FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.8.2011, 3 K 2674/10 (zur Revision zugelassen)
Ein Steuerpflichtiger muss sich mögliche Fehler der von ihm verwendeten Steuersoftware wie ein Verschulden seines steuerlichen Beraters zurechnen lassen.
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Problemstellung
Im Streitfall hatte der Kläger seine Einkommensteuererklärung 2008 mithilfe eines handelsüblichen Steuererklärungsprogramms erstellt. Der Einkommensteuerbescheid 2008 erging im November 2009. Im Mai 2010 beantragte der Kläger die Änderung des Bescheids, da in der Einkommensteuererklärung 2008 Kinderbetreuungskosten in Höhe von rund 4.000 € nicht angesetzt wurden.
Das zuständige Finanzamt lehnte die beantragte Änderung ab. Auch einem Steuerunkundigen hätte durch das Vorhandensein der „Anlage Kind“, der Anleitung zur Einkommensteuererklärung und den im amtlichen Steuererklärungsformular enthaltenen Fragen die Ansatzmöglichkeit von Kinderbetreuungskosten klar sein müssen. Insofern trifft den Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden, was einer Änderung des Einkommensteuerbescheids entgegensteht.
Der Steuerpflichtige erhob gegen die Ablehnung des Änderungsantrags Klage mit der Begründung, er habe seine Einkommensteuererklärung mithilfe eines handelsüblichen Steuersoftwareprogramms erstellt. Das Programm führt dabei durch ein eigenes Benutzermenü; dabei wurde das Steuerformular selbst nicht mehr angezeigt. Im Rahmen der Menüführung sei keine Frage nach Kinderbetreuungskosten angezeigt worden.
Lösung
Das FG Rheinland-Pfalz hat die Klage abgelehnt. Laut dessen Urteilsbegründung sei die Nichtbeantwortung einer ausdrücklich im Steuererklärungsformular gestellten Frage als grobe Fahrlässigkeit zu werten. Somit sei eine Änderung des Steuerbescheids (gemäß § 173 Abs. 2 AO) ausgeschlossen.
Auf eine Untersuchung der verwendeten Steuersoftware verzichtete das Gericht, da mögliche Softwarefehler nicht wesentlich für die Urteilsbegründung wären. Gemäß ständiger Rechtsprechung des BFH muss sich ein Steuerpflichtiger ein Verschulden seines steuerlichen Beraters zurechnen lassen. Dies gilt nach Auffassung des FG Rheinland-Pfalz auch dann, wenn der Steuerpflichtige eine andere als die amtlich bereitgestellte Steuersoftware (also ELSTER-Formular) verwendet. Unterlassene Angaben aufgrund fehlerhafter oder unübersichtlicher Menüführung bzw. sonstige Programmfehler gehen in diesem Fall zulasten des Steuerpflichtigen.
In einer von der Zeitschrift „Finanztest“ im März 2011 veröffentlichten Untersuchung von neun Steuersoftwareprogrammen hat nicht ein einziges der untersuchten Programme fehlerfrei abgeschnitten („Die besten Steuerhelfer“, in: „Finanztest“ 3/2011, S. 56). Die häufigsten Fehlerquellen lagen in den Bereichen - Pflegekosten,
- Nebeneinkünfte von Rentnern,
- Kindesunterhalt und Kinderfreibeträge.
Das Ergebnis der Finanztest-Untersuchung zeigt: Steuerpflichtige dürfen bei der Erstellung ihrer Steuererklärungen nicht blind einem Steuersoftwareprogramm vertrauen. Plausibilitätskontrollen, Kontrollen der vom Programm gemachten Berechnungen und ein kritisches Durchlesen der erstellten Steuererklärung unter Beachtung der von der Finanzverwaltung mitgelieferten Anleitung zur Einkommensteuererklärung sind unerlässlich. Vorsicht ist vor allem bei Offline-Versionen geboten, die bereits früh im aktuellen Steuerjahr angeboten werden. Hier ist sicherzustellen, dass eventuell in letzter Minute beschlossene Änderungen der Besteuerung noch Berücksichtigung gefunden haben. Eine solche Situation stellte z.B. das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 9.12.2008 zur Verfassungswidrigkeit der Pendlerpauschale dar. Eine vor diesem Datum erworbene Offline-Steuersoftware für den Veranlagungszeitraum 2008 war somit nur mit Einschränkungen nutzbar. |
Resümee
Auf Verwendung von Steuersoftwareprogrammen zurückzuführende Fehler bei der Erstellung von Steuererklärungen muss sich der Steuerpflichtige als eigenes Verschulden anrechnen lassen, wenn der bzw. die Fehler bei sorgfältiger Beachtung der in dem Steuererklärungsformular und der von der Finanzverwaltung veröffentlichen Anleitung zur Einkommensteuererklärung hätte vermieden werden können.
Wie eine aktuelle Studie der Zeitschrift „Finanztest“ zeigt, kommt es gerade bei komplexeren Sachverhalten häufig zu fehlerhaften Steuerberechnungen durch Steuersoftwareprogramme. Da nachweislich keines der neun getesteten Steuersoftwareprogramme fehlerfrei gearbeitet hat, ist eine kritische Durchsicht der mithilfe von Steuersoftwareprogrammen erstellten Steuererklärung unerlässlich.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Operational Risk Manager Corporate Finance, London (E-Mail: Christian.Thurow@sc.com)
BC 11/2011
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