FG Nürnberg, Urteil vom 1.9.2017, 2 K 851/16 (Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, Az. BFH: V B 113/17)
– Ob ein Unternehmer eine Leistung zur Ausführung steuerpflichtiger oder steuerfreier Umsätze verwendet, richtet sich grundsätzlich nach den tatsächlichen Nutzungsverhältnissen im Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs. Es kommt nicht darauf an, ob der Unternehmer eine Änderung der Nutzung zu einem späteren Zeitpunkt beabsichtigt.
– Ändert sich die Verwendung eines Gegenstands nach dem Zeitpunkt des Leistungsbezugs, ist diese Änderung nach den Grundsätzen der Berichtigung (§ 15a Abs. 1 Satz 1 UStG) zu berücksichtigen und wirkt nicht auf den Zeitpunkt des Leistungsbezugs zurück.
Praxis-Info!
Problemstellung
Eine Selbstständige führte als Berufsbetreuerin und Rentenberaterin folgende Ausgangsumsätze aus:
- Im Jahr 2008 erzielte sie Umsätze ausschließlich als Berufsbetreuerin . In diesem Jahr und in den beiden Folgejahren wurde eine Fortbildung zur Rentenberaterin durchgeführt.
- Im Jahr 2009 belief sich der Umsatzanteil für die Berufsbetreuung auf 99,39% und der für die Rentenberatung auf 0,61%.
- Im Jahr 2010 wurde für die Berufsbetreuung ein anteiliger Umsatz von 95,8% erwirtschaftet und für die Rentenberatung von 4,2%.
Die Eingangsumsätze betrafen:
- 2008: Fortbildungen, Fachliteratur und Software für die Rentenberatung; Einrichtung und Ausstattung der Büroräume, wobei die auf die Einzelleistungen entfallende Vorsteuer jeweils weniger als 1.000 € betrug.
- 2009: Fortbildungen, Fachliteratur und Software für die Rentenberatung sowie allgemeine Aufwendungen.
- 2010: Fortbildungen, Fachliteratur und Software für die Rentenberatung und allgemeine Aufwendungen.
Zunächst hatte die Selbstständige ihre Tätigkeiten vollumfänglich als umsatzsteuerpflichtig behandelt. Dem folgte auch weitgehend das Finanzamt.
Am 23.12.2011 legte die Selbstständige Einspruch ein und machte geltend, die Tätigkeit als Berufsbetreuerin sei nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) umsatzsteuerfrei. Das Finanzamt behandelte daraufhin die Ausgangsumsätze als Berufsbetreuerin steuerfrei, wodurch die damit zusammenhängenden Eingangsumsätze nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten. Die Vorsteuer aus den allgemeinen Aufwendungen, die keinem einzelnen Umsatz zuzuordnen waren, berücksichtigte es entsprechend dem Anteil der steuerpflichtigen Umsätze (für Rentenberatung) in Höhe von 0,61% (2009) und 4,2% (2010) an den Gesamtumsätzen.
Die Selbstständige begehrt hingegen Folgendes:
- Für 2008: zusätzlich den Abzug von Vorsteuer auf Aufwendungen für Einrichtung und Ausstattung ihrer Büroräume, aus Fahrtkosten und aus Telefon- und Portokosten sowie Büromaterial. Das Finanzamt hält dagegen nur einen Vorsteuerabzug aus den Kosten für Fortbildung, Literatur und Software zur Rentenberatung für zulässig, nicht aber aus den Kosten für Einrichtung und Ausstattung der Büroräume, da im Jahr 2008 keine steuerpflichtigen Umsätze (für Rentenberatung) ausgeführt worden sind.
- Für 2009: weitere Vorsteuer für Kosten der Büroeinrichtung und Fahrtkosten.
- Für 2010: Anerkennung zusätzlicher Vorsteuer aus bisher nicht berücksichtigten Aufwendungen für Fahrtkosten, Telefon- und Portokosten sowie Büromaterial.
