Dr. Johannes Fiala und Peter A. Schramm
Zunächst erfolgen Nachforderungen von Einzahlungen beim Arbeitgeber
Das BMF befasst sich mit dem Fall, dass die Versorgungseinrichtung aus diversen Gründen – inklusive Kalkulationsfehlern, Fehlinvestitionen und Insolvenzrisiken – ihre Leistungen nicht mehr erfüllen kann und vom Arbeitgeber daher Sonderzahlungen anfordert. Die ausdrückliche Erwähnung verdeutlicht, dass diese Risiken bereits häufiger oder massenhaft bestehen sowie künftig vermehrt erwartet werden und von daher bereits Thema der Finanzverwaltung mit zunehmendem Regelungsbedarf sind.
Liegt die Ursache in Kalkulationsfehlern, so ist die Sonderzahlung lohnsteuerpflichtig
Wenn für einen Arbeitnehmer (AN) z.B. nur 100.000 € an Deckungskapital vorhanden sind und 25.000 € einmalig nachfinanziert werden müssen, so muss er (der AN) diesen Betrag versteuern und wohl auch Sozialabgaben darauf entrichten. Er wird für einige Monate also gegebenenfalls netto keinen Lohn erhalten oder als Rentner für einige Jahre keine Rente. Die bAV wird für den AN zur Quelle zusätzlicher Risiken.
Der frühere Bundesarbeitsminister Walter Riester (1998 bis 2002) hatte die zusätzliche private Altersversorgung auf Basis der Kapitaldeckung empfohlen, während die gesetzliche Rente weiter sinkt. Es ist erstaunlich, dass Gewerkschaften damals nur zaghaft opponierten – und Betriebsräte sich für derlei Folgerisiken kaum interessierten: Schafft man sich ab? Selbst die „Firma Verdi“ traut sich nicht, die „Halbierung der Rente“ binnen etwa 30 Jahren in allen Details anzusprechen; so, als ob man dort „den Wolf mit Kreide angefüttert“ hätte.
Unrealistische bAV-Beratung führt (auch) zur (Steuer-)Haftung
Sofern der Kalkulationszins zunächst korrekt war und die Zinsen unerwartet fielen – oder aber die Lebenserwartung korrekt kalkuliert und dann gestiegen ist –, ist keine Lohnsteuer fällig.
Wenn indes der Kalkulationszins von Anfang an unrealistisch hoch war oder die Lebenserwartung bereits erkennbar zu niedrig angesetzt wurde, liegt insoweit eine spätere Anpassung nicht am Niedrigzinsumfeld oder am Einbruch des Kapitalmarkts oder an der Verlängerung der Lebenserwartung, sondern war von Beginn an absehbar. Es stellt sich ja nur heraus, dass die Annahmen falsch waren – es handelt sich um Fehlbeträge, „die durch früher gesetzte Risiken verursacht worden sind“, wie das BMF sagt (vgl. Rz. 20 des BMF-Schreibens vom 6.12.2017). Offenbar reichen Risiken, d.h., wer unrealistisch kalkuliert hat in der Hoffnung, dies werde schon gutgehen und nicht anders eintreten. Konkreter: Das Niedrigzinsumfeld werde z.B. alsbald enden, die Lebenserwartung werde geringer steigen als realistisch anzunehmen oder könnte durch Überschüsse finanziert werden, oder die Aktien würden auf alle Ewigkeit jährlich um 7% steigen.
Wer sich auf diese Weise gegebenenfalls selbst etwas vorgemacht hat, dem mag man kaum nachweisen können, dass er mit Sicherheit gewusst hat, wie sehr er danebenlag – und ohne Prüfung nur gehofft hat, dass es gut gehen werde, z.B. ein Wunder geschehen würde. Aber er hat die Risiken gesetzt, selbst dann, wenn sie ihm nicht bewusst waren. Warum soll auch ein Vorteil darin liegen dürfen, dass man an verantwortlicher Stelle einfältig Ahnungslose setzt, damit man mit den attraktivsten Angeboten den Markt abräumt, solange es geht?
