Bisher noch offene Zweifelsfragen
Durch das Nebeneinander von Verwaltungsanweisung (BMF-Schreiben vom 18.7.2003, BStBl. I 2003, 386) und gesetzlicher Neuregelung in § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG sind Fragen zu deren Anwendungsbereich aufgetreten. Nach Abstimmung auf Bund-Länder-Ebene wird gebeten, hierzu folgende Auffassung zu vertreten:
1. Sollen Aufwendungen, die zur Beseitigung der Funktionsuntüchtigkeit führen und für sich Anschaffungskosten sind, in die Prüfung der 15%-Grenze des § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG einbezogen werden?
§ 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG schließt nur Aufwendungen für Erweiterungen im Sinne des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB sowie Aufwendungen für jährlich üblicherweise anfallende Erhaltungsarbeiten von den zu berücksichtigenden Herstellungskosten aus. Aufwendungen zur Beseitigung der Funktionsuntüchtigkeit oder zur Hebung des Standards sind hiervon nicht berührt und daher in die Prüfung der 15%-Grenze einzubeziehen (vgl. BFH-Urteil vom 14.6.2016, IX R 15/15, BStBl. II 2016, 996, vgl. Thurow, BC 2016, 446, Heft 10).
2. Sind Schönheitsreparaturen in die Berechnung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG einzubeziehen?
Zu den Aufwendungen im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG gehören unabhängig von ihrer handelsrechtlichen Einordnung sämtliche Aufwendungen für bauliche Maßnahmen, die im Rahmen einer im Zusammenhang mit der Anschaffung des Gebäudes vorgenommenen Instandsetzung und Modernisierung anfallen und nicht nach Satz 2 der Vorschrift ausdrücklich ausgenommen sind (vgl. BFH-Urteil vom 14.6.2016, IX R 22/15, BStBl. II 2016, 999, vgl. Thurow, BC 2016, 446, Heft 10). Hierzu gehören auch Kosten für sog. Schönheitsreparaturen wie das Tapezieren, Anstreichen oder Kalken der Wände und Decken, das Streichen der Fußböden, Heizkörper, der Innen- und Außentüren sowie der Fenster. An dem bisher geforderten engen räumlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang der Schönheitsreparaturen zu einer als einheitlich zu würdigenden Instandsetzung und Modernisierung des Gebäudes (vgl. BFH-Urteil vom 25.8.2009, IX R 20/08, BStBl. II 2010, 125, vgl. Weber/Markgraf, BC 2010, 4 ff., Heft 1) hält der BFH nicht länger fest.
3. Sind die jährlich üblicherweise anfallenden Erhaltungsarbeiten auch dann sofort abziehbar, wenn sie im Rahmen einheitlich zu würdigender Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG anfallen?
Aufwendungen im Zusammenhang mit der Anschaffung eines Gebäudes sind – unabhängig davon, ob sie auf jährlich üblicherweise anfallenden Erhaltungsarbeiten im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG beruhen – nicht als Erhaltungsaufwand sofort abziehbar, wenn sie im Rahmen einheitlich zu würdigender Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG anfallen (BFH-Urteil vom 25.8.2009, IX R 20/08, BStBl. II 2010, 125, vgl. Weber/Markgraf, BC 2010, 4 ff., Heft 1).
4. Bleiben – auch im Fall des Unterschreitens der 15%-Grenze – die in die Prüfung einbezogenen Aufwendungen Anschaffungs- oder Herstellungskosten?
Aufwendungen, die innerhalb des Dreijahreszeitraums getätigt werden und nach den Kriterien des oben angeführten BMF-Schreibens Anschaffungs- oder Herstellungskosten sind, in ihrer Summe aber die 15%-Grenze nicht überschreiten, sind (und bleiben) Anschaffungs- oder Herstellungskosten im Sinne des § 255 HGB.
5. Wie ist eine Sanierung in Raten zur Hebung des Standards zu behandeln, die erst nach Ablauf des Dreijahreszeitraums zu Herstellungskosten im Sinne der BFH-Rechtsprechung/des BMF-Schreibens führt?
Auch wenn Aufwendungen für Baumaßnahmen erst nach Ablauf des Dreijahreszeitraums des § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG die 15%-Grenze überschreiten, sind sie nach Rn. 31 des BMF-Schreibens vom 18.7.2003 steuerlich als Herstellungskosten im Sinne von § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB zu behandeln.
6. Ist die 15%-Grenze des § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG auf das Gebäude insgesamt oder aber auf die einzelnen Gebäudeteile im Sinne des R 4.2 Abs. 4 EStR zu beziehen?
Bei der Prüfung, ob die Aufwendungen für Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwendungen zu anschaffungsnahen Herstellungskosten im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG führen, ist bei einem aus mehreren Einheiten bestehenden Gebäude dann auf das Gebäude insgesamt abzustellen, wenn das Gesamtgebäude nicht in unterschiedlicher Weise genutzt wird und somit nicht in verschiedene Wirtschaftsgüter aufzuteilen ist (Umkehrschluss aus BFH-Urteil vom 25.9.2007, IX R 28/07, BStBl. II 2008, 218). Maßgeblich ist insoweit, ob zwischen den Gebäudeteilen ein einheitlicher Nutzungs- und Funktionszusammenhang besteht (vgl. auch BFH vom 7.12.2010, IX R 14/10, BFH/NV 2011, 1302).
