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Hinzuschätzung wegen Buchführungsmängeln

BC-Redaktion

FG Düsseldorf Urt. 11.6.2024 – 11 K 2308/19 U

Wegen nicht ordnungsmäßiger Buchführung ist das Finanzamt befugt, bei Erlösen bzw. Umsätzen eine angemessene Hinzuschätzung vorzunehmen.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Ein Kiosk-Betrieb mit elektronischer Registrierkasse fertigte handschriftliche Kassenberichte an. Ausgehend vom Kassenbestand des Vortags wurde zunächst regelmäßig eine Kontoeinzahlung in gleicher Höhe abgezogen. Anschließend wurden die Geschäftseinnahmen meist mit jeweils einer Summe für bestimmte Warengruppen (z.B. Tabak, Zeitschriften, Süßwaren etc.), teilweise jedoch auch nur mit einer Gesamtsumme notiert. Hiervon wurden die Ausgaben abgezogen und der Kassenbestand zum Geschäftsschluss festgehalten. Wechselgeldbestände wurden in den Kassenberichten nicht erfasst.

Separat wurde eine Lottokasse geführt, die mit der Fa. V. direkt verbunden war. Es wurden hierüber keinerlei Aufzeichnungen angefertigt. Vielmehr erfolgten die Buchungen auf dem Kassenkonto anhand der Abrechnungen der Fa. V. und der entsprechenden Geldeingänge und Geldabgänge auf dem gesondert geführten Bankkonto für die Lottoannahmestelle. Die Entnahme der Provisionen wurde ebenfalls über die Lottokasse durchgeführt. Der exakte Kassenbestand, der der Tageseinnahme des Vortags entspricht, wurde (nach Angaben des Kiosk-Betriebs) auf das Bankkonto des Unternehmers vor Öffnung des Kiosks eingezahlt.

Nach einer steuerlichen Betriebsprüfung stellte das Finanzamt fest, dass die Buchführung des Kiosk-Betriebs nicht ordnungsgemäß sei. Es fehle u.a. an Verfahrensdokumentationen für die Kasse. Auch könne die Vollständigkeit der Geschäftsvorfälle sowie deren Entstehung und Abwicklung nicht überprüft werden. Ohne Vorlage der Z-Bons (= Kassenabschlussbelege oder Tagesendsummenbons) sei nicht mehr nachvollziehbar, wie der Kassensaldo tatsächlich entstanden sei. Aufgrund dessen wurde – neben weiteren Maßnahmen – wegen nicht ordnungsmäßiger Buchführung ein Sicherheitszuschlag in Höhe von 5% der erklärten Umsatzerlöse angesetzt.

 

 

Lösung

Das Finanzamt war wegen vorhandener Mängel in der Buchführung des Kiosk-Betreibers dem Grunde nach zur Schätzung befugt. Auch gegen die Höhe der Hinzuschätzung bestehen keine Bedenken.

Zu schätzen ist (gemäß § 162 Abs. 2 S. 2 AO) insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder Aufzeichnungen der Besteuerung nicht (nach § 158 AO) zugrunde gelegt werden können. Formelle Mängel berechtigen nur zur Schätzung, soweit sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln.

In formeller Hinsicht muss die Buchführung (gemäß § 145 Abs. 1 S. 1 AO) so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann. Die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen (§ 145 Abs. 1 S. 2 AO). Gemäß § 146 Abs. 1 S. 1 AO sind die Buchungen und sonstigen Aufzeichnungen daher vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden (§ 146 Abs. 1 S. 2 AO). Dadurch soll es ermöglicht werden, den Sollbestand nach dem Kassenbuch jederzeit mit dem inventurmäßigen Istbestand der Kasse auf seine Richtigkeit hin überprüfen zu können.

Bei einem bargeldintensiven Betrieb ergeben sich die tatsächlichen Betriebseinnahmen, die für die Besteuerung maßgeblich sind, aus den Kassenaufzeichnungen. Insofern sind besondere Anforderungen an die Kassenaufzeichnungen zu stellen.

Diesen Anforderungen ist der Kiosk-Betrieb nicht gerecht geworden, weshalb eine Schätzungsbefugnis besteht.

