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BFH zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke

Christian Thurow

Vorabentscheidung des Bundesverfassungsgerichts – BFH-Entscheidung vom 14.10.2015, I R 20/15

 

Seit Einführung der Zinsschranke im Rahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 wurden immer wieder verfassungsrechtliche Bedenken gegen die sog. Zinsschranke laut. Aus Sicht des BFH zu Recht.

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Durch die Zinsschranke im Sinne des § 4h EStG sollen die Möglichkeiten einer missbräuchlichen Gesellschafter-Fremdfinanzierung eingeschränkt werden.

 

 

Im Rahmen der Zinsschranke sind (gemäß § 4h Abs. 1 EStG) Zinsaufwendungen nur bis zur Höhe der Zinserträge (Zinssaldo) und darüber hinaus in Höhe von 30% des steuerlichen EBITDA sofort als Betriebsausgabe abzugsfähig.

 

 

Ein nicht genutzter negativer Zinssaldo kann vorgetragen werden, wobei ein solcher Zinsvortrag, ähnlich den Regelungen zu steuerlichen Verlustvorträgen, bei einem Gesellschafterwechsel untergeht.

Es gibt zwei wesentliche Ausnahmeregelungen bei der Zinsschranke (§ 4h Abs. 2 EStG):

  • Der negative Zinssaldo beträgt weniger als 3 Mio. €.
  • Ein Unternehmen kann nachweisen, dass seine Eigenkapitalquote gleich oder höher ist als die Eigenkapitalquote des Mutterunternehmens (Konzernklausel).

 

 

Lösung

Aus Sicht des BFH ist „eine die Verfassungswidrigkeit vermeidende verfassungskonforme Auslegung“ der Zinsschrankenregelung nicht möglich. Ausführlich widmet sich der BFH in seiner Entscheidung den einzelnen Argumenten für die Zinsschranke und widerlegt sie der Reihe nach.

 

 

Gleichheitsgebot des Art. 3 GG

Die Zinsschranke verstößt gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 GG. Dieser gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Hieraus folgt im Steuerrecht das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit, wonach bei gleicher Leistungsfähigkeit Steuerpflichtige auch gleich zu besteuern sind. Die steuerliche Leistungsfähigkeit bemisst sich dabei nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Dieser Grundsatz wird durch die Zinsschranke durchbrochen, da durch die Versagung des Zinsaufwandabzugs nicht das Nettoeinkommen besteuert wird.

Das Argument, die Zinsschranke sei veranlagungszeitraumübergreifend konzipiert, und Zinsaufwendungen seien aufgrund der Vortragsmöglichkeit nur vorübergehend nicht abziehbar, lässt der BFH nicht gelten. Insbesondere die Möglichkeit des Untergangs des Zinsvortrags auch bei fortbestehender Identität des Steuersubjekts spricht gegen eine solche veranlagungszeitraumübergreifende Konzeption. Außerdem kann ein Zinsvortrag nur durch ein erfolgreicheres Wirtschaften in den folgenden Geschäftsjahren genutzt werden. Dies wird durch den Liquiditätsabfluss, den die Zinsschranke verursacht, aber erschwert.

 

 

Lenkungszweck: Eigenkapitalausstattung

Eines der Ziele der Zinsschranke ist die Stärkung der Eigenkapitalbasis deutscher Unternehmen. Obwohl dieser Lenkungszweck aus Sicht des BFH legitim ist, verfehlt ihn die Zinsschranke in ihrer aktuellen Konzeption. Laut BMF hatten im Veranlagungszeitraum 2008 weniger als 1.200 von rund 1 Mio. Kapitalgesellschaften einen Nettozinsaufwand von mehr als 3 Mio. €. Die Zinsschranke griff bei „deutlich unter 1.000“ Steuerpflichtigen. Sind aber nur weniger als 0,1% der Steuerpflichtigen betroffen, so kann das Lenkungsziel als verfehlt angesehen werden.

