BFH Beschl. v. 27.5.2024 – II B 78/23 (AdV)
Im November 2023 löste das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz ein kleines Beben aus, als es die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Grundsteuerwertfeststellung wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bundesmodells in zwei Fällen gewährte (vgl. auch Wolff/Wunderlich, BC 2024, 125 ff., Heft 3). Der BFH hat nun über die Beschwerde des Finanzamts gegen die AdV entschieden.
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Problemstellung
Im Ausgangsfall ging es um die Bewertung einer baufälligen Immobilie im Rahmen des neuen Bundesmodells. Aus Sicht des Klägers führte das neue Bewertungsverfahren zu einer deutlichen Überwertung, da individuelle wertminderte Umstände nicht bei der Bewertung berücksichtigt wurden. Der Kläger begehrte daher die Aussetzung der Vollziehung der Grundsteuerwertfeststellung. Die Finanzrichter gaben dem Antrag statt. Dabei führten die Richter insbesondere die folgenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bundesmodells an:
- Zweifel an der Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse;
- Zweifel an der Objektivität und Vollständigkeit der Datensätze, welche für die Ermittlung der Bodenrichtwerte verwendet werden;
- Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Bundesmodells: Im Bewertungsrecht besteht das Gebot der realitäts- und relationsgerechten Grundstücksbewertung. Dagegen führt die große Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen im Bundesmodell bei gleichzeitiger Vernachlässigung nahezu aller individuellen Umstände zu einer systematischen Verzerrung.
Lösung
Auch der BFH hält eine AdV für verhältnismäßig und lehnt daher den Einspruch der Finanzbehörde ab. Die Neureglungen zur Grundsteuer bewirken die Neubewertung von über 36 Mio. wirtschaftlichen Einheiten auf einen einheitlichen Hauptfeststellungsstichtag. Zur Bewältigung dieser Aufgabe kann der Gesetzgeber auf Typisierungen und Pauschalierungen setzen. Im Einzelfall ist hinzunehmen, wenn ein auf solchen Typisierungen beruhender Wert vom gemeinen Wert abweicht. Ist die Differenz zu groß, kann es jedoch zu einem Verstoß gegen das Übermaßverbot kommen. Nach bisheriger Rechtsprechung ist dies ab einer Abweichung von 40% der Fall. Um dem zu begegnen, muss die Vorschrift als Billigkeitsmaßnahme den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zulassen.
Im Ausgangsfall konnte der Kläger konkrete Umstände des Einzelfalls vortragen, die den erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts für die gesamte wirtschaftliche Einheit – mit der erforderlichen Abweichung von mehr als 40% zu dem im typisierten Verfahren festgestellten Grundsteuerwert im Hauptsacheverfahren – möglich erscheinen lassen. Die gewährte AdV ist somit zu Recht erfolgt.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 7/2024
BC20240710