Fehlende Überprüfung der bAV durch Mitarbeiter und Betriebsräte führt zum Insolvenz-Risiko
Wer also als Arbeitgeber nicht prüft, wie die Versorgungseinrichtung kalkuliert hat, der setzt sich nicht nur dem Risiko von Nachzahlungen aus, sondern darf unter Umständen auch noch Lohnsteuer und eventuell Sozialabgaben darauf zahlen und setzt gegebenenfalls auch seine AN und Betriebsrentner erheblichen finanziellen Risiken von hohen Einmalzahlungen an Lohnsteuer und Sozialabgaben aus. Dem sollten sich alle bewusst sein, die mit der bAV als zuverlässiger Versorgungsform rechnen wollen. Durch diese Risiken kann die bAV selbst zu Altersarmut, Überschuldung und Insolvenz führen.
Haftungsfallen für die Zukunft durch das BMF-Schreiben
Zunächst gibt es eine „Entwarnung“: Keine Steuerpflicht tritt für AN ein, sofern Sonderzahlungen des Arbeitgebers neben den laufenden Beiträgen und Zuwendungen erbracht werden, wenn diese
der Wiederherstellung einer angemessenen Kapitalausstattung nach unvorhersehbaren Verlusten oder
der Finanzierung der Verstärkung der Rechnungsgrundlagen aufgrund einer unvorhersehbaren und nicht nur vorübergehenden Änderung der Verhältnisse dienen (vgl. Rz. 19 und Rz. 158 des BMF-Schreibens vom 6.12.2017).
Der Pferdefuß dabei ist: Verluste waren häufig doch vom Anbieter vorhersehbar, wenn man sich als Arbeitgeber, Betriebsrat, Arbeitnehmer oder Gewerkschaft mit den Details sachverständig auseinandergesetzt hätte.
Auch die Änderung der Verhältnisse, etwa der Niedrigzins auf dem Kapitalmarkt, war seit den 90er Jahren absehbar. Wobei häufig gar keine Änderung eingetreten ist, sondern die Verhältnisse sind geblieben wie sie waren, nur haben sie sich nicht, wie erhofft, verbessert. Damit eröffnet das BMF die Option, noch nach vielen Jahren seine Meinung zu variieren, um am Ende für fast alle Konstellationen der Nachfinanzierung noch Steuern nachfordern zu können.
Unklare Regelungen eröffnen die spätere Entscheidung für oder gegen Steuerpflicht
Der BMF bildete zwei Fallgruppen, welche in der Realität jedoch gleichzeitig zutreffend sein könnten (Rz. 19 und 20 des BMF-Schreibens vom 6.12.2017):
„Die vorstehenden Voraussetzungen sind insbesondere beim Vorliegen folgender Sachverhalte dem Grunde nach erfüllt:
– Einbruch am Kapitalmarkt,
– Anstieg der Invaliditätsfälle,
– gestiegene Lebenserwartung,
– Niedrigzinsumfeld.
Um steuerpflichtigen Arbeitslohn handelt es sich hingegen bei Sonderzahlungen, die der Arbeitgeber an eine externe Versorgungseinrichtung der betrieblichen Altersversorgung erbringt
– wegen Verlusten aus Einzelgeschäften oder
– bei Fehlbeträgen, die durch früher gesetzte Risiken verursacht worden sind (z.B. Kalkulationsfehler, Insolvenzrisiken).“
Alternative der Enthaftung für Arbeitgeber, Betriebsrat und Mitarbeiter
Als Arbeitgeber wird man sich überlegen, ob der eigene steuerliche Berater hier in den letzten Jahrzehnten seinen Job korrekt erledigte, eingeschlossen den Hinweis auf die Unterfinanzierung, also eine finanztechnische Haftung, eingeschlossen das Insolvenzrisiko?
