FG Rheinland-Pfalz Urt. v. 30.8.2024 – 3 K 1285/22 (Revision zugelassen)
„Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren.“
Mit diesem in der Urteilsbegründung nonchalant zum Ausdruck gebrachten Satz stellt der 3. Senat des Finanzgerichts (FG) Rheinland-Pfalz klar, dass individuelle Bedürfnisse im Steuerrecht nicht immer vollständig befriedigt werden können. Dies gilt insbesondere bei Steuergesetzesänderungen während eines Veranlagungszeitraums.
Praxis-Info!
Problemstellung
Die Klägerin bot ihren Mitarbeitern die Teilnahme an einem Geldkartenmodell an. Dabei erhielten die Mitarbeiter die Möglichkeit, monatlich 44 € auf eine Geldkarte zu laden. Das monatliche Bruttogehalt wurde bei den teilnehmenden Mitarbeitern um diesen Betrag gekürzt. Der Vorteil lag darin, dass die 44 € als steuerfreier Sachbezug behandelt wurden.
Durch das am 21.12.2020 in Kraft getretene „Jahressteuergesetz 2020“ wurde § 8 EStG dahingehend ergänzt, dass steuerfreie Sachbezüge zusätzlich zum vereinbarten Bruttoarbeitslohn gezahlt werden müssen. Bereits ab April 2020 hatte das Finanzamt die im Rahmen des Geldkartenmodells gewandelten 44 € nicht mehr als steuerfreien Sachbezug gewertet.
In ihrer Klage gegen den Lohnsteuerbescheid für April 2020 führt die Klägerin eine zweistufige Argumentation an:
- Zunächst sei festzuhalten, dass die Geldkarte zusätzlich gewährt worden sei, da bei den teilnehmenden Mitarbeitern der Bruttoarbeitslohn vertraglich um den gleichen Betrag gesenkt worden sei. Eine Gehaltsumwandlung liege somit nicht vor; vielmehr sei ein neuer Bruttoarbeitslohn vereinbart worden.
- Außerdem läge eine verbotene Rückwirkung vor, da sich eine Gesetzesänderung im Dezember nicht mehr auf den abgeschlossenen Voranmeldezeitraum des Aprils auswirken darf.
Lösung
Das FG Rheinland-Pfalz widerspricht der Klägerin in beiden Punkten. Ein Sachbezug wird nur dann zusätzlich erbracht, wenn dafür der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt wird. Es muss sich um eine echte Zusatzleistung handeln. Da im Streitfall ein Gehaltsverzicht vorlag, ist hier das Zusätzlichkeitskriterium nicht erfüllt.
Auch bei einer steuerlichen Rückwirkung ist zwischen einer verbotenen echten Rückwirkung und einer zulässigen unechten Rückwirkung zu unterscheiden:
- Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn die Rechtsfolgen mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt der Gesetzesverkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten sollen.
- Eine unechte Rückwirkung besteht demgegenüber, wenn die belastenden Rechtsfolgen einer Gesetzesnorm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits vorher vollendeten Sachverhalt ausgelöst werden.
Eine solche unechte Rückwirkung liegt im Ausgangsfall vor, da die Gesetzesänderung innerhalb des Veranlagungszeitraums 2020 verkündet wurde. Somit ist sie bei der Steuerfestsetzung des gesamten Veranlagungszeitraums zu berücksichtigen, auch wenn – wie hier im April 2020 – Sachverhalte verwirklicht wurden, welche nicht der neuen Rechtslage entsprechen. Der Vertrauensschutz des Einzelnen tritt hier hinter die Interessen der Allgemeinheit zurück. Es ist nicht erkennbar, dass die Gesetzesänderung die Grenzen der Zumutbarkeit übersteigt.
Praxishinweise: Zweckgebundene Gutscheine und Geldkarten sind ein flexibles Mittel der Sachzuwendung im Rahmen der 50 €-Freigrenze (bis 31.12.2021: 44 €, vgl. § 8 Abs. 2 S. 11 Hs. 2 EStG) und gerade in der heutigen digitalen Zeit bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern weit verbreitet. Sie ermöglichen dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer unbürokratisch Waren oder Dienstleistungen zuzuwenden. Zu den Gutscheinen und Geldkarten, die nicht als Zahlungsdienste, sondern als Sachbezug gelten, gehören u.a.: - Closed-Loop-Karten (z.B. aufladbare Geschenkkarten für den Einzelhandel): Sie berechtigen, Waren oder Dienstleistungen vom Aussteller des Gutscheins zu beziehen.
- Controlled-Loop-Karten (z.B. Centergutschein, „City-Cards“): Sie berechtigen, Waren oder Dienstleistungen nicht nur beim Aussteller, sondern bei einem begrenzten Kreis von Akzeptanzstellen zu beziehen. In dieser Form sollen speziell kleine und mittelständische Unternehmen vor Ort gefördert werden.
Ausgenommen hiervon sind Geldkarten (z.B. bestimmte Open-Loop-Karten), die als Geldsurrogate im Rahmen unabhängiger Systeme des unbaren Zahlungsverkehrs eingesetzt werden können. Als Geldleistung zu behandeln sind daher insbesondere bestimmte Geldkarten, - die über eine Barauszahlungsfunktion oder über eine eigene IBAN verfügen,
- die für Überweisungen (z.B. PayPal) oder für den Erwerb von Devisen (z.B. Pfund, US-Dollar, Franken) verwendet sowie als generelles Zahlungsinstrument hinterlegt werden können.
Achtung! Maßgebend ist stets der Gesetzestext. Deshalb sollten Open-Loop-Karten als äußerst kritisch betrachtet werden. Letztlich kommt es nicht darauf an, wie die Geldkarte heißt, sondern ob sie die Kriterien des § 2 Abs. 1 Nr. 10 Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) erfüllt. Dabei ist bei den Buchstaben a und c (in § 2 Abs. 1 Nr. 10 ZAG) nach den Aussagen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu beachten, dass ein Einsatz der Karte nur innerhalb Deutschlands diese Kriterien erfüllt. |
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Risk Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 12/2024
BC20241213