Wird das Gebäude unterschiedlich genutzt (z.B. Wohnhaus mit drei vermieteten Wohnungen und einer selbstgenutzten Wohnung), ist auf den jeweilig selbstständigen Gebäudeteil abzustellen (wirtschaftsgutbezogene Betrachtungsweise, BFH vom 14.6.2016, IX R 22/15, BStBl. II 2016, 999, vgl. Thurow, BC 2016, 446, Heft 10). Das Gebäude ist dann in unterschiedliche Wirtschaftsgüter entsprechend der Nutzungs- und Funktionszusammenhänge aufzuteilen (vgl. R 4.2 Abs. 4 EStR).
Werden die Wohnungen durch Einzelvertrag erworben (Sondereigentum nach dem WEG), ist die 15%-Grenze auf jede einzelne Wohnung anzuwenden.
An der mit Verfügung vom 18.11.2004 der OFD Rheinland und Münster vertretenen Auffassung, dass generell auf das gesamte Gebäude abzustellen ist, wird nicht weiter festgehalten.
7. Ist für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG hinsichtlich der Durchführung der Maßnahmen innerhalb der Dreijahresfrist der Beginn, der einzelne Bauabschnitt oder der Abschluss der Baumaßnahme entscheidungserheblich?
Es sind sämtliche Baumaßnahmen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG in den Dreijahreszeitraum einzubeziehen, die innerhalb dieses Zeitraums ausgeführt wurden. Die Baumaßnahmen müssen zum Ende des Dreijahreszeitraums weder abgeschlossen, abgerechnet noch bezahlt werden.
Mit dieser – am Wortlaut der Vorschrift ausgerichteten Rechtsauffassung – wird verhindert, dass die gesetzliche Norm des § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG mittels ungerechtfertigter Gestaltungen (z.B. Hinauszögern des Abschlusses von Baumaßnahmen, verspätete Abnahme der Werkleistung, verspätete Bezahlung) umgangen werden kann.
Wird eine vor Ablauf der Dreijahresfrist begonnene Baumaßnahme erst nach Ablauf der Dreijahresfrist beendet und überschreiten die bis zum Ablauf des Dreijahreszeitraums bereits durchgeführten Leistungen die 15%-Grenze, so ist insoweit anschaffungsnaher Herstellungsaufwand gegeben. Die nach Beendigung der Dreijahresfrist noch getätigten Leistungen dieser Baumaßnahme werden nicht in die Ermittlung der 15%-Grenze einbezogen und unterliegen auch nicht der Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG. Es ist aber zu prüfen, ob diese Maßnahme zu Herstellungskosten im Sinne des BMF-Schreibens vom 18.7.2003 führt.
Hinweis zu den Punkten 2 und 6 der Verfügung:
Zurzeit wird auf Bund-/Länderebene erörtert, ob im Hinblick auf die für den Steuerpflichtigen unter Umständen nachteilige BFH-Rechtsprechung (Berücksichtigung von Schönheitsreparaturen, wirtschaftsgutbezogene Prüfung) aus Vertrauensschutzgründen eine Übergangsregelung vorzusehen ist. Einsprüche sind deshalb von der Bearbeitung zurückzustellen.
Die Verfügungen der OFD Rheinland und Münster vom 18.11.2004 (S 2211 – 1001 – St 232 und S 2211 – 41 – St 21 – 31) werden hiermit aufgehoben.
Praxishinweise: Laut der jüngsten BFH-Rechtsprechung gehören nicht nur Renovierungsaufwendungen, sondern auch sämtliche Schönheitsreparaturen (z.B. Tapezieren von Wänden), die bei einer Sanierung innerhalb von drei Jahren nach Anschaffung eines Gebäudes anfallen, zu den anschaffungsnahen Herstellungskosten (siehe BFH-Urteile vom 14.6.2016, IX R 25/14, IX R 15/15 und IX R 22/15, siehe Thurow, BC 2016, 446, Heft 10). Damit haben Ausweichmanöver zur Umgehung der Regelungen zur 15%-Grenze kaum noch eine Chance. So wurde beispielsweise zuweilen ein Teil der Aufwendungen als „Schönheitsreparatur“ gekennzeichnet und nicht in die Berechnung der 15%-Grenze mit einbezogen. Wann liegen Erweiterungen vor, die nicht jährlich anfallen? Führt ein Bündel von Baumaßnahmen bei mindestens drei Bereichen der zentralen Ausstattungsmerkmale – Heizungs-, Sanitär-, Elektroinstallationen oder Fenster – zu einer Erhöhung und Erweiterung des Gebrauchswerts, hebt sich der Standard eines Gebäudes, so dass dieser Aufwand zu Anschaffungs-/Herstellungskosten führt. Eine Erweiterung liegt beispielsweise vor, - wenn ein Gebäude aufgestockt oder ein Anbau an diesem errichtet wird,
- wenn die nutzbare Fläche des Gebäudes vergrößert wird (z.B. durch Errichtung einer zuvor nicht vorhandenen Dachgaube, Anbau eines Balkons oder einer Terrasse über die ganze Gebäudebreite),
- wenn ein Gebäude in seiner Substanz vermehrt wird, ohne dadurch zugleich seine nutzbare Fläche zu vergrößern (z.B. bei Errichtung einer Außentreppe, bei Einbau einer Alarmanlage). Keine Substanzmehrung liegt u.a. vor beim Anbringen einer zusätzlichen Fassadenverkleidung (z.B. Eternit, Hartschaumplatten oder Sichtklinker) zu Wärme- oder Schallschutzzwecken, beim Vergrößern eines bereits vorhandenen Fensters oder beim Versetzen von Wänden.
Das Merkmal der Erweiterung in § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB tritt hinter das der wesentlichen Verbesserung zurück. |
[Anm. d. Red.]
BC 5/2017
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