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Nachträgliche Betriebseinnahmen im Falle des Strukturwandels zur Liebhaberei

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

BFH-Urteil vom 11.5.2016, X R 61/14

 

Vollzieht ein Einzelhandel einen Strukturwandel zur Liebhaberei, stellt dies keine gewinnrealisierende Betriebsaufgabe dar. Hat ein solcher Einzelhändler in dem Zeitraum, in dem er noch mit Einkunftserzielungsabsicht handelte, die Anschaffungskosten für ein Wirtschaftsgut des Umlaufvermögens als Betriebsausgaben abgesetzt, so stellt auch nach Wegfall der Einkunftserzielungsabsicht die Verwirklichung eines Realisationsakts in Bezug auf dieses Wirtschaftsgut dem Grunde nach einen Steuertatbestand dar.

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

In dem vom BFH entschiedenen Verfahren war der Kläger zum einen als Arbeitnehmer tätig; ferner betrieb er einen Einzelhandel mit Spielwaren. Seinen Gewinn ermittelte er durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung. Die Klägerin war in dem Einzelhandel unentgeltlich tätig.

Von der Gründung des Betriebs im Jahr 1994 bis zum Streitjahr 2001 hatte der Kläger mit einer Ausnahme eines kleinen Gewinns in 1999 ausschließlich Verluste erzielt. Das Gesamtergebnis der betrieblichen Tätigkeit von 1994 bis 2006 betrug ./. 205.566 €. Zwischen den Beteiligten besteht nach Durchführung einer steuerlichen Außenprüfung Einvernehmen, dass die in den Veranlagungszeiträumen bis einschließlich 2000 erwirtschafteten Verluste der Besteuerung zugrunde zu legen sind, danach aber die Einkunftserzielungsabsicht entfallen ist.

Der Kläger hatte seinen zum 31.12.2000 vorhandenen Warenbestand für insgesamt 285.385 DM netto erworben. Diese Beträge hatte er – zuzüglich der jeweils gezahlten Vorsteuer – während der Zeit der einkommensteuerrechtlichen Relevanz seines Betriebs als Betriebsausgaben abgezogen.

Streitig war, ob der Kläger verpflichtet war, im Zeitpunkt des Strukturwandels zur Liebhaberei von der Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung zum Betriebsvermögensvergleich überzugehen und einen entsprechenden Übergangsgewinn zu versteuern.

 

 

Lösung

Der BFH entschied mit sehr ausführlicher Begründung und stellte dem detaillierte Leitsätze wie folgt voran:

  1. Der Strukturwandel zur Liebhaberei stellt keine gewinnrealisierende Betriebsaufgabe dar. Die weiterhin in dem – nun nicht mehr einkommensteuerrelevanten – Betrieb genutzten Wirtschaftsgüter bleiben Betriebsvermögen. Wertänderungen dieses Betriebsvermögens, die während der Zeit der Liebhaberei eintreten, sind einkommensteuerrechtlich allerdings irrelevant.
  2. Ermittelt der Steuerpflichtige seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung, ist er nicht verpflichtet, im Zeitpunkt des Strukturwandels zur Liebhaberei zum Betriebsvermögensvergleich überzugehen und einen daraus resultierenden Übergangsgewinn zu ermitteln und zu versteuern.
  3. Hat ein solcher Steuerpflichtiger in dem Zeitraum, in dem er noch mit Einkunftserzielungsabsicht handelte, die Anschaffungskosten für ein Wirtschaftsgut des Umlaufvermögens als Betriebsausgaben abgesetzt, so stellt auch nach Wegfall der Einkunftserzielungsabsicht die Verwirklichung eines Realisationsakts in Bezug auf dieses Wirtschaftsgut (Veräußerung oder Entnahme des Wirtschaftsguts, Veräußerung oder Aufgabe des Liebhabereibetriebs) dem Grunde nach einen Steuertatbestand dar. Der Höhe nach ist derjenige Betrag als nachträgliche Betriebseinnahme anzusetzen und zu versteuern, der für das einzelne Wirtschaftsgut des Umlaufvermögens im Zeitpunkt des Strukturwandels zur Liebhaberei in eine Übergangsbilanz einzustellen gewesen wäre.

Intensiv geht der BFH auf das Problem der stillen Reserven ein. Dem Finanzamt sei zwar darin zuzustimmen, dass es sich bei dem sofortigen Betriebsausgabenabzug der für Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens aufgewendeten Anschaffungskosten in Fällen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG nicht um die Bildung von stillen Reserven im engeren Sinne handelt. Sowohl der wirtschaftliche Gehalt als auch die einkommensteuerrechtlichen Auswirkungen beider Vorgänge seien aber vergleichbar: In beiden Fällen werde ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens einkommensteuerrechtlich zunächst nicht mit seinem tatsächlichen Wert angesetzt. Vielmehr finde eine (Nach-)Versteuerung der stillen Reserven (in Fällen „echter“ stiller Reserven) bzw. der Anschaffungskosten (in Fällen der Einnahmen-Überschuss-Rechnung) erst dann statt, wenn in Bezug auf das jeweilige Wirtschaftsgut ein Realisationsakt verwirklicht wird.

