BFH-Beschluss vom 18.12.2013, I B 85/13
An der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke (§ 4h EStG 2002 n.F.) wird im Schrifttum und auf Ebene der Finanzgerichte schon seit Längerem gezweifelt. In einem aktuell veröffentlichten Urteil meldet nun auch der BFH ernstliche Bedenken an.
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Problemstellung
Ein Unternehmen erwirtschaftete einen deutlich negativen Zinssaldo. Das Finanzamt beschränkte daraufhin den Zinsabzug gemäß der Zinsschrankenregelung und erfasste den verbleibenden Zinsaufwand als sog. Zinsvortrag.
Im Rahmen der Zinsschranke sind Zinsaufwendungen nur bis zur Höhe der Zinserträge (Zinssaldo) und darüber hinaus in Höhe von 30% des steuerlichen EBITDA sofort als Betriebsausgabe abzugsfähig. |
Hiergegen erhob das Unternehmen Klage und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Obwohl das erstinstanzliche Finanzgericht Münster ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke äußerte, versagte das Gericht dennoch die AdV. Gegen die Ablehnung der AdV wurde beim BFH Revision eingelegt.
Lösung
Der BFH gibt dem klagenden Unternehmen recht und erlaubt die AdV des streitigen Steuerbetrags. In seiner Urteilsbegründung äußert sich das höchste Finanzgericht auch zu seiner Einschätzung der Zinsschrankenregelung. Dabei werden folgende Argumente angeführt:
- Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist in der Regel die Vollziehung eines Steuerbescheids auszusetzen. Dies gilt auch dann, wenn ernstliche Zweifel an der verfassungsrechtlichen Gültigkeit einer Gesetzesnorm bestehen.
- Solche ernstlichen Zweifel bestehen bei der Zinsschranke. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (Grundgesetz) leitet sich auch das sog. objektive Nettoprinzip ab. Dieses besagt: Grundsätzlich darf nur das Nettoeinkommen, also der Saldo aus Betriebseinnahmen und -ausgaben, besteuert werden. Dieses Prinzip wird durch die Zinsschranke durchbrochen, da zwar die gesamten Einnahmen erfasst, der Betriebsausgabenabzug jedoch eingeschränkt ist und teilweise auf Folgeperioden verteilt wird. Durch die Zinsschranke kann es trotz hoher erwirtschafteter Verluste zu einer erheblichen Steuerbelastung kommen. Dies führt zu einer Substanzbesteuerung anstelle der Besteuerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
- Auch eine Rechtfertigung der Zinsschranke als Mittel zur Missbrauchsabwehr ist fraglich, wie der BFH sehr ausführlich darlegt. Darüber hinaus ist aus Sicht des BFH zweifelhaft, ob die Zinsschranke überhaupt erforderlich ist, um den gewünschten Zweck zu erfüllen.
- Das in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommende Ziel, eine Stärkung der Eigenkapitalbasis von Unternehmen herbeizuführen, kollidiert mit der durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierten wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des Unternehmers. Hiernach obliegt es der Entscheidung des Unternehmers, eine für sein Unternehmen passende Eigenkapitalquote zu wählen.
- Zwar führt die Substanzbesteuerung im vorliegenden Fall nicht zu einer existenzgefährdenden Situation, jedoch kann auch bei einer geringeren Belastung das Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen überwiegen. Dies ist dann der Fall, wenn die Gefahren für die öffentliche Haushaltsführung vergleichsweise gering sind. Hiervon ist bei den relativ geringen, durch die Zinsschranke erzielten Mehreinnahmen des Staates auszugehen.
- Die bislang vom BFH vertretene Auffassung, eine AdV scheide aus, wenn nicht damit zu rechnen sei, dass eine Vorschrift rückwirkend für nichtig erklärt werde, wurde zwischenzeitlich aufgegeben.
Aufgrund der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke und der geringen Gefährdung für die öffentliche Haushaltsführung ist somit dem Antrag auf AdV zuzustimmen.
- Die deutliche und ausführliche Stellungnahme des BFH zu den verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Zinsschranke decken sich mit dem überwiegenden Teil des Schrifttums. Es ist davon auszugehen, dass sich auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dieser Auffassung anschließen wird. Fraglich ist allerdings, ob die Regelung rückwirkend für nichtig erklärt wird oder ob dem Gesetzgeber eine Änderung der Regelung für die Zukunft aufgetragen wird. Eine rückwirkende Nichtigkeit hätte für die betroffenen Unternehmen gravierende Auswirkungen: Neben Steuererstattungen wäre hier auch ein etwaiger Zinsvortrag aufzulösen. Bei einem (quotalen) Untergang des Zinsvortrags durch Gesellschafterwechsel müsste es zu einer Rückabwicklung des Untergangs und der Auflösung des Zinsvortrags kommen.
- Auf Grundlage des aktuellen BFH-Urteils sollten von der Zinsschranke betroffene Unternehmen bis zur Klärung des Sachverhalts gegen die betreffenden Steuerbescheide Einspruch einlegen sowie – mit Verweis auf dieses BFH-Urteil und das anhängige Verfahren beim Bundesverfassungsgericht – ein „Ruhen des Verfahrens“ (nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO) beantragen. Wegen der niedrigen Marktzinsverhältnisse ist davon abzuraten, stattdessen einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 361 Abs. 2 AO) zu stellen. Denn hat der Rechtsbehelf letztendlich keinen Erfolg, ist die ausgesetzte Steuerschuld nicht nur zu begleichen, sondern der geschuldete Betrag für die Dauer der Aussetzung zu verzinsen. Die Zinshöhe beläuft sich dann auf 0,5% pro Monat; dies ergibt einen Jahreszins von 6% (§ 237 AO i.V.m. § 238 Abs. 1 AO).
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Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Operational Risk Manager Corporate Finance, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 5/2014
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