FG Niedersachsen Urt. v. 3.4.2024 – 9 K 117/21
Bei der Ermittlung der Werbungskosten für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte ist zunächst von der kürzesten Strecke auszugehen. Davon kann abgewichen werden, wenn es eine „offensichtlich verkehrsgünstigere“ Verbindung gibt. Doch – wann genau ist eine alternative Fahrtstrecke offensichtlich verkehrsgünstiger? Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen stellt hierzu einige Leitsätze auf.
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Problemstellung
Der Kläger machte in seiner Einkommensteuererklärung eine gegenüber der kürzesten Verbindung rund 27,5 km längere Fahrtstrecke geltend. Hierzu führte er an, dass die gewählte Fahrtstrecke nur zwei Ampeln umfasse und weitestgehend auf Autobahn und Landstraßen stattfindet, während die kürzeste Strecke durch eine Innenstadt mit über 17 Ampeln und Straßenbahnvorrang führen würde. Vor Gericht führte er auch eine posttraumatische Belastungsstörung nach einem früheren Autounfall an, welche ihn zur Nutzung der Alternativroute aufgrund eines geringeren Unfallrisikos bewege.
Das Finanzamt erkannte den Ansatz der längeren Alternativroute nicht an.
Aus den vom Kläger eingereichten Google-Maps-Screenshots geht hervor, dass bei normaler Verkehrslage die kürzeste auch die schnellste Verbindung ist. Selbst bei einer Stausituation von 24 Minuten auf der kürzesten Verbindung war diese noch immer die schnellste Verbindung. Lediglich bei einer Staubelastung von 29 Minuten war die Ausweichroute geringfügig schneller.
Lösung
Das FG Niedersachsen folgt der Auffassung des Finanzamts. Offensichtlich verkehrsgünstiger ist eine gewählte Straßenverbindung dann, wenn ihre Vorteilhaftigkeit so auf der Hand liegt, dass sich auch ein unvoreingenommener, verständiger Verkehrsteilnehmer unter den gegebenen Verkehrsverhältnissen für die Benutzung der Strecke entschieden hätte. Dabei ist von einem regelmäßigen Verkehrsaufkommen auszugehen. Dass bei extremen Stauverhältnissen die Umwegstrecke auch mal verkehrsgünstiger und schneller sein kann, reicht als allgemeine Begründung nicht aus.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist im Ausgangsfall nicht zu erkennen, dass ein unvoreingenommener und verständiger Verkehrsteilnehmer eine Alternativroute wählen würde, welche nicht nur rund 27,5 km länger ist, sondern darüber hinaus auch keine Zeitersparnis bringt. Die Anzahl der Ampeln ist dabei kein überzeugendes Einzelargument.
Bezüglich der vom Kläger angeführten posttraumatischen Belastungsstörung wurden vom Kläger keine Indizien für eine geringere Unfallwahrscheinlichkeit auf der Alternativroute erbracht, sodass es sich hier um eine reine Behauptung handelt. Hinzu kommt: Der Kläger gab vor Gericht an, seit einem kürzlich erfolgten Standortwechsel nunmehr die Route durch die Innenstadt zu nutzen. Da die Nutzung der Innenstadtroute zum Prozesszeitpunkt „selbstverständlich“ war, vermochte das Finanzgericht nicht zu erkennen, warum dies in den Vorjahren aus psychischer Sicht nicht zumutbar gewesen wäre.
Das FG Niedersachsen stellt in seinem Urteil klar, dass sich die Bewertung einer offensichtlich verkehrsgünstigeren Strecke aus einer Gesamtbetrachtung von Zeitersparnis, Streckenführung etc. ergibt. Umwege müssen einen klaren Vorteil bringen, welcher auch von einem typologisierten Verkehrsteilnehmer in der Regel in Anspruch genommen werden würde. |
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Risk Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 10/2024
BC20241013