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Steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung auch ohne Umsatzsteuer-Identifikationsnummer

Prof. Dr. Thomas Küffner und Thomas Streit

EuGH-Urteil vom 27.9.2012, C-587/10 (Rechtssache VSTR)

 

Eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung kann auch dann vorliegen, wenn der Empfänger über keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) verfügt. Die USt-IdNr. ist nur eine Möglichkeit, die Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers zu belegen.

 

Mit dieser Entscheidung hat der EuGH seine bereits umfangreiche Rechtsprechung zur Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen weiterentwickelt. Schon mit Urteil vom 6.9.2012 in der Rechtssache Mecsek-Gabona Kft. (DStR 2012, S. 1917, mit Anm. Beer/Streit) hatte der EuGH geurteilt, eine nachträgliche und rückwirkende Löschung der USt-IdNr. des Kunden rechtfertige es nicht, die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen.

Mit der neuen Entscheidung gilt diese Feststellung auch in den Fällen, in denen der Leistungsempfänger bereits anfänglich über keine USt-IdNr. verfügt hat. Der Entscheidung des EuGH lag folgender Sachverhalt zugrunde.

 

 

Praxis-Info!

 

1. Problemstellung

 

a) Sachverhalt

Im November 1998 verkaufte eine in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft von VSTR Lokotrack-Maschinen zum Brechen von Steinen an das in den USA ansässige Unternehmen B. B hatte eine Niederlassung in Portugal, war aber in keinem Mitgliedstaat der EU für Mehrwertsteuerzwecke registriert. VSTR forderte B auf, ihm seine USt-IdNr. mitzuteilen.

B teilte daraufhin nicht seine eigene USt-IdNr. mit, sondern diejenige seines Kunden C. C ist ein in Finnland ansässiges Unternehmen. Eine Überprüfung durch VSTR ergab, dass die USt-IdNr. von C gültig ist.

Im Auftrag von B holte eine Spedition die Lokotrack-Maschinen bei VSTR ab und brachte sie nach Lübeck (Deutschland), von wo diese nach Finnland verschifft wurden. VSTR stellte an B unter Angabe der USt-IdNr. des C eine Rechnung über eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung.

 

 

 

 

Abb.: Innergemeinschaftliche Lieferung im Streitfall

 

 

b) Verfahrensgang

Die deutsche Finanzverwaltung versagte VSTR die Steuerbefreiung, da ohne USt-IdNr. des Kunden B eine Steuerbefreiung ausscheide. Einspruch und Klage vor dem Sächsischen Finanzgericht blieben erfolglos. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen. VSTR legte Revision ein.

Mit Gerichtsbescheid vom 3.3.2010 hob der BFH das Urteil des Finanzgerichts auf. Der BFH ging davon aus, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung (gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i.V.m. § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG) erfüllt seien. Das Finanzamt beantragte daraufhin mündliche Verhandlung und das BMF trat dem Rechtsstreit bei. Mit Beschluss vom 10.11.2010 legte der BFH dem EuGH Rechtsfragen zur Entscheidung vor.

Im Rahmen des Vorlageverfahrens vor dem EuGH nahmen neben VSTR die italienische Regierung, die Europäische Kommission und die Bundesrepublik Deutschland schriftlich Stellung. Die Europäische Kommission teilte dabei die Ansicht von VSTR. In der mündlichen Verhandlung vom 21.6.2012 bestätigte die Europäische Kommission ihre Auffassung, dass eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung auch dann vorliegen könne, wenn der Erwerber über keine USt-IdNr. verfügt. In seinen Schlussanträgen vom 29.6.2012 schloss sich Generalanwalt Villalón der Ansicht von VSTR und der Europäischen Kommission an.

 

 

2. Lösung – zentrale Aussagen des EuGH

Da die Lokotrack-Maschinen aus Deutschland nach Finnland gelangt sind, liegt eine innergemeinschaftliche Lieferung vor. Auch wenn B in einem Drittland ansässig ist, macht dies aus der Lieferung keine Ausfuhrlieferung. Auf die Nationalität des Erwerbers kommt es nicht an.

Das Urteil verdeutlicht erneut die Unterscheidung zwischen materiellem Recht und formellen Nachweisen. Die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen ist zu gewähren, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Hierzu gehört nur das, was die 6. EG-Richtlinie als materiell-rechtliche Voraussetzungen regelt. Die Mitgliedstaaten haben nicht das Recht, weitere Voraussetzungen zu schaffen und die Steuerbefreiung zu versagen, wenn diese zusätzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Entscheidend ist: Die Ware hat Deutschland verlassen und ist nach Finnland gelangt, der Erwerber ist Unternehmer, der den Gegenstand für sein Unternehmen erwirbt, und in Finnland unterliegt der Erwerb der Lokotrack-Maschinen der Erwerbsbesteuerung. Die Unternehmereigenschaft des B hängt alleine von dessen wirtschaftlicher Tätigkeit ab, nicht von einer USt-IdNr. (vgl. Tz. 47 ff.). Nach den Feststellungen des EuGH ist auch irrelevant, wo B ansässig ist (vgl. Tz. 54, 55). Die Tatsache, dass B im Drittland ansässig ist, rechtfertigt keine strengeren Maßstäbe, denn die Unternehmereigenschaft hängt allein von der wirtschaftlichen Tätigkeit ab. Die Finanzbehörden können vom Lieferanten nicht verlangen, die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs im Bestimmungsland nachzuweisen (Tz. 55).

 

 

Handlungsempfehlung:

Unternehmer sollten auch künftig darauf achten, die USt-IdNr. des Käufers aufzuzeichnen und diese zu überprüfen. In streitigen Fällen können Lieferanten aber die Unternehmereigenschaft des Erwerbers auch anderweitig nachweisen.

 

 

 

Prof. Dr. Thomas Küffner, Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Fachanwalt für Steuerrecht, Partner der auf Umsatzsteuerrecht spezialisierten Kanzlei küffner maunz langer zugmaier, München (E-Mail: thomas.kueffner@kmlz.de; Internet: www.kmlz.de)

 

Thomas Streit, LL.M. Eur., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Mitarbeiter der auf Umsatzsteuerrecht spezialisierten Kanzlei küffner maunz langer zugmaier, München (E-Mail: thomas.streit@kmlz.de)

 

BC 11/2012

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