuGH gelangten Fall ein Geschäftsführer einer niederländischen Betriebskapitalgesellschaft, die ihre Umsatzsteuerverbindlichkeiten nicht begleichen konnte. Dazu war der EuGH angerufen worden, um die Vereinbarkeit des niederländischen Haftungsrechts mit dem EU-Recht prüfen zu lassen. Der EuGH bejahte die Vereinbarkeit wie folgt (vgl. Grambeck, Umsatzsteuer Aktuell 01/25 vom 28.1.2025): „Haftungsvorschriften, die es ermöglichen, bei Pflichtverstößen auch den Geschäftsführer gesamtschuldnerisch mit der Gesellschaft in Haftung zu nehmen, sind grundsätzlich zulässig und sichern die Erhebung des Umsatzsteueraufkommens.“ Wie die EU-Staaten die Haftung im Einzelnen regeln, obliegt dem EuGH zufolge dem innerstaatlichen Verfahrensrecht, wobei der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren ist. Dazu weist der EuGH noch ergänzend darauf hin, dass Haftungsvorschriften erst dann unverhältnismäßig sind, wenn diese eine Haftung vorsehen, welcher sich der/die Steuerpflichtige – unabhängig von Verschulden oder Unverschulden – unter keinen Umständen entziehen kann.
- Zu beachten ist: Nicht nur im niederländischen Recht gibt es vergleichbare Vorschriften wie in Deutschland, sondern auch anderweitig im EU-Ausland; mehr dazu siehe unter https://www.umsatz-steuer-beratung.de/wp-content/uploads/2025/01/25_01_EuGH_Haftung_GF_Stand_22-01.pdf. Der zitierte Autor Grambeck ist spezialisiert auf Fragen der Umsatzsteuer und insoweit z.B. als Ständiger Mitarbeiter des Informationsdienstes SRTour (siehe unter srtourdigital.de) tätig.
- Die vorbeschriebenen Erläuterungen zur Reichweite der EuGH-Entscheidung in der Umsatzsteuerpraxis gelten insbesondere auch bei Gründungen, sodass auf die Gründungsberatung spezialisierte selbstständige Bilanzbuchhalter die Mahnung zur Vorsicht wegen des Haftungsrisikos bei Fehlern in der Geschäftsführung vor allem in den Fällen weitergeben sollten, in denen zukünftige Geschäftsführer bzw. Gesellschafter-Geschäftsführer gezielt eine GmbH u.a. deshalb gründen wollen, um ihr Privatvermögen vor den Geschäfts- und Steuerrisiken zu schützen.
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Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 2/2025
BC20250220