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Reinvestitionsrücklage bei Personengesellschaften mittels Ergänzungsbilanzen

Dr. Martin Weiss

FG Schleswig-Holstein Urt. v. 10.7.2024 – 2 K 14/23 (Revision nicht zugelassen)

 

Ist der Gewinn aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts einer Personengesellschaft in der Gesamthandsbilanz durch Bildung einer Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG neutralisiert worden, so können die Mitunternehmer von ihrem Wahlrecht auf Auflösung oder Übertragung der Rücklage in Ergänzungsbilanzen unterschiedlich Gebrauch machen. Das Wahlrecht wird noch nicht dadurch ausgeübt, dass in einzelnen Konten der Buchführung oder anderen Unterlagen für die Bilanzaufstellung eine Rücklage ausgewiesen wird.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Sinn und Zweck des § 6b EStG ist es nach Ansicht des BFH, „die aufgrund bestimmter Veräußerungsvorgänge freiwerdenden stillen Reserven steuerrechtlich nicht sofort zu erfassen, sondern sie auf ein Reinvestitionsgut zu übertragen“ (BFH Urt. v. 14.3.2012 – IV R 6/09, BFH/NV 2012, 112 Rn. 18). Zu diesem Zweck kann (als Wahlrecht, BFH Urt. v. 29.4.2020 – XI R 39/18, DStR 2020, 1833 Rn. 18) der „Steuerpflichtige“ im Wirtschaftsjahr der Veräußerung von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten bestimmter Wirtschaftsgüter, „die im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder im vorangegangenen Wirtschaftsjahr angeschafft oder hergestellt worden sind, einen Betrag bis zur Höhe des bei der Veräußerung entstandenen Gewinns abziehen“ (§ 6b Abs. 1 S. 1 EStG).

Somit wird die Übertragung stiller Reserven insbesondere bei Grund und Boden und Gebäuden ohne betragsmäßige Begrenzung ermöglicht. Allerdings müssen die veräußerten Wirtschaftsgüter „im Zeitpunkt der Veräußerung mindestens sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört haben“ (§ 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG), was z.B. unionsrechtliche Fragestellungen aufwirft und einen „gewerblichen Grundstückshändler“, dessen Grundstücke Umlaufvermögen darstellen (BFH Urt. v. 18.9.2002 – X R 28/00, DStRE 2003, 201), aus dem Anwendungsbereich der Regelung nimmt.

Gelingt die Übertragung nicht „im Wirtschaftsjahr der Veräußerung“, kann durch Bildung einer den steuerlichen Gewinn mindernden Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG eine Übertragung stiller Reserven in den folgenden vier Wirtschaftsjahren ermöglicht werden. Durch das BilMoG (vom 15.5.2009, BGBl. I 2009, 1102) wurde die Verknüpfung des handelsbilanziellen Ausweises der Rücklage mit der Steuerbilanz aufgegeben. Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2009 beginnen, findet § 6b EStG ausschließlich in der Steuerbilanz Anwendung, sodass der frühere „Sonderposten mit Rücklageanteil“ handelsbilanziell nicht mehr gebildet werden kann (Brandis/Heuermann/Schießl, 173. EL September 2024, EStG § 6b, Rn. 278).

Bei Personengesellschaften ist bei der Rücklage nach § 6b EStG die sog. „mitunternehmerbezogene“ oder „gesellschafterbezogene Betrachtungsweise“ (so BFH Urt. v. 16.12.2021 – IV R 7/19, BStBl. II 2023, 378, Rn. 40) zu beachten: Die Rücklagenbildung ist danach gesellschafterbezogen vorzunehmen (BFH Urt. v. 22.11.2018 – VI R 50/16, BStBl. II 2019, 313, Rn. 22). § 6b EStG erlaubt zudem die Übertragung eines dem Gesellschafter zuzurechnenden Veräußerungsgewinns nicht nur betriebsbezogen, sondern auch auf Wirtschaftsgüter eines Einzel- oder Sonderbetriebsvermögens des Gesellschafters sowie in Höhe des auf den Gesellschafter entfallenden ideellen Anteils auf Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens einer anderen Personengesellschaft, an der der Gesellschafter als Mitunternehmer beteiligt ist (BFH Urt. v. 9.11.2017 – IV R 19/14, BStBl. II 2018, 575, Rn. 27). Der bilanzielle Ausweis der unterschiedlichen Ausübung des Wahlrechts nach § 6b EStG erfolgt dann durch Ergänzungsbilanzen (BFH Urt. v. 18.5.2017 – IV R 36/14, BStBl. II 2017, 905).

