Dr.-Ing. Dirk Artelt
Gestaltungsempfehlungen für einen Mittelständler aus der Automobilbranche
In dem für Automobilzulieferer aktuell hochbrisanten Marktumfeld sind Innovationsfähigkeit und Performanceorientierung (sprich: Ambidextrie) die letztlich entscheidenden Erfolgsfaktoren. Erforderlich sind die Entwicklung von greifbaren Zukunftsbildern, Führungsstärke, entsprechende Umsetzungs-Roadmaps sowie der Wille des Managements.
Praxis-Info!
Problemstellung
Die Meldungen über Insolvenzgefahren bei Automobilzulieferern häufen sich (so zuletzt am 9.8.2024 seitens des Verbands der Insolvenzverwalter, siehe unter www.vid.de). Tendenziell ist hinsichtlich E-Mobilität, Foodprint etc. in Deutschland eher eine Stagnation bzw. Reduktion der produzierten Pkw zu vermelden. Einige Charakteristika der Problemlage:
- Marktanteil: Deutsche Automobilzulieferer verlieren insbesondere an Asien zunehmend an Weltmarktanteil.
- Mitarbeitende: Während Automobilhersteller nur einen geringen Personalverlust verzeichnen, verlieren Zulieferer 12% der Belegschaft.
- F&E-Ausgaben: Die F&E-Ausgaben der deutschen Automobilzulieferer nehmen im globalen Vergleich ab.
- Patentanmeldungen: Der Anteil deutscher Unternehmen ist im Bereich „Batterie“ deutlich geschrumpft.
Wie sich damit im Rahmen eines Beratungsprojekts umgehen lässt und wie der Turnaround geschafft wurde, zeigt der nachfolgende Werkstattbericht.
Lösung
1. Geänderte Rahmenbedingungen
Ausgangspunkt der Problemlösung war die Gegenüberstellung die geänderten Rahmenbedingungen (vgl. Tabelle), um das Problembewusstsein zu schärfen.
Tabelle: Geänderte Rahmenbedingungen |
| Früher – Optimum | Heute – VUCA [*] |
Führung | Top-down-orientierter, sicherheitsbewusster, teils patriarchischer Führungsstil | Agile Arbeitsweise, motivierender Führungsstil und Verantwortungsverlagerung zu den „Operativen“ |
Sales | Anspruchsvolles, aber kooperatives Miteinander, eher reaktiver KAM-Vertrieb (Key Account Manager) | Wettbewerbssituation erfordert proaktiven Vertrieb und Business Developer („Geschäftsentwickler“) anstatt „Farmer“ |
R&D (Research and Development – F&E) | Klare Produktvorstellungen und Vorgaben der OEMs | Unklare Vorgaben (OEM – Original Equipment Manufacturer; Hersteller der Erstausrüstung) bei neuen Technologien; Zulieferer muss ins Risiko (Vorentwicklung) gehen |
Pricing | OEM dominiert Preisgestaltung, eher konservative Preisverhandlungen (Kleinere/Mittlere) | Mutigeres Auftreten, unrentable Aufträge können nicht mehr akzeptiert werden, Innovationsrendite |
Finanzen | Einfacher Zugang zur Finanzierung aufgrund von nachhaltigem Wachstum und Stabilität | Verschärfte Finanzierungsbedingungen für Zulieferer im bestehenden und New Business |
Operations | Hohe Planungsgüte aufgrund eines stabilen Umfelds, Produktionsanlagen auf Effizienz ausgerichtet | Erhöhte Planungsunsicherheit, Produktionsumbau (Agilität, Reserven, Lagerhaltung etc.) schwerfällig |
Footprint („Fußabdruck“) | Zentrales Know-how (z.B. F&E, Sales, Engineering) in Deutschland, „Erfüllungsgehilfen“ im Ausland | Globale Strukturen, die sich an Kunden, Kosten und wesentlichen Ressourcen ausrichten |
[*] VUCA: Volatility/Volatilität, Uncertainty/Unsicherheit, Complexity/Komplexität, Ambiguity/Mehrdeutigkeit
2. Zielsetzung
Im Rahmen eines Beratungsprojekts lautete die Zielsetzung: Analyse der Innovationsfähigkeit als Indikation für die Zukunftsperspektive, kombiniert mit einer gesamthaften Performanceanalyse (Untersuchung der Leistungsfähigkeit) inklusive Ableitung geeigneter Optimierungsansätze zur nachhaltigen Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Bei der Umsetzung erfolgte eine systematische Betrachtung aus zwei Perspektiven: Berücksichtigung interner Einflussfaktoren und exogener (von außen verursachter) Innovationstreiber. Im Ergebnis erfolgte eine Schärfung der Unternehmensstrategie (inkl. Innovationsstrategie). Diese wird über die Entwicklung von greifbaren Zukunftsbildern und entsprechenden Umsetzungs-Roadmaps kommuniziert. Erforderlich ist es jedoch, immer auch ein besonderes Augenmerk auf das Middle-Management zu werfen, da hier erfahrungsgemäß häufig die größten Widerstände zu finden sind.
