Dr. Hans-Jürgen Hillmer
BFH-Urteil vom 19.11.2014, V R 39/13
Dem Antrag auf Vorsteuervergütung (gemäß § 18 Abs. 9 UStG) sind die Rechnungen und Einfuhrbelege im Original beizufügen. Allerdings kann das Verlangen nach Vorlage der Originalrechnung mit dem Vergütungsantrag unverhältnismäßig sein, wenn das Unvermögen des Antragstellers zur fristgerechten Vorlage der Originalrechnung nicht von ihm zu vertreten ist.
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Problemstellung
Anlass zu der BFH-Entscheidung hatte ein Antrag auf Vorsteuervergütung gegeben, der von einem Unternehmen mit Sitz in der Schweiz gestellt worden war. Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) lehnte die Vorsteuervergütung jedenfalls insoweit ab, als einzelne Rechnungen lediglich per Faxkopie eingereicht worden waren; es bemängelte die fehlende Vorlage der Originalrechnungen innerhalb der Ausschlussfrist (gemäß § 18 Abs. 9 UStG).
Zwar war im Streitfall vorgetragen worden, die Originalrechnung sei nie abhandengekommen. Alle Buchhaltungsunterlagen der Klägerin seien im April 2007 an das Treuhandbüro der Klägerin versandt worden. Bis zum Ablauf der Antragsfrist am 30.6.2007 sei die Originalrechnung nicht auffindbar gewesen, weil die Buchhaltungsunterlagen in mehreren Kartons abgelegt gewesen seien. Erst im Dezember 2008 habe eine Mitarbeiterin die Rechnung zufällig in einem Ordner gefunden. Diese wurde tatsächlich mit der Klageschrift auch in das Verfahren eingeführt.
Der BFH hatte zu entscheiden, ob insoweit insbesondere unter Bezug auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein Vergütungsanspruch doch noch zugestanden werden konnte.
Lösung
Laut der Begründung des BFH kann es zwar Konstellationen geben, in denen auf die Vorlage der Originalrechnung verzichtet werden kann. Im Ergebnis hatte der BFH jedoch kein Verständnis für „Belegsammlungen in Schuhkartons“, zumal wenn diese so ungeordnet erfolgen, dass über längere Zeiträume Originalbelege nicht auffindbar sind und nur zufällig wieder auftauchen.
Nach Auffassung des BFH (so auch das Finanzgericht (FG), zur Begründung siehe EFG 2013, 892) ist § 18 Abs. 9 Satz 4 UStG bei Verlust der Originalrechnung wie folgt einschränkend auszulegen: Hat ein Unternehmer den Verlust der Originalrechnung nicht zu vertreten, reiche die Vorlage einer Zweitschrift der Rechnung oder einer Bestätigung des Rechnungsausstellers zu der Rechnungskopie innerhalb der Antragsfrist aus. Die Vorlage einer einfachen Kopie, wie sie von der Klägerin vorgelegt worden sei, genüge aber nicht. Die spätere Vorlage der Originalrechnung im Klageverfahren heile dieses Versäumnis nicht.
Entscheidend ist für den BFH die schon vom EuGH gezogene Linie: Danach kommt ein Verzicht auf die Vorlage der Originalrechnung sowohl unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als auch unter dem des Diskriminierungsverbots nur dann in Betracht, wenn das Abhandenkommen der Rechnung oder des Einfuhrdokuments vom Steuerpflichtigen nicht zu vertreten ist (EuGH-Urteil vom 11.6.1998, C-361/96, Sociéte générale des grandes sources d’eaux minérales francaises, BeckRS 2004, 76744, Rz. 29 und 36). Im entschiedenen Fall beruhte das Unvermögen der Klägerin, die Originalrechnung innerhalb der Frist des § 18 Abs. 9 UStG vorzulegen, aber auf einem von ihr zu vertretenden Organisationsverschulden. Die Klägerin hat es versäumt, ihre Belegverwaltung so zu organisieren, dass ihr ein jederzeitiger Zugriff auf Eingangsrechnungen möglich war. Es liegt im Verantwortungsbereich der Klägerin, wenn der Verbleib der streitbefangenen Rechnung über einen längeren Zeitraum unklar war. Eben aus diesem Grund fand das Argument des Schweizer Unternehmens kein Gehör, ihm müsse ebenso wie einem inländischen Unternehmer die Möglichkeit eröffnet werden, den Nachweis der Berechtigung zum Vorsteuerabzug mit allen zulässigen Beweismitteln zu führen (vgl. dazu zuletzt EuGH-Urteil vom 11.12.2014, C-590/13, Idexx Laboratories Italia). Hierzu gehöre auch eine Rechnungskopie.
Zudem brachten die Münchener BFH-Richter noch die Vermeidung von Steuerbetrug als Argument ein. Das Erfordernis der Vorlage der Originalrechnung ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich berechtigt, weil es das einzige Mittel darstellt, um eine Mehrfachvergütung der Umsatzsteuer mit Sicherheit auszuschließen, und weil die Anerkennung von Zweitschriften oder Kopien das Risiko von Mehrfachvergütungen birgt.
- Im vorliegenden Fall konnte also weder der fristgerechte Antrag unter Beifügung nur einer Kopie der Originalrechnung noch die Vorlage der Originalrechnung mit Klageerhebung nach Ablauf der Frist des § 18 Abs. 9 UStG einen Vergütungsanspruch der Klägerin begründen. Entscheidend war letztlich allein das Organisationsverschulden. Deshalb ist es hier entbehrlich, auf sehr detaillierte Überlegungen einzugehen, die der BFH zur Abwägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, zum Diskriminierungsverbot und zu Verfahrens- und Fristfragen angestellt hat.
- Über die Konsequenzen des Verlusts von Rechnungsunterlagen wurde kürzlich im BC-Newsletter vom 8.1.2015 berichtet: Der Verlust der Originalrechnung an sich ist ein in der Praxis häufig vorkommender Fall, weshalb entsprechende Nachweisprobleme nicht unterschätzt werden dürfen. Bei dem Nachweis geht es allerdings nicht um den Besitz einer nach §§ 14, 14a UStG ausgestellten Rechnung, sondern lediglich um das vormalige Vorhandensein der Originalurkunde. Nicht ausreichend ist dagegen im Regelfall die Kopie eines Vorsteuerkontos aus der Buchführung (BFH-Urteil vom 23.10.2014, V R 23/13).
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Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, Coesfeld
BC 3/2015
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