OLG Nürnberg, Urteil vom 26.5.2009, 3 U 178/09 (Revision eingelegt, Az. BGH: I ZR 95/09)
Bilanzbuchhalter/innen und Buchhalter müssen ihre selbstständige Tätigkeit als freier Mitarbeiter bei einer Steuerberatungsgesellschaft nicht am Ort ihrer beruflichen Niederlassung oder im Nahbereich der bei der Steuerberatungsgesellschaft beschäftigten Berufsträger (u.a. Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) wahrnehmen. Wettbewerbsrechtlich dürfen diesbezüglich Steuerberater bundesweit Stellenanzeigen schalten.
[Leitsatz d. Red.]
Praxis-Info!
Problemstellung
Eine Steuerberatungsgesellschaft, die bundesweit 50 Niederlassungen unterhält, versuchte durch Stellenanzeigen im Internet und in einer Fachzeitschrift sowie mithilfe von persönlichen Anschreiben im gesamten Bundesgebiet, Buchführungshelfer als freie Mitarbeiter zu gewinnen.
Dies wurde von der Steuerberaterkammer als unlautere geschäftliche Handlung nach § 4 Nr. 11 UWG beanstandet. Begründung: Die Beschäftigung von freien Mitarbeitern sei (gemäß § 7 BOStB) nur dann zulässig, wenn diese weisungsgebunden unter der fachlichen Aufsicht und beruflichen Verantwortung des Steuerberaters tätig seien. Nur wenn sich die freien Mitarbeiter im Nahbereich des eigentlichen Berufsträgers befänden, seien diese Anforderungen gewahrt.
Der Nahbereich umfasst einen Umkreis von 50 km zum Sitz der Steuerberatergesellschaft oder die Erreichbarkeit binnen einer Stunde (vgl. Rechtsprechung zu § 50 Abs. 1, § 34 Abs. 2 Satz 2 StBerG). |
Demnach hätte die freie Mitarbeiteranwerbung durch die Steuerberatungsgesellschaft auf den jeweiligen Nahbereich beschränkt werden sollen.
Lösung
Nach Auffassung des OLG Nürnberg hat die Steuerberatungsgesellschaft mit ihren Beschäftigungsangeboten für freie Mitarbeiter keine unlautere geschäftliche Handlung (nach § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG) vorgenommen.
Die Nahbereichsregel gemäß § 34 Abs. 2 Satz 2 StBerG betrifft lediglich den Steuerberater selbst, aber nicht seinen freien Mitarbeiter. Eine analoge Anwendung auf den freien Mitarbeiter scheidet aus, zumal eine entsprechende Regelung nicht in § 7 BOStB aufgenommen worden ist.
Die freie Mitarbeit von selbstständigen Bilanzbuchhaltern bei Steuerberatern ist seit 1.4.2005 zulässig: Nach Aufforderung durch das Bundeskartellamt wurde ein diesbezügliches Verbot in § 7 der Berufsordnung der Steuerberater (BOBSt) aufgehoben (vgl. im Einzelnen von Schubert, BC 10/2004, S. 227 f.). Somit ist jede Mitarbeit in Steuerberaterpraxen gestattet, soweit die beschäftigten Personen unter der fachlichen Aufsicht und beruflichen Verantwortung des Steuerberaters tätig werden. |
Charakteristisch für den freien Mitarbeiter ist es gerade, im Unterschied zum Arbeitnehmer Zeit, Dauer und Ort seiner Tätigkeit frei bestimmen zu können.
Die Formulierung in § 7 BOStB, ein freier Mitarbeiter müsse „weisungsgebunden unter der fachlichen Aufsicht und beruflichen Verantwortung des Steuerberaters” tätig sein, setzt keine Tätigkeit im Nahbereich voraus. Denn die heutigen modernen Kommunikationsmittel, insbesondere die Kontaktmöglichkeiten über E-Mail, Internet und Handy, stellen eine jederzeitige Erreichbarkeit und damit sowohl kontrollierende als auch unterstützende Tätigkeit zwischen dem verantwortlichen Steuerberater und dem freien Mitarbeiter über jegliche räumliche Distanz sicher.
Die Interessenlage des Mandanten an einer schnellen persönlichen Erreichbarkeit seines Steuerberaters unterscheidet sich ganz wesentlich von der fachlichen Aufsicht über einen freien Mitarbeiter. Letztere ist dem Bereich der Bürogeschäfte zuzuordnen, für deren Erledigung (auch laut BFH-Rechtsprechung) der Einsatz moderner Telekommunikationsmittel für ausreichend erachtet wird.
Hinsichtlich der bundesweiten Werbung muss es der Steuerberatungsgesellschaft unbenommen bleiben, ihre freien Mitarbeiter aus einem möglichst großen, d.h. bundesweiten Reservoir zu schöpfen.
- Eine räumliche Begrenzung der Tätigkeit für die als freie Mitarbeiter gesuchten Finanz- bzw. Bilanzbuchhalter dürfte auch dem Grundrecht der Berufsfreiheit zuwiderlaufen. Die freie Wahl des Arbeitsplatzes (gemäß Art. 12 Abs. 1 GG) lässt eigentlich keinen Raum für eine derartige erhebliche Einschränkung. Dies könnte gegebenenfalls die noch ausstehende BGH-Entscheidung in diesem Streitfall maßgeblich bestimmen. Die Erstinstanz, das Landgericht Nürnberg, sah jedoch die Anwendung der Nahbereichsregelung bei freien Mitarbeitern von Steuerberatern (mit Blick auf deren Aufsichtspflichten und beruflicher Verantwortung) als berechtigt an.
- Die Nahbereichsregelung wäre auch hinsichtlich einer projektbezogenen Zusammenarbeit von selbstständigen Bilanzbuchhaltern und Controllern, u.a. im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Beratung von Mandanten (z.B. Auftrag über den Aufbau einer Kosten- und Leistungsrechnung, Einrichten eines Steuerungs- und Überwachungssystems) problematisch.
- Allerdings: Je nach Ausgang des Rechtsstreits ist eine Änderung der Berufsordnung durch die Bundessteuerberaterkammer (speziell zu § 7 BOStB) nicht auszuschließen, welche die Nahbereichsregelung dort aufnehmen könnte.
- Zur Abgrenzung zwischen einer freien Mitarbeit bei einem Steuerberater und einer darüber hinausgehenden Zusammenarbeit bzw. Kooperation mit Steuerberatern – siehe hier.
|
[Anm. d. Red.]
Heft 4/2010
becklink299480