 

 

Lenkungsziel: Investitionsanreize im Inland

Soweit durch die Zinsschranke das Ziel verfolgt wird, durch aufgelaufene Zinsvorträge Investitionsanreize im Inland zu schaffen, bestehen bei dieser Privilegierung von Inlands- gegenüber Auslandsinvestitionen unionsrechtliche Zweifel. Darüber hinaus greift die Zinsschranke auch im reinen Inlandsfall, weshalb die Konzeption dem Lenkungsziel nicht gerecht wird.

 

 

Deckung des staatlichen Finanzbedarfs

Die Zinsschranke dient u.a. der Gegenfinanzierung der Absenkung von Körperschaftsteuersatz und Gewerbesteuermesszahl. Ein solches steuerpolitisches Vorhaben rechtfertigt aber nicht die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips. Zumal auch das Ziel der Gegenfinanzierung aufgrund der sehr geringen Zahl der betroffenen Steuerfälle (siehe oben) verfehlt wird.

 

 

Missbrauchsabwehr

Auch das Ziel der Bekämpfung missbräuchlicher Gesellschafter-Fremdfinanzierung zur Verlagerung steuerlicher Gewinne ins Ausland ist konzeptionell verfehlt, da die Zinsschranke auch den reinen Inlandsfall betrifft. Außerdem greift die Zinsschranke bei missbräuchlichen Gestaltungen unterhalb der Freigrenze von 3 Mio. € nicht, während sie sich andererseits bei marktüblichen und legitimen Finanzierungsgestaltungen oberhalb der Freigrenze auswirkt.

 

 

Vorlagefrage an das Bundesverfassungsgericht

Ist die Zinsschranke verfassungsgemäß, so ist die Revision hiergegen unbegründet. Folgt das Bundesverfassungsgericht dagegen der Rechtsauffassung des BFH und hält die Zinsschranke mit Art. 3 GG für unvereinbar, so hätte die Revision Erfolg und die festgesetzte Körperschaftsteuer wäre zu mindern.

 

 

Praxishinweise:

  • Der BFH lässt in seiner Entscheidungsbegründung keinen Zweifel an der aus seiner Sicht fehlenden Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke. Folgt das Bundesverfassungsgericht dieser Auffassung, ergibt sich für die betroffenen Unternehmen ein hoher administrativer Aufwand. Soweit die Steuerbescheide noch keine Bestandskraft erlangt haben, müssten Zinsvorträge zurückgerechnet und die Steuerbescheide korrigiert werden. Vor allem bei einem zwischenzeitlichen Untergang der Zinsvorträge durch Gesellschafterwechsel ist darauf zu achten, dass eine entsprechende Dokumentation zur Hand ist.
  • Bereits in BC 2014, 183, Heft 5, wurde empfohlen: Auf der Grundlage des aktuellen BFH-Urteils sollten von der Zinsschranke betroffene Unternehmen bis zur Klärung des Sachverhalts gegen die betreffenden Steuerbescheide Einspruch einlegen sowie – mit Verweis auf dieses BFH-Urteil und das anhängige Verfahren beim Bundesverfassungsgericht – ein „Ruhen des Verfahrens“ (nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO) beantragen. Wegen der niedrigen Marktzinsverhältnisse ist davon abzuraten, stattdessen einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 361 Abs. 2 AO) zu stellen. Denn hat der Rechtsbehelf letztendlich keinen Erfolg, ist die ausgesetzte Steuerschuld nicht nur zu begleichen, sondern der geschuldete Betrag für die Dauer der Aussetzung zu verzinsen. Die Zinshöhe beläuft sich dann auf 0,5% pro Monat; dies ergibt einen Jahreszins von 6% (§ 237 AO i.V.m. § 238 Abs. 1 AO).

 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Lead Auditor Europe in der Internen Revision, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)

BC 3/2016

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