Das FG Schleswig-Holstein urteilt nun umfassend zu zahlreichen Auswirkungen dieser mitunternehmerbezogenen Betrachtungsweise bei § 6b EStG, wobei das Streitjahr 2015 nach der Anwendbarkeit des „BilMoG“ liegt: Das Wahlrecht nach § 6b EStG muss in der Steuerbilanz erkennbar ausgeübt werden, nicht nur in „anderen Unterlagen“ des Steuerpflichtigen. Die Mitunternehmerschaft kann in ihrer Gesamthandsbilanz (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 AO) eine Rücklage bilden – die Gesellschafter können dann in der Folge einzeln mittels Ergänzungsbilanzen über die Auflösung oder Übertragung entscheiden. Insbesondere stellt sich dem FG die Frage, wie mit einer über die Jahre schwankenden Beteiligungsquote des einzelnen Mitunternehmers umzugehen ist. Insoweit fordert das FG, dass eine Veränderung der Beteiligungsquote über die Zeit durch Ergänzungsbilanzen nachvollzogen werden muss. Wird die Rücklage nach diesen Grundsätzen zu hoch bemessen, ist der fehlerhaft gebildete Teil der Rücklage „in der ersten noch offenen Bilanz“ aufzulösen (§ 4 Abs. 2 S. 1 EStG; EStH 4.4, „Berichtigung einer Bilanz …“).

 

 

Praxishinweise:

  • Die gesellschafterbezogene Betrachtungsweise des § 6b EStG steht im Gegensatz zu anderen Regelungen des EStG. Bei dem (außerbilanziell zu bildenden) Investitionsabzugsbetrag des § 7g EStG wird durch § 7g Abs. 7 S. 1 EStG gesetzlich angeordnet, „dass an die Stelle des Steuerpflichtigen die Gesellschaft oder die Gemeinschaft tritt“. Somit gilt dort eine „gesellschaftsbezogene“ Betrachtungsweise.
  • Durch § 7g Abs. 7 S. 2, 3 EStG wird zudem die „Durchlässigkeit“ zwischen Gesamthands- und Sonderbetriebsvermögen beim Investitionsabzugsbetrag deutlich beschränkt. Bei § 6b EStG hingegen, bei dem der Einkommensteuerpflichtige selbst zur Bildung der Rücklage berechtigt ist, zeigt die Finanzverwaltung in EStR 6b.2 Abs. 6, 7 die verschiedenen Übertragungsmöglichkeiten auf. Ein Veräußerungsgewinn, der in eine Rücklage nach § 6b EStG eingestellt worden ist, kann in einen anderen Betrieb des Steuerpflichtigen allerdings erst in dem Zeitpunkt überführt werden, in dem der Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Reinvestitionswirtschaftsguts des anderen Betriebs vorgenommen wird (BFH Urt. v. 22.11.2018 – VI R 50/16, BStBl. II 2019, 313, Rn. 26). Bei aller Freude über diese „Freiheitsgrade“ des Steuerpflichtigen muss dabei auch das schwierige Verfahrensrecht solcher Übertragungen beachtet werden (BFH Urt. v. 16.12.2021 – IV R 7/19, DStR 2022, 703).
  • Auch Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nach den Grundsätzen der Einnahmen-Überschussrechnung des § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, können von der Übertragung stiller Reserven profitieren: Hierfür sieht § 6c EStG eine eigenständige Regelung vor.
  • Bei Umwandlungen ist besondere Vorsicht bei der Rücklage nach § 6b EStG geboten. Der Umwandlungssteuererlass (BMF vom 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314) enthält zahlreiche Ausführungen hierzu. Bei einem Fall, den die Steuerpflichtigen „auf Kante genäht“ hatten, hat der BFH eine Übertragung der Rücklage „im letzten Moment“ durch Umwandlung kritisch beurteilt (BFH Urt. v. 29.4.2020 – XI R 39/18, DStR 2020, 1833).

 

Dr. Martin Weiss, Steuerberater, Fachberater für Internationales Steuerrecht, Dipl.-Kfm., Verlag C.H.BECK, München

 

 

BC 1/2025 

BC20250122

 

 

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