FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 1.3.2016, 4 K 362/15 (Revision zugelassen)
Verfügt ein Selbstständiger über eigene Praxisräume, so steht ihm grundsätzlich ein Arbeitsplatz zur Verfügung, wodurch die Notwendigkeit eines betrieblichen Arbeitszimmers entfällt. Doch ist der Arbeitsplatz in den eigenen Praxisräumen nicht in jedem Fall zumutbar, wie das FG Sachsen-Anhalt anhand mehrerer Kriterien festgestellt hat.
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Problemstellung
Ein selbstständiger Logopäde war in zwei angemieteten und von ihm betriebenen Praxen sowie bei Außenterminen im Krankenhaus und bei häuslichen Patientenbesuchen tätig. In seiner Einkommensteuererklärung machte er Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer geltend.
Das Finanzamt versagte den Abzug der Aufwendungen mit der Begründung, dass dem Logopäden für Bürotätigkeiten ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stünde.
In seinem Einspruch führt der Logopäde u.a. an, dass ihm für wesentliche und für seinen Beruf prägende Tätigkeiten, wie die Erstellung von Personalplanung und -abrechnung, Patientenabrechnung, Erstellung von Patientengutachten und Behandlungsberichten, kein geeigneter Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Die Praxisräume sind ausschließlich als Behandlungsräume eingerichtet und werden von seinen Angestellten entsprechend genutzt. Die Behandlungen setzen des Öfteren einen Wechsel der Räume voraus, da die Räume mit unterschiedlichen Geräten eingerichtet sind. Somit sei die Verrichtung von Verwaltungstätigkeiten während der Praxisöffnungszeiten aufgrund der fehlenden Ruhe nicht möglich. Außerdem bestünde die Gefahr, dass vertrauliche Daten, wie z.B. Gehaltsinformationen, dem Zugriff der Mitarbeiter ausgesetzt seien, wenn die entsprechenden Unterlagen in den Praxisräumen aufbewahrt werden würden.
Das Finanzamt lehnte den Einspruch ab. Aus Sicht der Behörde sei dem Kläger zumutbar, die Verwaltungsarbeiten gegebenenfalls außerhalb der Praxisöffnungszeiten auszuführen. In seiner Klage lehnte der Logopäde dies als unzumutbaren Eingriff in die organisatorischen Abläufe seiner Tätigkeit ab.
Lösung
Das Finanzgericht (FG) Sachsen-Anhalt kommt in seinem Urteil zu dem Schluss, dass trotz eigener Praxisräume – und somit dem Vorhandensein eines Arbeitsplatzes – die Notwendigkeit eines häuslichen Arbeitszimmers gegeben sein kann. Entscheidend ist, ob der zur Verfügung stehende Arbeitsplatz zumutbar ist. Dabei kommt es laut BFH-Rechtsprechung darauf an, ob der Arbeitsplatz „in dem konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise“ tatsächlich genutzt werden kann. Ist dies zu bejahen, so ist der Steuerpflichtige nicht auf ein häusliches Arbeitszimmer angewiesen, und es greift das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG. Nicht zum Tragen kommt das Abzugsverbot dagegen, wenn der Steuerpflichtige seinen Arbeitsplatz nur eingeschränkt für die anfallenden Tätigkeiten nutzen kann. Ob dies gegeben ist, ist im Einzelfall zu prüfen. Das Finanzgericht nahm diese Prüfung anhand folgender Kriterien vor:
- Räumliche Distanz: Im Ausgangsfall betreibt der Kläger zwei Praxen, eine in seinem Wohnort und eine in einem anderen Ort. Aufgrund der räumlichen Entfernung vom Wohnort zur zweiten Praxis (ca. 47 km bzw. eine ¾ Stunde Fahrtzeit) kann vom Kläger nicht erwartet werden, dass er seine Bürotätigkeiten regelmäßig dort erledige.
- Einrichtung und Nutzbarkeit: Die Praxis am Wohnort des Klägers verfügt über drei Therapieräume. Diese sind schallisoliert und ausschließlich auf die Behandlung von Patienten ausgelegt. Die Betriebsräume sind nur eingeschränkt für andere Tätigkeiten nutzbar. Eine Einschränkung von Behandlungsmöglichkeiten für die Durchführung von Büro- und Verwaltungstätigkeiten ist nicht zumutbar.
- Belegung der Räume: Der Kläger beschäftigt drei Angestellte, so dass die drei Behandlungsräume in der Regel dauerhaft von den Mitarbeitern belegt sind.
- Vertraulichkeit: Es ist dem Kläger zuzugestehen, dass vertrauliche Akten und Schriftverkehr nicht bzw. nur sehr begrenzt offen in der Praxis aufbewahrt werden können. Hinzu kommt im Ausgangsfall das offene Praxiskonzept. Es gibt keine Empfangskraft, die Patienten betreten die offene Praxis und warten in der Diele auf ihren Termin. Dies erschwert die notwendige Vertraulichkeit.
- Zeitlicher Rahmen: Den Ausführungen des Finanzamts, wonach der Kläger die Räumlichkeiten außerhalb der Praxisöffnungszeiten nutzen könnte, folgt das FG Sachsen-Anhalt nicht. Sind die Räumlichkeiten nur in den Abendstunden bzw. am Wochenende nutzbar, so sind sie gerade nicht in dem konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise nutzbar.
- Höhe der Aufwendungen: Im Ausgangsfall nimmt das häusliche Arbeitszimmer lediglich eine Fläche von 7,1% der Gesamtwohnfläche ein. Eine Verlagerung privater Ausgaben in die betriebliche Sphäre ist hier nicht in größerem Umfang zu befürchten.
Anhand der aufgeführten Kriterien kommt das FG Sachsen-Anhalt zu dem Schluss, dass die vorhandenen Räumlichkeiten und das Praxiskonzept die Nutzung eines häuslichen Arbeitszimmers erfordern. Insofern greift das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG nicht.
Die Revision ist insbesondere zugelassen, um zu klären, ob die Nutzung betrieblicher Räume außerhalb der üblichen Praxiszeiten zumutbar ist.
Bei selbstständigen Bilanzbuchhaltern und Controllern wird es bei Anwendung der oben genannten Kriterien schwierig sein, ein häusliches Arbeitszimmer bei Vorhandensein von externen Büroräumen zu rechtfertigen. Die Kriterien „Einrichtung und Nutzbarkeit“ sowie „Vertraulichkeit“ fallen weg, da die berufliche Tätigkeit eines Bilanzbuchhalters und Controllers für vertrauliche Büro- und Verwaltungstätigkeit eingerichtete Räumlichkeiten erfordert. Auch lassen sich bei Bilanzbuchhaltern und Controllern Verwaltungs- und Mandantentätigkeiten nicht so klar trennen wie bei einem Logopäden. Insofern ist das Kriterium der räumlichen Distanz weniger relevant, wenn ein selbstständiger Bilanzbuchhalter die externen Räumlichkeiten für seine berufliche Tätigkeit aufsucht. |
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Vice President Audit Operations & Reporting, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 7/2016
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