FG Düsseldorf, Urteil vom 29.8.2013, 13 K 4451/11 E G (Revision zugelassen)
Rückstellungen für Mehrsteuern aufgrund einer Außenprüfung sind nicht bereits im Jahr der wirtschaftlichen Verursachung, sondern erst zu dem Bilanzstichtag zu bilden, zu dem der Steuerpflichtige aufgrund des Aufgriffs eines zur Mehrsteuer führenden Sachverhalts mit dessen Aufdeckung rechnen muss.
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Problemstellung
In den Jahren 2007 und 2008 fand bei dem Kläger eine steuerliche Betriebsprüfung statt, die u.a. auch die Einkommensteuer für das Streitjahr 2006 umfasste. Das Finanzamt hatte bereits im Streitjahr 2006 eine Gewerbesteuerrückstellung sowie eine Rückstellung für Zinsen (gemäß § 233a AO) für die Mehrsteuern aufgrund der Betriebsprüfung gebildet.
Lösung
Nach Auffassung des Finanzgerichts Düsseldorf hat das Finanzamt die Gewerbesteuerrückstellung und eine Rückstellung für Zinsen (gemäß § 233a AO) zugunsten des Klägers gebildet.
Die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten setzt eine betrieblich veranlasste, aber ungewisse Verpflichtung gegenüber einem Dritten voraus, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entstehen und zu einer Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen führen wird, und die ihre wirtschaftliche Verursachung im Zeitraum vor dem Bilanzstichtag findet.
Rückstellungen wegen öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen dürfen erst gebildet werden, wenn derjenige, der Inhaber des gegen den Steuerpflichtigen gerichteten Anspruchs ist, von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis hat oder eine solche Kenntniserlangung unmittelbar bevorsteht, weshalb eine Inanspruchnahme wahrscheinlich ist (vgl. etwa BFH-Urteil vom 22.8.2012, X R 23/10, BFHE 239, 173, BStBl. II 2013, 76 m.w.N.).
Gemäß einer in der Literatur und von der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung (vgl. H 4.9 EStH „Rückstellungen für künftige Steuernachforderungen“) sind die Aufwendungen für die Bildung einer Gewerbesteuerrückstellung für Mehrsteuern aufgrund einer steuerlichen Betriebsprüfung im Jahr der wirtschaftlichen Veranlassung – hier also dem Streitjahr 2006 – zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hierzu ist uneinheitlich.
Das Finanzgericht Düsseldorf vertritt jedoch die Ansicht, dass Rückstellungen für Mehrsteuern aufgrund einer Außenprüfung erst zu dem Bilanzstichtag zu bilden sind, zu dem der Steuerpflichtige mit der Aufdeckung des zur Mehrsteuer führenden Sachverhalts rechnen muss („Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme“). Eine unterschiedliche Behandlung von Mehrsteuern aufgrund einer Betriebsprüfung und von hinterzogenen Mehrsteuern ist in der Regel nicht gerechtfertigt. Sowohl die Rechtsprechung als auch die herrschende Literatur gehen bei etwaigen hinterzogenen Mehrsteuern davon aus, dass eine Rückstellung erst zu dem Bilanzstichtag gebildet werden darf, zu dem der Steuerpflichtige mit der Aufdeckung der Steuerhinterziehung rechnen muss (vgl. etwa BFH-Urteil vom 22.8.2012, X R 23/10, BFHE 239, 173, BStBl. II 2013, 76, siehe oben).
- Das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf bezieht sich auf das Streitjahr 2006. Allerdings sind die Gewerbesteuer und darauf entfallende Nebenleistungen (Säumniszuschläge, Verspätungszuschläge, Zinsen, Zwangsgelder) ab dem Veranlagungszeitraum 2008 nicht mehr als Betriebsausgaben von der Bemessungsgrundlage abziehbar (§ 4 Abs. 5b EStG). Insofern ist die gewinnmindernde Bildung einer Gewerbesteuerrückstellung mittlerweile nicht mehr zulässig.
- Sobald die Behandlung konkreter steuerlicher Sachverhalte im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung strittig ist, darf eine Rückstellung gebildet werden. Auf der sicheren Seite sind Bilanzierende, wenn die Außenprüfung bereits begonnen wurde und der Prüfer eine bestimmte Sachbehandlung beanstandet hat oder zumindest den einschlägigen Sachverhalt konkret überprüft. Dasselbe gilt für anhängige Streitverfahren (auch Musterverfahren), durch die das Unternehmen belastet werden kann, auch wenn der Ausgang des Rechtsstreits noch unsicher ist.
- In der HGB-Bilanz können hingegen Rückstellungen für künftige Steuernachforderungen aufgrund zu erwartender Betriebsprüfungen unter Umständen gebildet werden, auch wenn sie steuerrechtlich nicht anerkannt sind. Solche Rückstellungen sind denkbar, wenn das Steuerrisiko nicht bereits durch eine entsprechende Steuerabgrenzung abgedeckt ist. Im Klartext: Wird mit Blick auf die nächste steuerliche Außenprüfung erwartet, dass bis dahin bestehende vorübergehende Abweichungen zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz ganz oder zum Teil beseitigt werden und sich hieraus ein steuerrechtlicher Mehraufwand ergeben kann (weil z.B. in der Steuerbilanz Aktivposten, die bislang in der Steuerbilanz niedriger als in der Handelsbilanz angesetzt waren, höher angesetzt werden), ist dieses Risiko bereits durch die Steuerabgrenzung abgedeckt.
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Bei der Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen wegen entstandener Steuernachforderungen handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung (Rückstellung bei Vorliegen einer hinreichend konkretisierten Verpflichtung am Bilanzstichtag). Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Steuernachforderung entsteht, ist auch die Verpflichtung zur Entrichtung der Zinsen nach § 233a AO hinreichend konkretisiert. Eine Rückstellung wegen der Verpflichtung auf Entrichtung der Zinsen wäre demnach erstmals im Jahresabschluss des Wirtschaftsjahres zu bilden, in dem die Steuernachforderung entstanden ist.
Da aber eine Rückstellung nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern auch Vergangenes abgelten muss und mit der Zinszahlung wegen entstandener Steuernachforderungen der Liquiditätsvorteil abgegolten wird, der sich aus der „verspäteten“ Zahlung der Steuer für den Steuerpflichtigen ergibt, kann eine Rückstellung frühestens 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuernachforderung entstanden ist, gebildet werden. Eine solche Rückstellung kann nur die bis zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich entstandenen Zinsen umfassen.
[Anm. d. Red.]
BC 3/2014
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