Dr. Hans-Jürgen Hillmer
BFH-Urteil vom 16.7.2014, X R 49/11
Wird ein häusliches Arbeitszimmer im Rahmen mehrerer Einkunftsarten genutzt, ist die qualitative Beurteilung entscheidend, wo sich der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung befindet; zeitanteilige Betrachtungen haben demgegenüber zurückzustehen. Eine Vervielfältigung des Abzugsbetrags von 1.250 € ist ausgeschlossen.
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Problemstellung
Die Abziehbarkeit der Kosten häuslicher Arbeitszimmer ist seit 1996 deutlich beschränkt und durch ein grundsätzliches Abzugsverbot mit gewissen – ihrerseits mehrfach geänderten – Ausnahmen gekennzeichnet. Allerdings ist in dem Zeitraum von 1996 bis 2009 der Abzug der Kosten der Höhe nach unbeschränkt möglich gewesen, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildete.
In dem vom BFH entschiedenen Fall hatte der Kläger im Streitjahr 2007 folgende Einkünfte:
- Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit einer Verkaufsstätte nahe seines Wohnorts mit einem Gewinn in sechsstelliger Höhe,
- Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in einer wiederum sechsstelligen Höhe und
- Einkünfte aus selbständiger Arbeit in fünfstelliger Höhe.
Zudem erzielten beide Kläger in geringerem Umfang Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, aus Kapitalvermögen sowie Einkünfte aus Veräußerungsgeschäften.
Für ein häusliches Arbeitszimmer fielen in 2007 Aufwendungen in Höhe von insgesamt 7.859,04 € an. Die einer Praxis früherer Jahre entsprechende Aufteilung zu jeweils 30% auf die Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit und zu 40% auf die Einkünfte aus Gewerbebetrieb lehnte das Finanzamt zunächst in vollem Umfang ab.
Dem Klagebegehren, bei Zuordnung des Grenzbetrags von 1.250 € zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit die verbleibenden Aufwendungen auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, aus Gewerbebetrieb und aus selbständiger Arbeit nach protokollierten Stundenarbeitszeiten aufzuteilen, entsprach das Finanzgericht (FG) nicht.
Lösung
Nach der Entscheidung des BFH besteht kein Anspruch auf den Abzug von Aufwendungen für das Arbeitszimmer über den bereits berücksichtigten Betrag von 1.250 € hinaus. Zwar galt die Beschränkung der Höhe nach im Streitjahr 2007 nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildete – genau dies sei jedoch im zu beurteilenden Sachverhalt nicht der Fall gewesen (dazu nachfolgend unter 1.). Der Betrag von 1.250 € sei auch nicht aufgrund des Zusammentreffens mehrerer Einkunftsarten zu vervielfältigen (dazu nachfolgend unter 2.).
1. Bestimmung des Mittelpunkts der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung
Für die Bestimmung des Mittelpunkts der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung maßgebend ist, ob das qualitativ für eine bestimmte steuerbare Tätigkeit Typische im häuslichen Arbeitszimmer ausgeübt wird. Das gilt auch bei Steuerpflichtigen, die mehreren Tätigkeiten zur Einkünfteerzielung nachgehen; dabei kommt es entscheidend darauf an, ob die Tätigkeit im Arbeitszimmer für das Berufsbild prägend ist. Insoweit unterscheidet der BFH allerdings Fallgruppen:
- Geht der Steuerpflichtige mehreren Erwerbstätigkeiten nach und bilden bei allen jeweils die im häuslichen Arbeitszimmer verrichteten Arbeiten den qualitativen Schwerpunkt, so liegt dort auch der Mittelpunkt der Gesamttätigkeit.
- Bilden hingegen die außerhäuslichen Tätigkeiten jeweils den qualitativen Schwerpunkt der Einzeltätigkeiten bzw. lassen sich diese keinem Schwerpunkt zuordnen, so kann das häusliche Arbeitszimmer auch nicht durch die Summe der darin verrichteten Arbeiten zum Mittelpunkt der Gesamttätigkeit werden.
- Bildet das häusliche Arbeitszimmer schließlich den qualitativen Mittelpunkt lediglich einer Einzeltätigkeit oder mehrerer Einzeltätigkeiten, nicht jedoch mit Blick auf die übrigen, so muss das FG anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls wertend entscheiden, ob die Gesamttätigkeit gleichwohl einem einzelnen qualitativen Schwerpunkt zugeordnet werden kann und ob dieser im häuslichen Arbeitszimmer liegt. Abzustellen ist dabei auf das Gesamtbild der Verhältnisse und auf die Verkehrsanschauung, nicht auf die Vorstellung des betroffenen Steuerpflichtigen.
Für alle im Streitfall maßgebenden Rechtslagen bleibt dem BFH zufolge grundsätzlich die qualitative Beurteilung maßgeblich. Weder die Änderungen durch das StÄndG 2007 noch die des JStG 2010 haben eine Änderung dieser Rechtsgrundsätze verlangt. Das FG habe zunächst zu Recht die jeweiligen qualitativen Mittelpunkte der beiden Haupttätigkeiten ermittelt und sei in tatsächlicher Hinsicht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Mittelpunkt der Arbeitnehmertätigkeit beim Arbeitgeber und der Mittelpunkt des Betriebs in der Verkaufsstätte vor Ort liegen würden. Den Einwand der Kläger, das FG hätte die im Arbeitszimmer verbrachte Zeit aufaddieren müssen, lässt der BFH angesichts des Vorrangs der qualitativen Beurteilung nicht gelten. Soweit der Zeitfaktor ein Kriterium (nur) für die Feststellung sein kann, welche Tätigkeit als Haupttätigkeit zu werten ist, verstoße das FG-Urteil gegen diesen Grundsatz nicht, da die selbständigen Tätigkeiten sowohl zeitlich als auch wirtschaftlich nachrangig waren.
