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Keine Schätzung durch Zeitreihenvergleich bei formell ordnungsmäßigen Aufzeichnungen

Christian Thurow

BFH-Urteil vom 25.3.2015, X R 19/14

 

Bei Zweifeln an der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nehmen Betriebsprüfer häufig Verprobungen mittels diverser statistischer Verfahren vor. Doch nicht immer ist die Anwendung solcher Verfahren angebracht.

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Die Kläger betreiben einen Einzelhandel mit Lebensmittelspezialitäten. Den Gewinn ermitteln sie per Einnahmen-Überschussrechnung.

Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, die Kassenführung für die Jahre 2006 bis 2008 sei formell mangelhaft. Zur Ermittlung des tatsächlichen Gewinns nahm der Prüfer einen Zeitreihenvergleich vor. Warenanfangs- und Warenendbestände berücksichtigte er dabei nicht. Ferner unterstellte er, dass der gesamte Wareneinkauf einer Woche noch in derselben Woche verkauft worden sei. Für Wochen, in denen zwar kein Wareneinkauf vorlag, aber dennoch Umsätze getätigt wurden, unterstellte der Prüfer einen Wareneinsatz von 0 €. Darüber hinaus nahm der Prüfer eine Trendentwicklung des Warenbestands vor. Hierbei unterstellte er Warenanfangs- und Warenendbestände von jeweils 1.000 €. Die mithilfe der Verfahren ermittelten Rohgewinnaufschlagssätze verglich der Prüfer mit den Richtsätzen für die Branche „Fleischerei, Metzgerei, Schlachterei“. Auf Basis dieser Schätzungen erhöhte der Prüfer den Gewinn für die Streitjahre.

Die gegen die auf die Erhöhung des Gewinns gerichtete Klage vor dem erstinstanzlichen Finanzgericht blieb erfolglos.

 

 

Lösung

Wie schon in seinem früher veröffentlichten Urteil vom gleichen Tag (X R 20/13) – erläutert in BC 2015, 330 f., Heft 8 – schränkt der BFH die Anwendung des Zeitreihenvergleichs ein. Dabei führt er folgende Punkte an:

  • Zu den generellen Voraussetzungen und Grenzen der Verprobungs- und Schätzungsmethode des Zeitreihenvergleichs verweist der BFH auf das soeben genannte Urteil vom 25.3.2015 (X R 20/13).
  • Im Ausgangsfall wurden vom Finanzgericht keine Feststellungen zur Ordnungsmäßigkeit der Buchführung getroffen. Liegen aber keine formellen Mängel vor, so kann der Nachweis der materiellen Unrichtigkeit nicht allein aufgrund der Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs erbracht werden.
  • Im Wareneinkauf der Kläger finden sich regelmäßig Dosen- und Dauerwaren. Der Prüfer hätte hier Überlegungen anstellen müssen, inwieweit bei solchen Waren der Verkauf innerhalb der Einkaufswoche tatsächlich noch unterstellt werden kann.
  • Die technische Durchführung eines Zeitreihenvergleichs setzt eine besonders sorgfältige Ermittlung der Tatsachengrundlagen voraus. Der Prüfer hat es hier unterlassen, die Größe des Wareneinsatzes zu ermitteln. Diese ist aber für die Aussagekraft des Zeitreihenvergleichs entscheidend. Die einfache Gleichsetzung von Wareneinkauf und Wareneinsatz, wie vom Prüfer vorgenommen, ist unzulässig. Die denklogischen Schwächen einer solchen Gleichsetzung sind für die Wochen offensichtlich, in denen keine Wareneinkäufe, wohl aber Umsätze vorliegen. Selbst bei geringen Umsätzen würden hier aufgrund des Wareneinsatzes von 0 € unendlich hohe Rohgewinnaufschlagssätze entstehen, was offensichtlich nicht der Realität entspricht.
  • Während der Prüfer beim Zeitreihenvergleich keine Warenanfangs- und Warenendbestände berücksichtigt, unterstellt er bei seiner „Warenbestands-Trendentwicklung“ Warenbestände von jeweils 1.000 €. Somit verwendet der Prüfer in seinen Verprobungs- und Schätzungsmethoden widersprüchliche Grundannahmen, ohne die Widersprüche näher zu erläutern.
  • Die vorliegende Warenbestands-Trendentwicklung führt in vielen Wochen zu einem negativen Warenbestand. Dies ist denklogisch wie faktisch ausgeschlossen und offenbart gravierende Mängel der Schätzung. Das Finanzgericht hätte hier das Vorliegen negativer Warenbestände nicht einfach als Tatsache hinnehmen dürfen, sondern eine kritische Einschätzung der statistischen Belastbarkeit der Trendentwicklung vornehmen müssen.
  • Prüfer und Finanzgericht haben ohne jede Begründung die Richtsätze für die Gewerbeklasse „Fleischerei, Metzgerei, Schlachterei“ verwendet. Der Kläger ist jedoch weder als Metzger oder Schlachter tätig und kann es aufgrund des Meisterzwangs auch gar nicht sein. Er beschäftigt auch keinen Fleischermeister in seinem Laden. Vielmehr kauft er Fleischwaren und Käse ein und verkauft diese Produkte an Endkunden. Eine für das Fleischerhandwerk kennzeichnende Verarbeitung der Produkte findet nicht statt. Somit ist sein Gewerbe der Branche „Einzelhandel mit Nahrungs- und Genussmitteln“ zuzuordnen. Die hier geltenden Richtsätze sind jedoch erheblich niedriger als in der Branche „Fleischerei, Metzgerei, Schlachterei“.

Aufgrund der genannten Punkte verweist der BFH den Fall zur erneuten Prüfung an das Finanzgericht zurück.

 

 

Praxishinweise:

  • Bei vom Außenprüfer vorgenommenen Schätzungen sollten die getroffenen Grundannahmen kritisch hinterfragt werden. Denklogisch fehlerhafte Ergebnisse wie negative Warenbestände oder unendlich hohe Rohgewinnaufschlagssätze deuten dabei auf Fehler in der Schätzung hin.
  • Bei Anwendung mehrerer Verprobungsmethoden müssen die gleichen Grundannahmen vorliegen. So kann der Prüfer in den Verprobungen z.B. nicht von verschiedenen Warenbeständen ausgehen.
  • Werden Branchenrichtsätze zum Vergleich herangezogen, so ist darauf zu achten, dass auch auf die tatsächliche Branche abgestellt wird.
  • Um die Aussagekraft des Zeitreihenvergleichs generell widerlegen zu können, müssen im Nachhinein (im Rahmen der steuerlichen Betriebsprüfung) unterjährige Warenvorräte genau quantifiziert werden. Abhilfe kann hier eine permanente Inventur schaffen.

 

 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Lead Auditor Europe in der Internen Revision, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)

 

BC 12/2015

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