BFH Urt. v. 6.5.2024, III R 14/22
Die Art und Weise, in der der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen geführt hat, ist eine Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Dies gilt im Fall der Einnahmen-Überschussrechnung nicht nur für Aufzeichnungen über den Wareneingang gemäß § 143 AO, sondern ebenso für sonstige Aufzeichnungen und die übrige Belegsammlung.
Praxis-Info!
Problemstellung
Ein Einzelhändler ermittelte seinen Gewinn im Wege der Einnahmen-Überschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG). Er verwendete eine elektronische Kasse, die auf den täglich ausgedruckten Z-Bons (= Kassenabschlussbelege oder Tagesendsummenbons) fünf Warengruppen auswies (Verkauf 19%, Verkauf 7%, xxx, xxx, xxx). Eine weitere Aufgliederung oder Aufzeichnung der Umsätze nach einzelnen Waren und Dienstleistungen wurde nicht vorgenommen. Die Z-Bons korrigierte der Einzelhändler gelegentlich handschriftlich. Außerdem wurden täglich Kassenberichte mit folgendem Aufbau geführt:
+ Erlöse (Soll) laut Bon
- abzüglich EC-Umsatz
- abzüglich Auszahlung
+ zuzüglich Einzahlungen
= Kassenbestand (Soll).
Überwiegend entsprachen die Eintragungen im Kassenbericht den Zahlenwerten auf den Z-Bons. Allerdings konnten die Geschäftsvorfälle, die den handschriftlichen Korrekturen auf den Z-Bons zugrunde lagen, mangels Eigenbelegen nicht nachvollzogen werden.
Das Finanzamt veranlagte den Einzelhändler zunächst erklärungsgemäß und ohne Vorbehalt der Nachprüfung. Eine spätere steuerliche Außenprüfung beanstandete die Aufzeichnungen als formell mangelhaft (vgl. § 22 UStG). Demnach wurden nicht sämtliche Geschäftsvorfälle nach der zeitlichen Reihenfolge und mit ihrem richtigen Inhalt festgehalten. Zudem ist das Kassenbuch in einer Excel-Tabelle erstellt worden, was keinen ausreichenden Schutz gegen nachträgliche Änderungen bietet. Dies führte zu einer Hinzuschätzung mit einem Sicherheitszuschlag in Höhe von 10% der Barerlöse. Daraufhin wurden u.a. die bestandskräftigen Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide der Streitjahre geändert.
Das Finanzgericht (FG) machte u.a. die Erhöhung der Betriebseinnahmen für die Einkommensteuer rückgängig und reduzierte den Sicherheitszuschlag auf 5% der Betriebseinnahmen bzw. Umsätze zum Regelsteuersatz (netto).
Lösung
Der BFH hat das Urteil des FG zum Teil aufgehoben.
Steuerbescheide sind (gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Eine Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide ist demnach nicht nur dann zugelassen, wenn sicher feststehe, dass der Steuerpflichtige Betriebseinnahmen nicht aufgezeichnet habe. Auch die Art und Weise, in der der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen geführt hat, ist eine Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Dies gilt auch für Aufzeichnungen über den Wareneingang (§ 143 AO). Ebenso erstreckt sich dies auf sonstige Aufzeichnungen oder die übrige Belegsammlung (hier: erfasste Bareinnahmen als Kassenaufzeichnungen sowie dazu vorhandene Z-Bons etc.) eines Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt – auch wenn § 4 Abs. 3 EStG keine Verpflichtung zur förmlichen Aufzeichnung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben vorsieht.
- Eine Schätzungsbefugnis des Finanzamts in bestimmten Fällen besteht auch bei (lediglich) formellen Mängeln der Aufzeichnungen über Bareinnahmen (keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen). Voraussetzung: Eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation bzw. eine anderweitige Heilung des Mangels ist nicht möglich.
- Sowohl bei Verletzung der Aufbewahrungspflicht als auch bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht ist das Finanzamt dem Grunde nach zur (Hinzu-)Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 und 2 AO berechtigt. Das Fehlen einer Verpflichtung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben bedeutet nicht, dass das Finanzamt die erklärten Gewinne oder Verluste stets ungeprüft hinnehmen muss. Der Steuerpflichtige trägt das Risiko, dass das Finanzamt oder das Finanzgericht die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann und deshalb die Voraussetzungen für eine Schätzung gemäß § 162 AO erfüllt sind.
- Ein ordnungsgemäßer Kassenabschlussbeleg (Z-Bon) muss folgende Mindestangaben ausweisen:
– Name des Kasseninhabers (der Filiale oder des Unternehmens) – Tagesdatum und Uhrzeit des Ausdrucks des Kassenabschlussbelegs – Fortlaufende Nummer des Z-Bons, die automatisch vom System vergeben wird – Bruttoeinnahmen des Tages pro Umsatzsteuersatz – Entnahmen, Preisnachlässe, Retouren und Stornobuchungen – Card-Zahlungsverkehr oder EC-Cash – Ausdruck des Nullstellungszählers (Tagesspeicher muss beim Kassenabschluss immer auf null gesetzt sein). Fehlt eine dieser Angaben auf dem Kassenabschlussbeleg oder wird dieser manuell bearbeitet, ist dieser nicht ordnungsgemäß. - Erst nachträglich entstandene Tatsachen führen nicht zu einer Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.
|
[Anm. d. Red.]
BC 8/2024
BC20240802