FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.1.2017, 7 V 7111/16
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob allein die falsche Anschrift des Leistungsempfängers in der Rechnung zur Versagung des Vorsteuerabzugs berechtigt.
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Problemstellung
Der Kommanditist einer GmbH & Co. KG ist zugleich Geschäftsführer der Komplementär-GmbH. Gegenstand des Unternehmens ist die Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb von Software sowie Dienstleistungen und Schulungen im Bereich Systementwicklung. Im August 2012 schloss die GmbH & Co. KG mit ihrem Kommanditisten einen Markenlizenzvertrag. Danach konnte die GmbH & Co. KG eine Wort-Bildmarke (des Kommanditisten) für bestimmte Softwarelösungen benutzen.
Im Januar 2013 stellte der Kommanditist Lizenzgebühren in Rechnung. Die Empfängeradresse der Rechnung lautete „F., G.-straße in H.“.
Nach Durchführung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung für April 2012 bis Mai 2013 gelangte das Finanzamt zu der Auffassung, die GmbH & Co. KG sei im Streitzeitraum keine Unternehmerin im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG gewesen. Außerdem sei die Zahlung der Rechnungen, die dem Vorsteuerabzug unterlagen, nicht nachgewiesen worden. Deshalb sei ihr der Vorsteuerabzug zu versagen. Die GmbH & Co. KG macht hingegen geltend, sie sei seit ihrer Gründung unternehmerisch tätig gewesen. Allerdings habe die Entwicklung der von ihr zu vertreibenden Produkte einige Zeit benötigt.
Lösung
Es sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, aufgrund derer die Gewährung des Vorsteuerabzugs zweifelsfrei versagt werden könnte.
Unklar ist zwar, ob die GmbH & Co. KG im Januar und Februar 2013 noch unter der Anschrift G.-straße in H. ansässig war. Den streitbefangenen Rechnungen könnte es daher allenfalls an der erforderlichen vollständigen Anschrift des Leistungsempfängers fehlen (siehe § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG i.V.m. § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG). Allerdings hat der BFH jüngst an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Klärungsfrage gerichtet, ob der Vorsteuerabzug allein deshalb versagt werden darf, weil eine Eingangsrechnung nicht die zutreffende Anschrift des ebenfalls in § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG genannten Rechnungsausstellers enthält (BFH-Beschlüsse vom 6.4.2016, XI R 20/14, beim EuGH anhängig unter Az. C-374/16 – Geissel; vom 6.4.2016, V R 25/15, beim EuGH anhängig unter Az. C-375/16 – Butin).
Im Streitfall besteht über die Identität der Rechnungsempfängerin – der GmbH & Co. KG – kein Zweifel. Jedenfalls über die Wohnanschrift des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH war das Unternehmen für das Finanzamt erreichbar. Das Vorhandensein eines Geschäftslokals ist zwar ein Indiz für eine unternehmerische Tätigkeit, aber dafür auch nicht zwingend. Auch aus diesen Erwägungen ist ernstlich zweifelhaft, ob die Angabe einer falschen Empfängeranschrift den Vorsteuerabzug aus einer Eingangsrechnung hindern könnte.
Das FG Berlin-Brandenburg äußert zu Recht Zweifel daran, ob der Vorsteuerabzug voraussetzt, dass unter der auf der Rechnung angegebenen Anschrift auch tatsächlich die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmers ausgeübt wird. Hierbei verweist das Gericht auf eine noch nicht beantwortete Klärungsfrage des BFH durch den EuGH. Mit Blick auf die Anschrift des leistenden Unternehmers lässt sich jedenfalls feststellen: Angesichts des technischen Fortschritts ist die bislang erforderliche Angabe derjenigen Lieferantenanschrift, unter welcher die wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, überholt. Denn ein Onlinehandel kann z.B. mobil von mehreren Orten aus gleichzeitig betrieben werden, weshalb es für den Empfänger nahezu unmöglich ist, den genauen Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit zu bestimmen. |
[Anm. d. Red.]
BC 6/2017
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