Die geltend gemachten Fahrtkosten könnten, so das Finanzamt, keiner einzelnen Fahrt zugeordnet werden. Betriebs- und Unterhaltskosten für den unternehmerisch genutzten Pkw seien im Rahmen der allgemeinen Aufwendungen berücksichtigt. Die Kosten für Telefon, Porto und Büromaterial seien nicht nachgewiesen.
Lösung
Das Finanzamt hat für die betreffenden Jahre die steuerpflichtigen Ausgangsumsätze zutreffend ermittelt und die gesamte abzugsfähige Vorsteuer berücksichtigt. Im Einzelnen:
- Aufwendungen für die Einrichtung und Ausstattung des Büros: Für diese darf im Jahr 2008 die Vorsteuer nicht abgezogen werden. Die Selbstständige hatte 2008 tatsächlich nur steuerfreie Umsätze (für Berufsbetreuung) ausgeführt (kein Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG). Es kommt nicht darauf an, ob der Unternehmer eine Änderung der Nutzung zu einem späteren Zeitpunkt beabsichtigt. Ändert sich die Verwendung eines Gegenstands nach dem Zeitpunkt des Leistungsbezugs, ist diese Änderung nach den Grundsätzen der Berichtigung zu berücksichtigen und wirkt nicht auf den Zeitpunkt des Leistungsbezugs zurück. Die Vorsteuer aus den allgemeinen Aufwendungen in den Jahren 2009 und 2010 – auch soweit sie auf Einrichtung und Ausstattung des Büros entfielen – hat das Finanzamt zu Recht nur zu 0,61% (2009) und 4,2% (2010) zum Abzug zugelassen. Dies entspricht dem Anteil der steuerpflichtigen Umsätze (für Rentenberatung) an den Gesamtumsätzen; eine andere wirtschaftliche Zuordnung als nach dem Gesamtumsatzschlüssel ist im vorliegenden Fall nicht möglich (vgl. § 15 Abs. 4 Sätze 2 und 3 UStG).
- Die auf die Einzelleistungen (in 2009 und 2010) entfallende Vorsteuer betrug jeweils weniger als 1.000 €, weshalb sie entfällt. Unabhängig davon änderten sich auch die Nutzungsverhältnisse um weniger als 10%. Begründung: Eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a UStG entfällt nach § 44 Abs. 1 UStDV, wenn die auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallende Vorsteuer 1.000 € nicht übersteigt. Haben sich bei einem Wirtschaftsgut in einem Kalenderjahr die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse um weniger als 10% geändert, entfällt nach § 44 Abs. 2 Satz 1 UStDV bei diesem Wirtschaftsgut für dieses Kalenderjahr die Berichtigung des Vorsteuerabzugs.
- Eine Berücksichtigung der gesondert geltend gemachten Vorsteuer aus Fahrtkosten hat das Finanzamt zu Recht abgelehnt. Denn die entsprechenden Kostenbestandteile (z.B. Tankrechnungen) können keinen einzelnen Fahrten zugeordnet werden und sind schon in den allgemeinen Aufwendungen (anteilig) berücksichtigt. Fahrtkostenerstattungen sind Entgelt für Ausgangsumsätze. Sie sind insofern in die Quote der zum Vorsteuerabzug zugelassenen allgemeinen Aufwendungen eingeflossen. Soweit es um die Eingangsumsätze geht, belegen die Fahrtkostenabrechnungen weder die zahlenmäßige Höhe der für diese Fahrten verwendeten Eingangsumsätze noch deren Verhältnis zu den Fahrten im Zusammenhang mit steuerfreien Umsätzen (für Berufsbetreuung).
- Aufwendungen für Telefon, Porto und Büromaterial: Für 2008 können diese keinen umsatzsteuerpflichtigen Ausgangsumsätzen zugeordnet werden, da die Selbstständige keine Rentenbetreuung in diesem Jahr geleistet hat. Für 2010 hat das Finanzamt die Aufwendungen für Telefon, Porto und Büromaterial zutreffend als Bestandteil der allgemeinen Aufwendungen berücksichtigt und anteilig zum Vorsteuerabzug zugelassen. Ein voller Vorsteuerabzug, wie von der Selbstständigen gefordert, kommt nicht in Betracht.
[Anm. d. Red.]
BC 4/2018
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