FinMin. Schleswig-Holstein, Erlass vom 8.9.2005, VI 304 – S 2141 – 009
Ein Bilanzansatz ist nicht fehlerhaft, wenn er der im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht (BFH-Urteil vom 12.11.1992, IV R 59/91, BStBl. II 1993, S. 392). Entsprechendes gilt, wenn zu einer bestimmten Rechtsfrage zwar noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, der Bilanzansatz aber der bis dahin von der Finanzverwaltung vertretenen Rechtsauffassung entspricht. Führt in diesem Fall die erstmalige Rechtsprechung des BFH zu einer Änderung der bisher von der Finanzverwaltung vertretenen Rechtsauffassung, gilt nach dem Ergebnis einer Abstimmung auf Bundesebene Folgendes:
Die geänderte Verwaltungsauffassung kann frühestens in der ersten nach dem Datum der Entscheidung des BFH (zu dieser Rechtsfrage) aufzustellenden Bilanz berücksichtigt werden.
Sie muss spätestens in der ersten nach amtlicher Veröffentlichung aufzustellenden Bilanz berücksichtigt werden. Nicht entscheidend ist, für welchen Gewinnermittlungszeitraum die Bilanz aufgestellt wird. In Fällen, in denen der Steuerpflichtige bis zur amtlichen Veröffentlichung z.B. eine Rückstellung entsprechend der bisherigen Verwaltungsauffassung nicht ausgewiesen hat, besteht die Möglichkeit einer Bilanzberichtigung rückwirkend bis zur ersten nach dem Datum der Entscheidung des BFH – unabhängig für welchen Gewinnermittlungszeitraum – aufgestellten Bilanz. Darüber hinaus kommt eine rückwirkende Berichtigung von Bilanzen, auch wenn diese einer verfahrensrechtlich noch abänderbaren Veranlagung zugrunde liegen, nicht in Betracht. Es ist davon auszugehen, dass bis zur Änderung der Verwaltungsauffassung die Bilanzen als subjektiv richtig zu werten sind.
Beispielhaft sind folgende Fälle anzuführen, in denen die Finanzverwaltung Rückstellungen zuerst nicht anerkannt hat, sich dann aber einer erstmaligen BFH-Rechtsprechung anschließt:
- Bezogen auf Rückstellungen für die Verpflichtung zu Beihilfen an (künftige) Pensionäre ist das Urteil des BFH vom 30.1.2002, I R 71/00 amtlich am 28.4.2003 im BStBl. II, S. 279, veröffentlicht worden. Wurde eine Rückstellung bisher nicht gebildet, darf sie frühestens in der ersten nach dem 30.1.2002 aufzustellenden Bilanz und muss sie spätestens in der ersten nach dem 28.4.2003 aufzustellenden Bilanz passiviert werden.
- Bezogen auf Rückstellungen für die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen gemäß § 257 HGB und § 147 AO ist das Urteil des BFH vom 19.8.2002, VIII R 30/01 amtlich am 10.3.2003 im BStBl. II, S. 131, veröffentlicht worden. Wurde eine Rückstellung bisher nicht gebildet, darf sie frühestens in der ersten nach dem 19.8.2002 aufzustellenden Bilanz und muss sie spätestens in der ersten nach dem 10.3.2003 aufzustellenden Bilanz passiviert werden.
Praxis-Info!
Ähnlich lautend haben hierzu zuletzt die Oberfinanzdirektionen München und Nürnberg Stellung genommen (vgl. Verfügung vom 1.4.2005, BC 5/2005, S. VIII ff., siehe hier). Das Finanzministerium Schleswig-Holstein hat das beschriebene begrenzte Periodenzuordnungs-Wahlrecht, den – früher gelegenen – Tag der BFH-Entscheidung oder den späteren Veröffentlichungstermin als zeitliche Ausgangsbasis für eine Bilanzberichtigung zu wählen, nunmehr vor allem in zweierlei Hinsicht weiter präzisiert:
- Danach ist es im jeweiligen Fall gleichgültig, für welchen Gewinnermittlungszeitraum bzw. für welches Wirtschaftsjahr eine Bilanz aufgestellt wird.
- An zwei Beispielen zeigt das Finanzministerium, wie das begrenzte Periodenzuordnungs-Wahlrecht konkret anzuwenden ist.
Doch wie ist bei einer Vorab-Veröffentlichung von BFH-Urteilen auf den Internet-Seiten des Bundesfinanzministeriums, welche für das Bundessteuerblatt vorgesehen sind, zu verfahren? Hierauf geht auch diese Verfügung nicht ein. Denn nach Auffassung einiger Oberfinanzdirektionen sind diese im Internet veröffentlichten Urteile bereits ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung im Internet und nicht mehr erst nach Auslieferung des Bundessteuerblattes, das die BFH-Entscheidungen enthält, allgemein anzuwenden (vgl. Verfügung der OFD Karlsruhe vom 14.1.2005, FG 2032/1A _ St 332).
Vertiefungshinweise: - Praxishinweise zur Rückstellungsbildung für künftige Kosten zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen finden sich bei Hoffmann, BC 11/2005 (S. 246), sowie in BC 3/2005 (S. VIII), hier.
- Zur Problematik der Bilanzierungsfehler sowie zur Praxis der Fehlerbeseitigung in der Steuerbilanz vgl. Hoffmann (BC 1/2005 (S. 2 ff.). Eine inhaltliche Unterscheidung zwischen einer Bilanzberichtigung und einer Bilanzänderung findet sich zudem in BC 5/2005 (S. VIII ff.), siehe hier.
- Zur Rückstellung von Beihilfe-Verpflichtungen, die Pensionären und aktiven Mitarbeitern während der Zeit ihres Ruhestandes in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen gewährt werden, vgl. die Ausführungen in BC 11/2004 (S. X) hier.
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[Anm. d. Red.]
BC 12/2005
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