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Rückstellung für Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft oder Grundschuld

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

BFH-Beschluss vom 12.6.2013, X B 191/12

 

Fehlt es an Erläuterungen des Steuerpflichtigen zur Bildung von Rückstellungen für die Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft, ist ihm Gelegenheit zu geben, die Gründe, die zu dem Bilanzansatz geführt haben, nachzureichen.

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Das zum BFH gelangte Verfahren richtete sich gegen einen Alleingesellschafter A einer GmbH (der zugleich als einziger Geschäftsführer fungierte). Im Rahmen einer Betriebsaufspaltung bezog A aus der Verpachtung des Anlagevermögens an die GmbH Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die Ergebnisse der GmbH waren seit 2002 negativ. In 2004 verbürgte sich A gegenüber einer Bank für Verbindlichkeiten der GmbH bis zu einem Betrag von 750.000 €. Am 30.3.2005 kündigte die Bank die Geschäftsverbindung zur GmbH und stellte die Darlehen fällig. Sie nahm A in 2005 aus der Bürgschaft in Anspruch, was im Rahmen eines mit der Bank erzielten Vergleichs zur Zahlung von insgesamt 260.000 € an die Bank führte.

In seinen Bilanzen für die Streitjahre hatte A Rückstellungen für die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft gebildet, und zwar in Höhe von 75.000 € (2002), 25.000 € (2003), 25.000 € (2004) und 95.000 € (2005), also insgesamt 220.000 €. Ferner hatte A zum 31.12.2003 die bisher mit dem Nennwert (51.129,70 €) aktivierte Beteiligung an der GmbH auf den Erinnerungswert von 1 € abgeschrieben.

Nach einer steuerlichen Betriebsprüfung machte das Finanzamt (FA) die Teilwertabschreibung sowie die Zuführungen zur Rückstellung für die Jahre 2002 bis 2004 rückgängig. Demgegenüber beließ es im Jahr 2005 den vom Kläger ausgewiesenen Rückstellungsbetrag von 220.000 € unverändert in der Bilanz, was für dieses Jahr zu einer entsprechenden Gewinnminderung führte.

Das Finanzgericht (FG) folgte der Auffassung der Finanzverwaltung mit der Begründung, A habe bis zum 31.12.2004 nicht ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme als Bürge rechnen müssen. Die Bank habe die seit 1998 gewährten Darlehen auch noch in den Jahren 2003 und 2005 verlängert und erweitert. Schließlich sei die Bank davon ausgegangen, die GmbH werde ihre Verbindlichkeiten bedienen. Auch die Teilwertabschreibung auf die GmbH-Anteile sei zu versagen gewesen. Der Kläger habe nicht dargelegt, dass der Teilwert voraussichtlich dauernd gemindert gewesen sei. Zudem könne aufgrund der vom Kläger eingegangenen Bürgschaften im wirtschaftlichen Sinne nicht von einer Verschuldung der GmbH gesprochen werden. Der BFH kam hingegen zu einer ganz anderen Entscheidung.

 

 

Lösung

In seltener Klarheit wandte sich der BFH gegen die vom FG vorgetragenen Auffassungen und hielt den Richtern der Vorinstanz Verfahrensmängel (1.) und in materieller Hinsicht Missverständnisse bei der Auslegung der BFH-Rechtsprechung (2.) vor.

 

 

1. Verfahrensmängel des FG

Ausschlaggebend ist für den BFH eine Verletzung von Hinweispflichten des FG, die es (gemäß § 76 Abs. 2 FGO) zu erfüllen hat: Zu dieser Verletzung ist es gekommen, indem das FG seine Gesamtwürdigung zur (Nicht-)Berechtigung der Rückstellungsbildung auch darauf gestützt hat, dass ihm nicht bekannt sei, wie A die Rückstellung zu den einzelnen Bilanzstichtagen ermittelt und weshalb er die Rückstellung nicht in Höhe der vollen Bürgschaftsverpflichtung von 750.000 € gebildet habe, ohne A zuvor zur Erläuterung dieser Punkte aufzufordern. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verlange – so der BFH im Rahmen seiner näheren Begründung – zwar grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist; es gebe auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters. Es komme jedoch im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte.

Noch deutlicher wird der BFH dann mit der Aussage, der Vorsitzende Richter habe u.a. darauf hinzuwirken, dass ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt werden. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Beteiligte zuvor bereits konkrete Angaben gemacht hatte, diese dem Gericht aber nicht ausreichen (BFH-Beschluss vom 26.2.2004, IX B 125/03, BFH/NV 2004, 973).