Die Buchführung des Kiosk-Betriebs weist gewichtige formelle Mängel auf. Beispiele:

  • Es fehlen die Anleitungen zur Kassenbedienung und -programmierung sowie die Programmierungsprotokolle (als sonstige Organisationsunterlagen aufbewahrungspflichtig).
  • Die lückenlosen Tagesendsummenbons bzw. Z-Bons wurden nicht vorgelegt (als Buchungsbelege aufbewahrungspflichtig).
  • Anstelle handschriftlicher Berichtigungen von Kassenfehlbedienungen und Doppelbuchungen hätten entsprechende Stornobuchungen durchgeführt werden müssen (Stornotaste vorhanden).

    Mangels ordnungsmäßiger Kassenberichte war somit die Kassensturzfähigkeit nicht gegeben.

Bei den Geldeingängen und Geldabgängen der Lottokasse, die allein anhand der Abrechnungen der Fa. V. gebucht wurden, handelt es sich nicht um tägliche Buchungen, sondern um zusammengefasste Vorgänge. Diese geben einen täglichen Kassenbestand nicht wieder.

Die Buchführung des Kiosk-Betriebs weist überdies materielle Mängel auf:

  • Mehrfache Abweichungen zwischen den Abrechnungen (Datenaustausch) und der Erfassung der bar vereinnahmten Beträge laut Z-Bons bzw. Kassenberichten.
  • Die gebuchten Privatentnahmen liegen über der Entnahme der Provisionen aus der Lottokasse. Außer den Provisionen, die dem Kiosk-Betrieb maximal zustehen, gehören die übrigen Gelder der Fa. V.

Der niedrigste Rohgewinnaufschlagsatz der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF für den Einzelhandel von Tabakwaren und Zeitschriften beläuft sich auf 14%.

Angesichts der gewichten Mängel der Kassenbuchführung (einschließlich Kassenaufzeichnungen) ließ sich ein Rohgewinn nicht annähernd ermitteln. Deshalb stellt die vom Finanzamt durchgeführte Schätzung mittels eines Unsicherheitszuschlags in Höhe von 5% zu den erklärten Umsätzen die am besten geeignete Schätzungsmethode dar. Die Rechtsprechung hält Sicherheitszuschläge von bis zu 20% der erklärten Umsätze für vertretbar. Insofern bewegt sich die Höhe des Sicherheitszuschlags im unteren Bereich des von der Rechtsprechung gezogenen Rahmens.

 

 

Praxishinweise:

  • Eine Schätzungsbefugnis des Finanzamts in bestimmten Fällen besteht auch bei (lediglich) formellen Mängeln der Aufzeichnungen über Bareinnahmen (keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen). Voraussetzung: Eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation bzw. eine anderweitige Heilung des Mangels ist nicht möglich.
  • Sowohl bei Verletzung der Aufbewahrungspflicht als auch bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht ist das Finanzamt dem Grunde nach zur (Hinzu-)Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 und 2 AO berechtigt. Das Fehlen einer Verpflichtung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben bedeutet nicht, dass das Finanzamt die erklärten Gewinne oder Verluste stets ungeprüft hinnehmen muss. Der Steuerpflichtige trägt das Risiko, dass das Finanzamt oder das Finanzgericht die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann und deshalb die Voraussetzungen für eine Schätzung gemäß § 162 AO erfüllt sind.
  • Ein ordnungsgemäßer Kassenabschlussbeleg (Z-Bon) muss folgende Mindestangaben ausweisen:
    – Name des Kasseninhabers (der Filiale oder des Unternehmens)
    – Tagesdatum und Uhrzeit des Ausdrucks des Kassenabschlussbelegs
    – Fortlaufende Nummer des Z-Bons, die automatisch vom System vergeben wird
    – Bruttoeinnahmen des Tages pro Umsatzsteuersatz
    – Entnahmen, Preisnachlässe, Retouren und Stornobuchungen
    – Card-Zahlungsverkehr oder EC-Cash
    – Ausdruck des Nullstellungszählers (Tagesspeicher muss beim Kassenabschluss immer auf null gesetzt sein).
    Fehlt eine dieser Angaben auf dem Kassenabschlussbeleg oder wird dieser manuell bearbeitet, ist dieser nicht ordnungsgemäß.
  • Erst nachträglich entstandene Tatsachen führen nicht zu einer Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

 

[Anm. d. Red.] 

 

BC 12/2024 

BC20241211

 

 

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