Stellungnahme und Orientierungshilfen zur Diskussion im BC-Weblog (siehe hier)
Erfreulicherweise hat mein BC-online-Artikel über die vom Bundeszentralamt für Steuern veröffentlichten Bandbreiten für Länderrisiken (siehe hier) eine recht lebhafte Diskussion über die Berücksichtigung dieser Länderrisikobandbreiten im Jahresabschluss ausgelöst. Die Diskussion dreht sich dabei um zwei verschiedene Gesichtspunkte:
- Zunächst ist fraglich, ob Länderrisiken überhaupt bei der Bewertung der Forderungen im Jahresabschluss berücksichtigt werden sollten.
- Bejaht man dieses, so stellt sich im Weiteren die Frage, ob die vom Bundeszentralamt für Steuern festgelegten und vom Bundesfinanzministerium an diverse Bankenverbände weitergeleiteten Bandbreiten auch von Unternehmen im Nichtfinanzbereich berücksichtigt werden können.
1. Berücksichtigung von Länderrisiken im Jahresabschluss?
Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB ist „vorsichtig zu bewerten“. Aus dieser gesetzlichen Aufforderung leitet sich das sog. Vorsichtsprinzip – ein zentraler Bestandsteil der deutschen GoB (Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung) – ab. Das Vorsichtsprinzip besagt: Alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag eingetreten sind oder deren Eintritt droht, sind bei der Aufstellung des Jahresabschlusses zu berücksichtigen. Wenn nun das Bundeszentralamt für Steuern (bereits im November 2011) eine Liste mit steuerlich zulässigen Bandbreiten für Länderrisiken veröffentlicht, lassen sich hieraus zwei Schlüsse ziehen:
- Diese Risiken sind bereits vor dem Abschlussstichtag ersichtlich. Ihr Eintritt „droht“.
- Selbst das Bundeszentralamt für Steuern erkennt mit der Veröffentlichung der Bandbreiten an, dass diese Länderrisiken eine wie auch immer geartete Wertberichtigung nötig erscheinen lassen.
Zwischenfazit: Ist ein Unternehmen Länderrisiken ausgesetzt, d.h., hat es Forderungen gegenüber Unternehmen, die in Staaten beheimatet sind, deren politische Stabilität Zweifel an einer möglichen Begleichung der Forderung begründet, so sind diese Risiken nach dem Vorsichtsprinzip bei der Aufstellung des Jahresabschlusses zu berücksichtigen. Dies gilt selbstverständlich nur, solange das Länderrisiko nicht auf Dritte übertragen wurde (Exportkreditversicherung; Bürgschaft bzw. harte Patronatserklärung einer in einem „sicheren“ Land beheimateten Muttergesellschaft etc.).
Die Berücksichtigung von Länderrisiken erfolgt dabei mithilfe eines „Zwitters“ von Einzel- und Pauschalwertberichtigung: - Zunächst werden alle Forderungen nach den Staaten des Schuldnersitzes sortiert.
- Anschließend werden je Land die bestehenden Länderrisiken berücksichtigt.
Die selektive Behandlung von Forderungen je nach Land hat den Charakter einer Einzelwertberichtigung. Die pauschale Gleichbehandlung aller Forderungen, die einem bestimmten Staat zugeordnet wurden, hat wiederum Pauschalwertberichtigungscharakter. |
2. Sind die vom Bundeszentralamt für Steuern festgelegten Bandbreiten zu Länderrisiken auch für Nichtfinanzunternehmen steuerlich zulässig?
Nochmals zum „Wesen“ von Länderrisiken: Länderrisiken haben ihren Ursprung in der politischen und wirtschaftlichen Situation eines Staates. Sie betreffen alle natürlichen und juristischen Personen eines Landes in gleichem Maße. Das Länderrisiko ist unabhängig vom Gläubiger oder vom Schuldner. Die Ermittlung des Länderrisikos gestaltet sich schwierig, da viele Faktoren zu berücksichtigen sind (z.B. politische, konjunkturelle, soziodemografische Entwicklungen usw.). Eine gute Unterstützung bietet dabei die vom Bundeszentralamt für Steuern jährlich erstellte Liste mit „angemessenen“ Bandbreiten für Länderrisiken. Diese kann als Anhaltspunkt dienen. Es stellt sich dann die Frage, weshalb ein Steuerpflichtiger das Länderrisiko für einen bestimmten Staat anders beurteilen sollte als die Steuerbehörden.
In der Diskussion im BC-Weblog wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass die Liste der Länderrisiken nie amtlich veröffentlicht wurde und somit keine bindende Wirkung hat. Tatsache ist allerdings: Eine solche Liste wurde amtlicherseits erstellt und ist auf den Internetseiten diverser Bankenverbände einsehbar. Sollte nun ein Finanzamt diese Bandbreiten nicht anerkennen, muss das Finanzamt eine anderweitige Risikoeinschätzung für einen bestimmten Staat haben. Fraglich ist, worauf diese andere Risikoeinschätzung basiert. Im Streitfall würde dann vor einem Finanzgericht darüber gestritten, wer die bessere Dokumentation bezüglich der Ermittlung des Länderrisikos hat.
