BFH-Urteil vom 6.6.2012, I R 99/10
In der Steuerbilanz einer als Großbetrieb (im Sinne von § 3 BpO 2000) eingestuften Kapitalgesellschaft sind Rückstellungen für die im Zusammenhang mit einer Außenprüfung bestehenden Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO, soweit diese die am jeweiligen Bilanzstichtag bereits abgelaufenen Wirtschaftsjahre (Prüfungsjahre) betreffen, grundsätzlich auch vor Erlass einer Prüfungsanordnung zu bilden.
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Problemstellung
Streitig ist, ab wann Rückstellungen für die Kosten im Zusammenhang mit den bestehenden Mitwirkungspflichten bei einer zukünftigen steuerlichen Betriebsprüfung (z.B. Personalkosten für die Ansprechpartner) zu bilanzieren sind. Im Ausgangsfall ging der Steuerpflichtige davon aus, dass er als Großbetrieb (i.S.d. § 3 BpO 2000) mit hoher Wahrscheinlichkeit einer steuerlichen Außenprüfung unterliegen wird. Insofern bildete er eine entsprechende Rückstellung bereits vor Erhalt der Betriebsprüfungsanordnung. Nach Auffassung des Finanzamts sei jedoch die Rückstellung erst nach Erlass der Prüfungsanordnung zulässig.
Lösung
In seinem am 5.9.2012 veröffentlichten Urteil schließt sich der BFH der Auffassung des erstinstanzlichen Finanzgerichts Baden-Württemberg an, wonach Rückstellungen für die im Zusammenhang mit einer Außenprüfung bestehenden Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO grundsätzlich auch vor Erlass einer Prüfungsanordnung zu bilden sind. In seiner Urteilsbegründung verweist der BFH zunächst auf die allgemeinen Kriterien für die Bildung einer Rückstellung für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen (z.B. muss sie mit Zwangsmitteln durchsetzbar sein). In der konkreten Begründung geht der BFH der Frage nach, ob am Bilanzstichtag mehr Gründe für als gegen das Entstehen der Verpflichtung sprechen. Zur Klärung dieser Frage zieht der BFH u.a. die Monatsberichte des Bundesfinanzministeriums (BMF) heran. Im Monatsbericht für Juni 2008 stellt das BMF dar, die Prüfungsdichte – also die Wahrscheinlichkeit, dass ein Veranlagungsjahr geprüft wird – liege bei Großbetrieben bei 80,4%. Insofern war das Entstehen der Verpflichtung aus Sicht des Steuerpflichtigen zu Recht wahrscheinlich.
Ferner ist die Verpflichtung zum Bilanzstichtag auch rechtlich verursacht worden, da sich die Rückstellung auf am Bilanzstichtag abgelaufene Wirtschaftsjahre bezog.
Somit kann ein Großbetrieb Rückstellungen für Mitwirkungspflichten, die im Zusammenhang mit einer steuerlichen Außenprüfung (gemäß § 200 AO) bestehen, bereits vor Erlass einer Prüfungsanordnung bilden.
Für die Bildung der Rückstellung kommen u.a. Raumkosten für den steuerlichen Betriebsprüfer sowie Personal- und Sachkosten für alle in die Prüfung involvierten Mitarbeiter und Berater in Betracht. Seit Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) sind hierbei (gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB) künftige Preis- und Kostensteigerungen (vor allem ist hier an Lohn- und Gehaltssteigerungen zu denken) zu berücksichtigen. Die Höhe der Rückstellung hängt somit von den Preis- und Kostenverhältnissen im Zeitpunkt des tatsächlichen Anfalls ab. In der Steuerbilanz ist jedoch die Berücksichtigung künftiger Preis- und Kostensteigerungen bei der Rückstellungsbewertung unzulässig; es sind die Wertverhältnisse am Bilanzstichtag maßgebend (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. f EStG). Die Rückstellung ist in der Regel abzuzinsen (Laufzeit mehr als ein Jahr). Die letzte Statistik zur Prüfungsdichte war im BMF-Monatsbericht September 2011 enthalten. Hiernach lag die Prüfungswahrscheinlichkeit für Großbetriebe im Jahr 2010 bei 70,5% (20,7% für Mittelbetriebe und 10,2% für Kleinbetriebe). Entscheidend für die Bildung der Rückstellung ist, dass die Prüfungsdichte über der 50%-Schwelle bleibt. Nach Auffassung von Werner (Heft 9, BC 2008, S. 225 ff.) dürfte eine Rückstellung für Verwaltungskosten künftiger steuerlicher Betriebsprüfungen spätestens dann zulässig sein, wenn das Unternehmen ernsthaft mit einer Außenprüfung und den damit verbundenen Mitwirkungspflichten zu rechnen hat. Dies ist dann der Fall, wenn seine Steuerveranlagungen (gemäß § 164 Abs. 1 AO) unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt werden. Hiervon machen die Finanzbehörden vor allem dann Gebrauch, wenn sie beabsichtigen, bei dem Steuerpflichtigen in absehbarer Zeit (in ca. 3 Jahren) eine steuerliche Außenprüfung anzuordnen, um in deren Rahmen „vor Ort“ die Richtigkeit der Steuererklärungen zu überprüfen. Gegebenenfalls können auch für die Aufwendungen für den Datenzugriff auf die digitalisierten Finanzbuchhaltungskonten, für den entsprechende Hard- und Software sowie Auskunftspersonen zur Verfügung gestellt werden, Rückstellungen gebildet werden. Kritisch zur Wirtschaftlichkeit eines solchen Rückstellungsvorhabens äußern sich Zwirner/Künkele in Heft 3, BC 2009, S. 113 ff.
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Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Operational Risk Manager Corporate Finance, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 10/2012
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