Daneben werden Arbeitgeber zunehmend versuchen, sich durch Abfindung zu enthaften – hoffentlich ohne dass dies zu einer Regresshaftung von bis zu 30 Jahren nach § 18a BetrAVG bzw. zur Haftungsfalle einer Doppelzahlung bei der bAV führt: Denn später ausgeschiedene Arbeitnehmer sind erfahrungsgemäß bisweilen hemmungsloser, frühere Betriebsräte und Arbeitgeber zu verklagen.
Wie konnte es so weit kommen, dass Arbeitgeber für die bAV als soziale Wohltat auch noch haften?
Die erste Ursache ist die Bequemlichkeit von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Betriebsräten. Oder der Glaube daran, dass Vermittler in der bAV wüssten, was sie tun. Im Zweifel kennen Letztere durch Schulungen nur die (potenziellen) Vorteile einer bAV – aber bezüglich der (Haftungs-)Risiken wurden sie nicht ausgebildet. Der kritische Jurist vermutet einen Betrug in mittelbarer Täterschaft, also durch einen Vermittler, der ahnungslos die besten Abschlüsse erfolgreich umsetzt. Man hätte von Anfang an unabhängige Sachverständige einschalten müssen – damals beim Abschluss von solchen Altersversorgungsmodellen und heute, damit Sanierung und Enthaftung gelingen können.
Die zweite Ursache liegt beim Gesetzgeber: Das Betriebsrentenrecht führte den Arbeitgeber in die Haftung gemäß seiner Fürsorgepflicht und entsprechend seiner Einstandspflicht, etwa wenn ein Träger der bAV seine Leistungen herabsetzen muss – und der Arbeitgeber „nachschießen“ darf. Nun eröffnet der BMF noch „zur Strafe“ obendrein die Abgabenpflicht, wenn der Arbeitgeber dies durch seine Nachfinanzierung zu sanieren versucht. Die Abfindung der Mitarbeiter – besser noch die komplette Rückabwicklung – wäre hingegen häufig ein Modell, um Sozialversicherung und Einkommensteuer zu sparen, sofern man dieses beherrscht. Der normale Vermittler wittert eine Provision und bietet daher die Nachfinanzierung an.
BAG: Haftung ist verfassungsgemäß
Das Bundesarbeitsgericht führt im Urteil vom 12.6.2007 (Az.: 3 AZR 14/06) aus:
„Verfassungsrecht steht der Verpflichtung der Beklagten auf Abschluss einer Vereinbarung über die Entgeltumwandlung und der daran gebundenen Durchführungspflicht nicht entgegen. ...
Hinzu kommt, dass es grundsätzlich das Recht des Arbeitgebers ist, den Versicherungsträger auszuwählen ... Er hat es deshalb in der Hand, weitere Maßnahmen zur Risikoverringerung zu treffen.
Entscheidet sich der Arbeitgeber dafür, die Entgeltumwandlung über eine Direktversicherung abzuwickeln, gibt es nunmehr eine Absicherung über den Sicherungsfonds für die Lebensversicherer. ...
Eine weitere Möglichkeit für den Arbeitgeber, sein Risiko zu begrenzen, besteht darin, bei der Entgeltumwandlung nicht alle Risiken – Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung –, sondern nur das Altersrisiko der Arbeitnehmer abzudecken.“
Wer also als Arbeitgeber – zu einem vermeintlichen Mehrnutzen der Arbeitnehmer – erhöhte Risiken eingeht, macht mehr, als er riskieren müsste.
Wer ganz sicher gehen will, sagt als Arbeitgeber selbst gar nichts zu, sondern überlässt dies einer Konzernstiftung, die in eigenem Namen Betriebsrentenzusagen ganz außerhalb des Betriebsrentengesetzes und damit ohne dessen Einschränkungen erteilt, für die der Arbeitgeber allenfalls freiwillig Nachzahlungen leisten darf.
Dr. Johannes Fiala, PhD, RB, VB, MBA, MM, Geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), Bankkaufmann (www.fiala.de)
Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik (Diethardt), Aktuar DAV, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung (www.pkv-gutachter.de)
BC 1/2018
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