Hier liegt auch der Knackpunkt – die Dokumentation: Ein Unternehmen, das über kein nennenswertes Risikomanagement verfügt und sich ausschließlich auf die besagte Länderrisikoliste beruft, wird es in einer steuerlichen Betriebsprüfung schwerer haben als ein Unternehmen, welches eine umfangreiche Risikodokumentation erstellt hat und die Liste der Länderrisikobandbreiten lediglich als ein zusätzliches Indiz verwendet. Allerdings verringert sich bei diesen Unternehmen dann häufig das Problem der Forderungsrisiken bei Exporten von selbst – denn im Rahmen des Risikomanagements wurden die Risiken bereits identifiziert und meist entsprechende Vorsorgemaßnahmen ergriffen (Exportkreditversicherungen, Vorkasse etc.).
Unternehmensbeispiele aus Geschäftsberichten: Die BASF AG weist in ihrem Geschäftsbericht 2010 (im Risikobericht) darauf hin, sie setze zur Absicherung von Länderrisiken Ausfuhrkreditversicherungen und Investitionsgarantien ein. Dem Konzernabschluss 2011 der Bayer AG ist zu entnehmen, dass der Konzern Länderrisiken aus Warenlieferungen und Konzernkrediten kontinuierlich beobachtet und methodisch bewertet. Bilfinger und Berger minimieren Länderrisiken dagegen dadurch, dass sie nur in bestimmten Märkten aktiv sind (Geschäftsbericht 2010). Im Konzernabschluss 2011 der Siemens AG wird ausdrücklich darauf hingewiesen, „länderspezifische Komponenten“ würden bei der Wertberichtigung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen berücksichtigt werden. Hier heißt es im Konzernanhang: „Die Wertberichtigung zweifelhafter Forderungen umfasst in erheblichem Maß Einschätzungen und Beurteilungen einzelner Forderungen, die auf der Kreditwürdigkeit des jeweiligen Kunden, den aktuellen Konjunkturentwicklungen und der Analyse historischer Forderungsausfälle auf Portfoliobasis beruhen. Um die länderspezifische Komponente der individuellen Wertberichtigung zu bestimmen, berücksichtigt Siemens auch Länderratings, die zentral auf der Basis der Beurteilungen von externen Ratingagenturen ermittelt werden. Soweit das Unternehmen die Wertberichtigung auf Portfoliobasis aus historischen Ausfallraten ableitet, vermindert ein Rückgang des Forderungsvolumens solche Vorsorgen entsprechend und umgekehrt. Zum 30. September 2011 betrug die gesamte Wertberichtigung auf Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 1.147 (im Vj. 1.161) Mio. €.“
Weitere Erwähnungen von Länderrisiken finden sich u.a. in den Geschäftsberichten der Volkswagen AG, der Heidelberger Druckmaschinen AG und der Daimler AG. |
3. Resümee
Länderrisiken sind unter Berücksichtigung des Vorsichtsprinzips bei der Aufstellung des Jahresabschlusses zu berücksichtigen. Dabei stellen die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen für die meisten Unternehmen die einzige Bilanzposition dar, die einem Länderrisiko ausgesetzt ist. Zunächst lässt sich hierbei das Länderrisiko durch gezielte Risikovermeidungsstrategien, wie Exportkreditversicherungen oder Bürgschaften/Garantien, minimieren bzw. auf Dritte überwälzen.
Dem verbleibenden Residualrisiko sollte durch eine länderspezifische Wertberichtigung Rechnung getragen werden. Zur Festlegung der Höhe der Wertberichtigung muss das Länderrisiko ermittelt werden. Je nach den zugrunde gelegten Annahmen kann es zu einer ganzen Bandbreite möglicher Werte kommen. Die vom Bundeszentralamt für Steuern herausgegebene Liste mit Bandbreiten für Länderrisiken ist hierfür eine gute Orientierungshilfe (Download siehe hier). Zum einen ist ersichtlich, für welche Staaten aus Sicht der Finanzverwaltung Länderrisiken bestehen. Zum anderen bietet sie einen Anhaltspunkt für steuerlich zulässige Werte.
Auch wenn die Finanzämter nicht an diese Werte gebunden sind, werden sie nur schwerlich dagegen vorgehen können, es sei denn, sie kommen bei der Ermittlung des Länderrisikos zu anderen Werten. Da die Ermittlung des Länderrisikos jedoch recht komplex ist, ist fraglich, ob das Finanzamt hier wirklich Widerspruch erheben wird – zumal wenn die Wertberichtigung für das Länderrisiko auf einer umfangreichen Dokumentation beruht. Es gilt auch hier der Grundsatz: Je besser die Dokumentation des Steuerpflichtigen, desto besser die Chancen der Anerkennung durch das Finanzamt.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Operational Risk Manager Corporate Finance, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 3/2012
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