3. Instrumentenkasten
Zur Verfügung steht grundsätzlich die folgende Auswahl bewährter Ansätze/Methodiken zur Existenzsicherung und aktiven Zukunftsgestaltung:
(1) Kurzfristig steht zunächst die Identifikation der relevanten Optimierungshebel auf der Basis von Potenzialanalysen, Best Practices & Benchmarks (Working Capital etc.) an. Es geht um die Schaffung von ganzheitlicher Transparenz und die Liquiditätssicherung, hier insbesondere die Optimierung der Geldumschlagsdauer (Cash Conversion Cycle = Dauer der Bindung liquider Mittel, Inside & Outside). Erforderlich sind die Entwicklung und kurzfristige Einleitung eines Maßnahmenprogramms (Existenzsicherung) sowie insbesondere auch die Aktivierung zentraler Führungskräfte in den Verantwortungsbereichen und Maßnahmen (insbesondere im Vertriebsbereich).
(2) Es folgt die mittelfristige strategische Ausrichtung und Weichenstellung durch die frühzeitige Entwicklung eines Zielbilds zur Schaffung von Orientierung gegenüber Investoren, Führungskräften und Mitarbeitenden. Dies schafft die Basis für die zeitnahe Einleitung von strategischen Maßnahmen (Portfoliooptimierung/Mergers & Acquisitions (M&A – Fusionen & Unternehmenserwerbe), Start Diversifikationsprojekte etc.) und die Entwicklung einer leistungsfähigen Organisation & Führungskräfteentwicklung (High Potentials) sowie die konsequente Umsetzung der strategischen Maßnahmen (z.B. Sales Excellence).
(3) Die langfristige Stabilität erfordert den konsequenten Ausbau der New-Business-Aktivitäten, die regelmäßige Überprüfung der Strategiekonformität (Outside-In und Inside-Out) und die konsequente Steigerung der Eigenkapitalquote sowie Reduktion der finanziellen Abhängigkeit.
4. Fazit
Im Beratungsprojekt haben sich die folgenden Erfolgsfaktoren herauskristallisiert:
- Strategie und Ist-Zustand kontinuierlich an neuen Realitäten spiegeln (Szenarien rechnen, Unabhängigkeit vom OEM)
- Harte Analyse der internen Fähigkeiten auf allen Ebenen (ehrliche Rückschau: the good, the bad, the ugly – das Gute, das Schlechte, das Hässliche)
- Tone from the top (präsent sein & motivieren, offene Kommunikation der Situation & nächste Schritte) & Change begleiten
- Execution is King („Ausführung ist König“: Gut gedacht ≠ Gut gemacht)
- Chancen erkennen und Diversifikation wagen (erfordert aber Cash, Mut, Zeit und Führung).
Praxishinweise: Dieser Werkstattbericht beruht auf einem Vortrag anlässlich des Bodenseeforums vom 4./5.7.2024 in Konstanz.
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Dr.-Ing. Dirk Artelt, Managing Partner, Dr. Wieselhuber & Partner GmbH, München
BC 10/2024
BC20241009