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Weiträumige Betriebsstätte: Anfahrten nur mit Entfernungspauschale ansetzbar

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

BFH-Urteil vom 29.4.2014, VIII R 33/10

 

Der Begriff „Betriebsstätte“ ist gleichermaßen wie der für Arbeitnehmer verwendete Begriff der „Arbeitsstätte“ (seit 1.1.2014: „Tätigkeitsstätte“) dadurch gekennzeichnet, dass er eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung voraussetzt, die der Steuerpflichtige nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit (d.h. fortdauernd und immer wieder) zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit aufsucht. Ist das der Fall, können Anfahrtskosten nicht in tatsächlicher Höhe bzw. nach Dienstreisegrundsätzen, sondern nur entsprechend der sog. Entfernungspauschale angesetzt werden.

 

 

Praxis-Info!

Problemstellung

Die Frage, ob Aufwendungen von Steuerpflichtigen für die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte bzw. Arbeitsstätte (jetzt: erste Tätigkeitsstätte) nach Maßgabe der Entfernungspauschale oder nach Dienstreise-grundsätzen zu berücksichtigen sind, hat der BFH in 2014 schon mehrfach behandelt. Probleme wirft die Beantwortung dieser Frage in der überwiegenden Zahl der Tätigkeiten zwar nicht auf, aber branchenabhängig in gar nicht so seltenen Fällen. Betroffen hiervon sind insbesondere Steuerpflichtige, die nicht an einer „ortsfesten dauerhaften betrieblichen Einrichtung“ tätig werden. Das ist z.B. bei Piloten und Stewardessen der Fall, ebenso bei Fernbusfahrern oder Müllwagenfahrern und Schornsteinfegern. Für diese und andere Berufe mit vergleichbaren Tätigkeitsstrukturen enthält das oben genannte BFH-Urteil, das sich in der Ausgangsfrage mit den Fahrtkosten eines Lotsen befasst hat, relevante Abgrenzungsüberlegungen.

 

 

Lösung

Im Streitfall bestand die Besonderheit darin, dass ein freiberuflich tätiger Lotse von seinem mit Büro ausgestatteten Wohnhaus regelmäßig zu einer sog. Lotsenstation fuhr, von der aus er seine Bereitschaftsdienste und seine tatsächlichen Einsätze als Seelotse dann ausführte. Der BFH kam (wie schon das Finanzgericht) zu folgendem Ergebnis: Die Fahrtkosten eines Lotsen zwischen seiner Wohnung und dem mit einer Lotsenstation versehenen Hafen des Lotsreviers seiner Lotsenbrüderschaft sind regelmäßig nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG nur in Höhe der Entfernungspauschale als Betriebsausgabe abziehbar.

Dieses sog. Lotsrevier beurteilte der BFH als eine großräumige Betriebsstätte, weil es alle Fahrtstrecken in einem durch normative Regelungen begrenzten Einzugsbereich umfasst und über eine Lotsenstation als ortsfeste Einrichtung der Lotsenbrüderschaft zur Organisation der Einsätze der Lotsen in dem räumlich begrenzten Zuständigkeitsbereich der Lotsenbrüderschaft verfügt. Abgelehnt wurde hingegen die Auffassung, den Mittelpunkt der Lotsentätigkeit auf den jeweils gelotsten Schiffen oder in den nur der Arbeitsvorbereitung oder Arbeitsnachbereitung dienenden Büros der Lotsen zu sehen.

Entscheidend ist für den BFH über den Lotsenfall hinaus die allgemeine Abgrenzung, dass es sich bei einer regelmäßigen Betriebs- oder Arbeitsstätte auch um ein größeres, räumlich geschlossenes Gebiet handeln kann,

  • wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände handelt, auf dem der Steuerpflichtige auf Dauer und mit einer gewissen Nachhaltigkeit tätig wird (so BFH-Urteil vom 18.6.2010, VI R 61/06, BStBl. II 2010, 564) und
  • wenn sich in diesem Gelände jedenfalls eine ortsfeste betriebliche Einrichtung befindet, die nach ihren infrastrukturellen Gegebenheiten mit einem Betriebssitz oder mit einer sonstigen betrieblichen Einrichtung eines Arbeitgebers vergleichbar ist (BFH-Urteil vom 17.6.2010, VI R 20/09, BStBl. II 2012, 32).

Für eine solche ortsfeste Einrichtung genüge z.B. eine Lotsenstation, selbst wenn sich der Lotse dort nur für kurze Zeit aufhält und seine Tätigkeit im Wesentlichen auf den Schiffen und im Wachdienst auf den Außenstationen oder zu Hause (in einem häuslichen Arbeitszimmer oder Büro) erbringt. Sie sei nämlich als ortsfeste Einrichtung für die Durchführung der von der Lotsenbrüderschaft in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit zu leistenden Lotsendienste wesentlicher Teil zur Organisation und Steuerung der Lotseneinsätze.

