BFH-Beschluss vom 12.5.2020, XI B 59/19
Manchmal folgt eine Strafe auf dem Fuße. Aber gerade bei Steuerdelikten können oft Jahre zwischen der eigentlichen Hinterziehung, Aufdeckung und Verurteilung vergehen. Doch wann sind die durch eine Steuerhinterziehung ausgelösten Mehrsteuern zu bilanzieren? Aus Sicht des Klägers eine „zur Fortbildung des Rechts“ dienende Frage. Der BFH sieht die Rechtslage dagegen eindeutig und klar, fasst diese aber dankeswerterweise noch einmal kurz zusammen.
Praxis-Info!
Problemstellung
Bei der Klägerin, einer GmbH, waren die Betriebseinnahmen in den Jahren 2006 und 2007 nicht vollständig erklärt worden. Nach Aufdeckung einer Steuerhinterziehung erließ das Finanzamt im Jahr 2017 Änderungsbescheide für die betreffenden Zeiträume. Die Klägerin begehrte die Bildung von Rückstellungen für die Steuernachforderungen in den betreffenden Zeiträumen.
Nach Auffassung von Finanzamt und Finanzgericht war die Rückstellung dagegen erst ab dem Zeitpunkt einer drohenden Aufdeckung zu bilden.
Lösung
Der BFH stellt klar, dass die Frage, „ob eine Rückstellung aufgrund einer Steuerhinterziehung erst im Jahr der Entdeckung oder bereits im Jahr der Begehung der Straftat zu bilden ist, wenn dem Täter die Tatsache der Begehung einer strafbaren Handlung bewusst gewesen ist“, nicht klärungsbedürftig ist. Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Rückstellung für die aus der Steuerhinterziehung entstehenden Mehrsteuern nur dann gebildet werden, wenn am Bilanzstichtag aufgrund eines hinreichend konkreten Sachverhalts ernsthaft mit einer quantifizierbaren Steuernachforderung gerechnet werden muss. Dies ist frühestens mit der Beanstandung eines bestimmten Sachverhalts durch den Prüfer – also mit Aufdeckung der Steuerhinterziehung – der Fall. Erst mit Aufdeckung der Tat bzw. mit dem Beginn konkreter Ermittlungen ist mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit von einer Inanspruchnahme auszugehen. Somit ist die Rückstellung erst ab diesem Zeitpunkt bilanzierbar.
- Bei Verpflichtungen, die aus Straftaten resultieren, entsteht die Verbindlichkeit zwar bereits mit Begehung der Tat; solange der Bilanzierende aber davon ausgehen kann, dass die Tat unentdeckt bleibt, stellt die Verbindlichkeit für ihn noch keine wirtschaftliche Belastung dar. Ob und inwieweit eine Inanspruchnahme aus der ungewissen Verbindlichkeit zu erwarten ist, richtet sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtags. Anders ausgedrückt: Für die Rückstellungsbildung kommt es nicht auf das Jahr des Entstehens der Steuer (Zeitpunkt der Steuerstraftat), sondern auf den Zeitpunkt des Entdeckens bzw. Aufdeckens der Tat (Zeitpunkt der Außenprüfung/Steuerfahndung) an. Wie das Finanzamt von diesen Taten erfährt, ist gleichgültig; ein bloßer Verdacht genügt jedoch nicht.
- Die allgemeine Erfahrung, wonach es bei steuerlichen Betriebsprüfungen zu Beanstandungen kommt, welche zu mehr oder weniger hohen Steuernachforderungen führen, erfüllt nicht die Voraussetzungen an eine Rückstellungsbildung (konkrete Inanspruchnahme). Insofern handelt es sich um ein dem allgemeinen Unternehmer- oder Branchenrisiko vergleichbares Risiko, das erst dann zur Bildung einer Rückstellung berechtigt, wenn es sich in Gestalt konkreter und nachprüfbarer Einzelsachverhalte zu dem Risiko eines bestimmten einzelnen Geschäftsvorfalls verdichtet hat.
- Sobald die Behandlung konkreter steuerlicher Sachverhalte im Rahmen einer Betriebsprüfung strittig ist, darf somit eine Rückstellung gebildet werden. Auf der sicheren Seite sind Bilanzierende, wenn die Betriebsprüfung bereits begonnen wurde und der Prüfer eine bestimmte Sachbehandlung beanstandet hat oder zumindest den einschlägigen Sachverhalt konkret überprüft. Dasselbe gilt für anhängige Streitverfahren (auch Musterverfahren), durch die das Unternehmen belastet werden kann, auch wenn der Ausgang des Rechtsstreits noch unsicher ist.
- In der HGB-Bilanz können hingegen Rückstellungen für künftige Steuernachforderungen aufgrund zu erwartender Betriebsprüfungen unter Umständen gebildet werden, auch wenn sie steuerrechtlich nicht anerkannt sind. Solche Rückstellungen sind denkbar, wenn das Steuerrisiko nicht bereits durch eine entsprechende Steuerabgrenzung abgedeckt ist. Im Klartext: Wird mit Blick auf die nächste steuerliche Außenprüfung erwartet, dass bis dahin bestehende vorübergehende Abweichungen zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz ganz oder zum Teil beseitigt werden und sich hieraus ein steuerrechtlicher Mehraufwand ergeben kann (weil z.B. in der Steuerbilanz Aktivposten, die bislang in der Steuerbilanz niedriger als in der Handelsbilanz angesetzt waren, höher angesetzt werden), ist dieses Risiko bereits durch die Steuerabgrenzung abgedeckt.
- Eine Rückstellung wegen künftiger Zinszahlungen aufgrund entstandener Steuernachforderungen kann hingegen frühestens 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuernachforderung entstanden ist (vgl. § 233a Abs. 2 S. 1 AO), gebildet werden. Denn eine Rückstellung knüpft nicht nur an Vergangenes an, sondern muss auch Vergangenes abgelten. Mit der Zinszahlung wegen entstandener Steuernachforderungen wird der Liquiditätsvorteil abgegolten, der sich aus der „verspäteten“ Zahlung der Steuer für den Steuerpflichtigen ergibt. Eine solche Rückstellung kann nur die bis zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich entstandenen Zinsen umfassen.
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Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 8/2020
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