BFH-Urteile vom 16.6.2020, VIII R 29/17; VIII R 29/19
Seit dem Veranlagungszeitraum 2011 sind Steuererklärungen grundsätzlich in elektronischer Form abzugeben. Aber Papier ist nicht nur geduldig, sondern auch ausdauernd. Insofern überrascht es nicht, dass so mancher Steuerpflichtige eine elektronische Steuererklärung als wirtschaftliche Unzumutbarkeit ansieht und weiterhin an einer Papier-Steuererklärung festhalten möchte. Grund genug für den BFH, sich in zwei Urteilen mit dem Kriterium der „wirtschaftlichen Unzumutbarkeit“ auseinanderzusetzen.
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Problemstellung
In beiden Ausgangsfällen erzielten die Kläger niedrige Einkünfte (Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von ca. 15.000 € bzw. Einkünfte als Zeitungsausträger und aus Kapitalvermögen in Höhe von ca. 24.000 €). Beide Kläger verfügten nicht über die entsprechende Hard- und Software und hatten auch keinen Internetanschluss.
Die erstinstanzlichen Finanzgerichte sahen es in beiden Fällen als wirtschaftlich unzumutbar an, hier die Abgabe einer elektronischen Steuererklärung zu verlangen. In einem der Fälle gestattete das Finanzgericht dem Kläger, auch künftig seine Erklärungen in Papierform einreichen zu können.
Lösung
Auch der BFH interpretiert den Begriff der „wirtschaftlichen Unzumutbarkeit“ großzügig, setzt aber Grenzen. So ist das Kriterium der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit veranlagungszeitraumbezogen. Es ist daher für jeden Zeitraum erneut zu prüfen. Ohne zeitliche Beschränkung würde die gewährte Befreiung von der Verpflichtung zur Abgabe einer elektronischen Erklärung als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung anzusehen sein. Dieser würde so lange seine Gültigkeit behalten, bis er von der Finanzbehörde wieder aufgehoben würde. Eine solche Dauerwirkung ist aber mit den weiteren Regeln der Abgabenordnung nicht vereinbar. Aus der Veranlagungszeitraumbezogenheit folgt auch, dass das Finanzgericht auf die Einkünfte des Veranlagungszeitraums abzustellen und diese festzustellen hat. Ein reines Betrachten der vorangegangenen Veranlagungszeiträume reicht nicht aus.
Nach § 150 Abs. 8 AO kann auf Antrag von einer elektronischen Einreichung abgesehen werden, wenn diese für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich oder persönlich unzumutbar ist. Von einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit ist auszugehen, wenn die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine elektronische Einreichung nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand möglich wäre. Was genau unter einem „nicht unerheblichen finanziellen Aufwand“ zu verstehen ist, ist gesetzlich nicht geregelt. Hierzu haben die Finanzgerichte zutreffend erkannt, dass dem finanziellen Aufwand für die Einrichtung und Aufrechterhaltung einer Datenfernübertragungsmöglichkeit ausschließlich die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb und aus selbständiger Arbeit (im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 bis 3 EStG) gegenüberzustellen sind. Der Gesetzgeber wollte bewusst eine ungerechtfertigte Versagung der Ausnahmegenehmigung ausschließen und insbesondere Kleinstbetrieben den Zugang zur Härtefallregelung ermöglichen.
Im Ausgangsfall ist es daher vertretbar, dass bei Einkünften von ca. 15.000 € auf eine elektronische Einreichung verzichtet wird. In dem anderen Ausgangsfall konnte der BFH nicht abschließend urteilen, da das erstinstanzliche Urteil zum einen eine manuelle Einreichung auch für zukünftige Veranlagungszeiträume zuließ. Zum anderen hatte sich das Finanzgericht in seinem Urteil lediglich auf die vorangegangenen Veranlagungszeiträume bezogen. Der Fall wurde daher an das Finanzgericht zur erneuten Klärung zurückgewiesen.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 12/2020
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