Mit anderen Berufsbildern sind diese Gegebenheiten nur begrenzt vergleichbar. So erwähnt der BFH insbesondere den Fall des Fahrers eines Müllfahrzeugs, der schwerpunktmäßig auf einem Fahrzeug und damit auswärts mit Anspruch auf Fahrtaufwendungsersatz nach Dienstreisegrundsätzen tätig ist. Es bestimmt sich, allgemein gesehen, nach den qualitativen Merkmalen sowie nach dem konkreten Gewicht der dort verrichteten Tätigkeit, ob die jeweilige ortsfeste Einrichtung der weiträumigen Betriebsstätte tatsächlich den Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit bildet. Im Müllwagenfahrer-Fall hat der BFH das Vorliegen einer solchen eigenen betrieblichen Einrichtung (in Gestalt des Betriebshofs eines Dritten für Zwecke der Abstellung von Müllfahrzeugen) verneint sowie den Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit (Müllentsorgung) nicht auf dem streitbefangenen Grundstück gesehen.

Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung von Werbungskosten- und Betriebsausgabenabzug ist es (laut BFH) geboten, die von der Rechtsprechung für den Fahrtkostenabzug von Arbeitnehmern mit ständig wechselnden Einsatzstellen entwickelten Grundsätze auch auf den Regelungsbereich des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zu übertragen. Damit sind Fahrtkosten ausnahmsweise zum uneingeschränkten Betriebsausgabenabzug zuzulassen, soweit sie zwischen Wohnung und ständig wechselnden Beschäftigungsstätten angefallen sind. Diese Ausnahme setze aber voraus, dass der Fahrtaufwand im Einzelfall (entsprechend der Situation von Arbeitnehmern mit wechselnden Einsatzstellen) deshalb regelmäßig höher ist, weil der Steuerpflichtige nicht die Möglichkeit hat, durch eine entsprechende Wohnsitznahme vorzusorgen und dadurch selbst die Höhe seiner Fahrtaufwendungen zu bestimmen.

 

 

Praxishinweise:

  • Der BFH grenzt weiter ab, dass der von ihm behandelte Begriff der Betriebsstätte nicht deckungsgleich mit dem Betriebsstättenbegriff in § 12 AO sei. Eine abgrenzbare Fläche oder Räumlichkeit und eine hierauf bezogene eigene Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen ist (im Unterschied zur Geschäftseinrichtung oder zur Anlage im Sinne des § 12 Satz 1 AO) im hier behandelten Themenbereich nicht erforderlich: Nach diesen Grundsätzen ist die Betriebsstätte etwa
    – bei einem Schulungsleiter oder Trainer der Unterrichts- oder Sportraum,
    – bei einem Händler im Reisegewerbe der Ort, an dem die Leistungen gegenüber dem Kunden erbracht werden oder
    – bei einem Bezirksschornsteinfeger der Kehrbezirk.
  • Die Abgrenzungsfragen zum Tätigkeitsmittelpunkt bei ständig wechselnder Arbeitsstelle hatte der BFH kurz zuvor für eine Stewardess und einen Piloten behandelt. Demnach ist der Flughafen nicht als regelmäßige Arbeitsstätte einer Kabinenchefin oder eines Piloten anzusehen (Urteile vom 26.2.2014, VI R 54/13 und VI R 68/12). Geklagt hatte in letzterem Fall ein als Verkehrsflugzeugführer bei einer Fluggesellschaft beschäftigter Berufspilot. Nach dem Urteil des BFH sind die Kosten des Klägers für Fahrten zwischen seiner Wohnung und dem Heimatflughafen in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten abziehbar. Dabei konnte für den BFH dahinstehen, ob der Fluggesellschaft als Arbeitgeberin möglicherweise zuzuordnende betriebliche Einrichtungen auf dem Flughafengelände des Flughafens die Voraussetzungen einer regelmäßigen Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG erfüllen. Denn der Kläger sei dort jedenfalls nicht in einer Weise tätig gewesen, die es rechtfertige, diesen Tätigkeitsort als seine regelmäßige Arbeitsstätte zu beurteilen. Vielmehr war der Kläger als Verkehrsflugzeugführer und damit schwer-punktmäßig in einem Flugzeug tätig, das mangels Ortsfestigkeit seinerseits keine regelmäßige Arbeitsstätte ist. Selbst wenn die Einrichtungen der Fluggesellschaft auf dem Flughafengelände als betriebliche Einrichtung der Arbeitgeberin des Klägers anzusehen wären, genügt es dem BFH zufolge (entgegen der Auffassung des Finanzamts) nicht, dass der Kläger diese nachhaltig (ggf. arbeitstäglich) aufgesucht hat. Ausschlaggebend sei vielmehr, dass er seiner eigentlichen Tätigkeit, dem Führen eines Verkehrsflugzeugs, außerhalb der Einrichtungen der Fluggesellschaft nachgegangen ist.
  • Dasselbe dürfte somit auch für auf Schiffen eingesetzte Kapitäne, Offiziere und sogar Matrosen gelten, weil die Ozeane als weiträumige Betriebsstätte dann doch wohl zu weiträumig wären – im Unterschied zum klar abgegrenzten Lotsenrevier mit organisatorischen Bindungswirkungen für den Lotseneinsatz, die der hier nun etwas wackeligen BFH-Abgrenzung Halt geben mögen. Eben aus diesem Grund dürften auch für Astronauten kaum Erfolgsaussichten bestehen, das Universum als weiträumige Betriebsstätte anerkannt zu bekommen (aber vermutlich dürften für Astronauten auch andere Interessen wichtiger sein als der steuerliche Kostenansatz für Fahrten zur Abschussrampe, weshalb die Finanzgerichte auf derlei Streitfälle auch in Zukunft eher selten treffen dürften).

 

Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, Coesfeld

 

BC 9/2014

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