2. Abzugsbetrag von 1.250 €
Keinen Zweifel lässt der BFH daran aufkommen, dass der Betrag von 1.250 € in jedem Falle nur einmal zu gewähren ist. Es gebe keinen Anhaltspunkt, den Höchstbetrag einkünftebezogen zu verstehen. Vielmehr sind, wenn ein Steuerpflichtiger ein Arbeitszimmer im Rahmen mehrerer Einkunftsarten nutzt, die darauf getätigten Aufwendungen entsprechend den tatsächlichen Nutzungsanteilen auf die verschiedenen Einnahmequellen aufzuteilen. Der BFH sieht keinen Grund, den Abzug der Kosten für ein intensiv, aber nur im Rahmen einer einzigen Einkunftsart genutztes Arbeitszimmer auf 1.250 € zu beschränken, aber ggf. für mehrere nur in geringerem Umfang ausgeübte Tätigkeiten zu vervielfältigen.
- Auf der einen Seite habe es keinen Einfluss auf die Höhe der Kosten, ob die Tätigkeit des Steuerpflichtigen in diesem Arbeitszimmer einer Einkunftsart oder verschiedenen Einkunftsarten zuzuordnen ist.
- Auf der anderen Seite ist das mit dem Höchstbetrag verbundene gesetzgeberische Ziel, die objektiv gegebene, staatlich jedoch nicht beobachtbare Möglichkeit privater Mitbenutzung des häuslichen Arbeitszimmers pauschal zu berücksichtigen (vgl. BT-Drs. 17/3549, S. 15), dem BFH zufolge nicht mit der Anzahl der Einkunftsarten verknüpft, für die dieses Arbeitszimmer genutzt wird.
- Die Änderungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG durch das StÄndG 2007 führten insgesamt zu einer deutlich weitergehenden Einschränkung des Abzugs. Mit Beschluss vom 6.7.2010 (2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268) hatte dann das Bundesverfassungsgericht diese Vorschrift insoweit für verfassungswidrig erklärt, als das Abzugsverbot auch dann galt, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand, und den Gesetzgeber zu einer rückwirkenden Neuregelung verpflichtet. Das JStG 2010 nahm daraufhin mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2007 (§ 52 Abs. 12 Satz 9 EStG a.F.) mit der noch heute geltenden Regelung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Sätze 1 bis 3 EStG die Systematik der bis 2006 geltenden Regelung wieder auf. Der Abzug bleibt dem Grunde nach ausgeschlossen (Satz 1). Eine Ausnahme gilt, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (Satz 2). In diesem Fall wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 € begrenzt; die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet (Satz 3).
- Den Einwand, der Gesichtspunkt der Zwangsläufigkeit gebiete (letztlich aus verfassungsrechtlichen Gründen, ggf. in Anwendung der maßgebenden Vorschriften auf andere Fälle bzw. Sachverhalte) den betragsmäßig unbeschränkten Abzug der Kosten, ließ der BFH nicht gelten.
- Ausnahmen galten zeitweise (unter Beschränkung des Abzugs auf den Höchstbetrag von 2.400 DM bzw. später 1.250 €), wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50% der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit betrug oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand. Diese Ausnahme wurde aber gestrichen und auch zwischenzeitlich mit den verfassungsrechtlich vorgegebenen Änderungen durch das JStG 2010 (siehe unter 1.) nicht wieder eingeführt.
- Wegen der Klarheit der BFH-Ausführungen dürften eventuellen Hoffnungen für Bilanzbuchhalter und Controller mit mehreren Einkunftsarten, den Abzugsbeschränkungen mit einem mehrfachen Ansatz des Grenzbetrags zu entweichen, keine Aussichten auf Erfolg beizumessen sein.
- Das gilt allerdings nicht für solche Konstellationen, in denen nicht ein häusliches Arbeitszimmer, sondern der Kostenansatz für eine Betriebsstätte begehrt wird, so z.B. unter Umständen auch im Zweifamilienhaus bei Erfüllung der Anforderungen insbesondere hinsichtlich der Abgetrenntheit von Wohnteilen und der Zugangsvoraussetzungen. Das könnte z.B. für schriftstellerische Nebentätigkeiten eines angestellten Bilanzbuchhalters oder Controllers in Betracht kommen. Auch in die Diskussion um die Absetzbarkeit von Kosten für Arbeitsecken scheint wieder mehr Bewegung zu kommen (vgl. dazu Spilker, SteuK 2014, 488 ff., die insoweit eine gesetzliche Lücke diagnostiziert und auf eine an den Großen Senat gerichtete BFH-Vorlage zum Begriff des häuslichen Arbeitszimmers verweist – Beschluss vom 21.11.2013, IX R 23/12, BeckRS 2014, 94247).
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Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, Coesfeld
BC 2/2015
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