BFH-Urteil vom 27.9.2017, XI R 9/16
Die englische Redewendung „Put up or shut up“ besagt, dass man seine Zweifel und Bedenken im Vorfeld einer Entscheidung klar aussprechen und nicht später dauernd wieder mit negativen Bemerkungen auffallen sollte. Der eine oder andere mag sich an einen ähnlichen Satz von kirchlichen Hochzeiten erinnern: „Dann möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen.“ Geschäftsführer sollten sich diese Weisheiten im Insolvenzfall zu Herzen nehmen.
Praxis-Info!
Problemstellung
Eine GmbH gab mehrere Umsatz- und Körperschaftsteuererklärungen nicht ab. Das Finanzamt schätzte daraufhin die Besteuerungsgrundlagen und erließ entsprechende Steuerbescheide, gegen die fristgerecht Einspruch erhoben wurde. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens reichte die GmbH ihre fehlenden Steuererklärungen nach.
Das Finanzamt berechnete die Steuer neu, wich dabei aber von den Erklärungen ab. Die neu berechneten Steuerforderungen wurden nach Absprache mit dem Insolvenzverwalter nebst Zinsen und Säumniszuschlägen zur Insolvenztabelle angemeldet.
Der Geschäftsführer der GmbH, welcher auch während des Insolvenzverfahrens weiter seine Leitungsfunktion ausübte, widersprach den Forderungen nicht. Nachdem das Insolvenzverfahren wegen Vermögenslosigkeit eingestellt wurde, nahm das Finanzamt den Geschäftsführer gemäß § 69 AO für die offenen Steuerforderungen in Haftung.
In seiner Klage und Revision macht der Geschäftsführer geltend, dass auch gegen die geänderten Bescheide Einspruch eingelegt wurde. Die Absprache mit dem Insolvenzverwalter stelle keinen neuen Bescheid dar. Der fehlende Widerspruch gegen die Forderungsanmeldung kann somit nicht als Einverständnis gewertet werden, da die endgültige Grundlage für die Höhe der Steuerschuld dem Geschäftsführer nicht bekannt war.
Lösung
Der BFH folgt der Rechtsaufassung des Finanzamts. Zunächst stellt er in seinem Urteil die Haftung des Geschäftsführers gemäß § 69 AO fest.
Anschließend legt der BFH dar, dass der Geschäftsführer die widerspruchslose Feststellung zur Insolvenztabelle gegen sich gelten lassen muss. Nach § 166 AO muss neben dem Gesamtrechtsnachfolger auch derjenige eine unanfechtbar festgesetzte Steuerschuld gegen sich gelten lassen, der als Vertreter in der Lage gewesen wäre, den Bescheid rechtzeitig anzufechten. Im Insolvenzfall ist die widerspruchslose Feststellung einer Steuerforderung (im Insolvenzverfahren) als unanfechtbare Steuerfestsetzung im Sinne des § 166 AO anzusehen.
Als gesetzlicher Vertreter der GmbH hat der Geschäftsführer der Anmeldung zur Insolvenztabelle im Namen der GmbH nicht widersprochen. Ein solcher Widerspruch hätte das Finanzamt gezwungen, das Einspruchsverfahren gegenüber der GmbH als widersprechender Insolvenzschuldnerin aufzunehmen. Mit Eintragung in die Insolvenztabelle wurde die Steuerfestsetzung unanfechtbar; der Geschäftsführer kann nun keine Einwendungen gegen die Höhe der Steuern mehr geltend machen.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 12/2017
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