Diese Vergleichbarkeit des wirtschaftlichen Gehalts und der einkommensteuerrechtlichen Auswirkungen rechtfertigt und gebietet es, so der BFH, beide Lebenssachverhalte hinsichtlich der aufgrund eines Strukturwandels zur Liebhaberei zu ziehenden Rechtsfolgen gleichzubehandeln. Ebenso wie „echte“ stille Reserven nicht bereits geballt mit dem Strukturwandel, sondern erst im Zeitpunkt eines späteren, auf das jeweilige Wirtschaftsgut bezogenen Realisationsakts zu versteuern seien, müssten genau in diesem Zeitpunkt auch diejenigen Rechtsfolgen gezogen werden, die in Fällen der Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung der Herstellung der Totalgewinngleichheit dienen.

Dass Ereignisse, die erst nach dem Wegfall der Einkunftserzielungsabsicht eintreten, ertragsteuerrechtlich gleichwohl relevant sein können, zeige nicht nur die dargestellte Rechtsprechung zur Realisierung „echter“ stiller Reserven, sondern auch der Umstand, dass Schuldzinsen, die auf einen Schuldenüberhang entfallen, auch insoweit abgezogen werden können, als sie erst nach dem Übergang zur Liebhaberei entstehen.

 

 

Praxishinweise:

  • Das sich ohnehin schon sehr lange hinziehende Verfahren wird die Beteiligten auch weiterhin intensiv beschäftigen, denn der BFH bemängelte, das Finanzgericht (FG) habe übersehen, dass nicht nur die Veräußerung oder Aufgabe des gesamten (Liebhaberei-)Betriebs, sondern auch die Veräußerung oder Entnahme eines einzelnen Wirtschaftsguts als Realisationsakt anzusehen ist. Dies verbindet der BFH mit umfangreichen Aufklärungspflichten für das FG Rheinland-Pfalz, dessen Urteil vom 23.9.2014, 3 K 2294/12, aufgehoben wurde. So werden die FG-Richter im zweiten Rechtsgang aufzuklären haben, in welchem Umfang diese Veräußerungen oder Entnahmen sich auf Wirtschaftsgüter beziehen, die beim Eintritt in die Liebhaberei bereits vorhanden und deren Anschaffungskosten als Betriebsausgaben abgesetzt worden waren. Und damit noch nicht genug: Da in der Gewinnermittlung des Klägers Schuldzinsen ausgewiesen sind, wird das FG zu klären haben, ob im Betrieb des Klägers im Zeitpunkt des Strukturwandels ein entsprechender Schuldenüberhang bestanden hat.
  • Dass diese Aufklärungspflichten die Zeitbudgets der FG-Richter – und im Vorfeld die Kapazitäten der damit befassten Buchhaltungskräfte – überstrapazieren könnten, sieht wohl auch der BFH, denn er hat immerhin keine Bedenken, einen Wertverfall, der im Zeitpunkt des Strukturwandels im Vergleich zu den historischen Anschaffungskosten der Waren eingetreten war, mittels eines pauschalen Wertabschlags zu berücksichtigen.
  • Zu viel Praxisnähe darf aber nicht sein, denn an anderer Stelle setzt der BFH Praktikabilitätsüberlegungen klare Grenzen. Sie seien zwar im Ansatz durchaus nachvollziehbar, können aber „nicht dazu führen, im Zeitpunkt des Strukturwandels zur Liebhaberei auch ohne gesetzliche Grundlage einen Wechsel der Gewinnermittlungsart samt sofortiger Versteuerung eines Übergangsgewinns zu erzwingen. Sollte sich die – aus der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie deren Aufnahme in § 8 VO zu § 180 Abs. 2 AO abgeleiteteHandhabung durch den erkennenden Senat in der Praxis als zu kompliziert erweisen, wäre es Sache des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers, ggf. eine ausdrückliche Rechtsgrundlage zu schaffen.“ Man erkennt ein auch anderweitig nicht selten auftretendes Problem: Problemverursacher sehen oft nicht sich selbst, sondern andere als Problemverantwortliche bzw. Problemlöser.
  • An späterer Stelle entfaltet der BFH allerdings eine zuvor abgewiesene Problemlösungskompetenz und bemerkenswerterweise sogar beratende Funktionen, indem er auf das Recht des Steuerpflichtigen verweist, auf den Zeitpunkt des Strukturwandels zum Betriebsvermögensvergleich überzugehen und einen Übergangsgewinn zu ermitteln. Dies würde eine vereinfachende Wirkung für die Folgejahre entfalten. Hiervon habe der Kläger im Streitfall bisher keinen Gebrauch gemacht, könne dies aber gegebenenfalls noch nachholen, soweit ein entsprechender Übergangsgewinn verfahrensrechtlich noch erfasst werden könnte.
  • Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Wer sich der Liebhaberei hingibt, bettet sich zwar grundsätzlich privat und darf nicht mehr auf Steuervorteile hoffen; er darf aber nicht davon ausgehen, im Gegenzug unbehelligt von Steuerforderungen bleiben zu können: „Steuerabzugssünden“ überdauern den Strukturwandel zur Liebhaberei, selbst wenn diese einvernehmlich – mit was und wem auch immer – erfolgt.

 

Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, Coesfeld

 

 

BC 8/2016

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