Weshalb das FG den Umstand, dass der Kläger sein Risiko der Inanspruchnahme im Zeitablauf als zunehmend gewichtig bewertet hat, zulasten des Klägers herangezogen hat, vermochte der BFH nicht nachzuvollziehen. Hierzu führt der BFH in höchster Klarheit aus: „Wenn das FG aber diese Rechtsauffassung vertreten wollte, hätte es den Kläger zwingend zur Erläuterung der Höhe der von ihm gebildeten Bilanzansätze auffordern müssen … der Umstand, dass das FG die im Zeitablauf vorgenommenen Aufstockungen der Rückstellung zu Lasten des Klägers werten würde, war so fernliegend, dass auch ein kundiger Prozessbeteiligter nicht damit rechnen musste.“

 

 

2. Klarstellungen zur Rückstellungsbildung wegen Inanspruchnahme aus Bürgschaften

Ergänzend nimmt der BFH die Gelegenheit wahr, für die Entscheidung im Rahmen der Zurückverweisung an das FG auf materielle Aspekte der Bildung entsprechender Rückstellungen einzugehen. Dies betrifft

  • neben den aus der Eröffnung eines neuen Kontokorrentkontos Anfang 2005 zu ziehenden problematischen Schlussfolgerungen (fragwürdiges Kennzeichen, dass die Bank in diesem Fall damit rechnet, die GmbH selbst werde die Verbindlichkeiten erfüllen) und
  • neben dem Hinweis darauf, dass für das Risiko der Inanspruchnahme aus einer Grundschuld nach denselben Grundsätzen eine Rückstellung gebildet werden kann wie für das Risiko der Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft,
  • insbesondere den Umstand, dass A vor seiner tatsächlichen Inanspruchnahme aus der Bürgschaft noch keine Rückgriffsforderung gegen die GmbH aktiviert hatte.

Letzteres dürfe nicht zu seinen Lasten gewertet werden. Ein solcher Rückgriffsanspruch entstehe vielmehr erst dann, wenn der Bürge tatsächlich geleistet hat. Soweit das FG für seine Auffassung das BFH-Urteil vom 15.10.1998 (IV R 8/98, BStBl. II 1999, 333) anführe, missverstehe es diese Entscheidung: „Mit den dortigen Ausführungen ist ersichtlich gemeint, dass eine Rückstellungsbildung nur insoweit in Betracht kommt, als der künftig zu aktivierende Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner sogleich wegen einer Wertminderung abzuschreiben wäre.“

 

 

Praxishinweise:

  • Führt – wie im Streitfall – die Beschwerde vor dem FG in einem Streitjahr zu einer Erhöhung des Gewinns, steht das der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen. Ein Steuerpflichtiger kann auch durch eine zu niedrige Steuerfestsetzung in seinen Rechten verletzt sein, wenn die Festsetzung einer zu niedrigen Steuer Folge eines Bilanzansatzes ist, der sich in vorhergehenden Veranlagungszeiträumen zu seinen Ungunsten ausgewirkt hat (so entschieden vom BFH mit Urteil vom 24.10.2006, I R 2/06, BStBl. II 2007, 469).
  • Zur Berechtigung des A, eine Teilwertabschreibung auf seine GmbH-Beteiligung vorzunehmen, weist der Senat auf die frühere Rechtsprechung hin. Danach ist in Fällen der Betriebsaufspaltung eine Gesamtbetrachtung der Ertragsaussichten des Besitzunternehmens und der Betriebs-Kapitalgesellschaft vorzunehmen.
  • Vor dem Hintergrund mancher anderer richterlicher Entscheidungen (wie z.B. jüngst im Fall Gustl Mollath) ist es sehr zu begrüßen, dass sich der BFH mit dieser Entscheidung für den Bereich des Steuerrechts so eindeutig für die Pflicht zur Anhörung der Sichtweise der Steuerpflichtigen einsetzt und somit selbstherrlich anmutenden richterlichen Einschätzungen über die Beweggründe für den Ansatz und die Höhe von Bilanzposten klare Grenzen setzt.
  • Und auch der sog. sachkundige Steuerpflichtige, von dem ja schon immer ein höheres Maß an Mitwirkungs- und Verständnispflichten erwartet wird, darf ein wenig aufatmen: Mit allzu fernliegenden Auslegungen muss niemand rechnen! Was allerdings im konkreten Fall fern- und was naheliegt, könnte dann doch wieder von den „Gläserstärken richterlicher Brillen“ abhängen. Gute Beratung ist folglich nicht nur beim Optiker, sondern auch im Bilanz- und Steuerrecht besonders wichtig.

 

Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, Coesfeld

 

 

BC 9/2013

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