BFH-Beschlussvorlage vom 7.5.2020, V R 40/19
In Deutschland erfolgt die Besteuerung einer umsatzsteuerlichen Organschaft auf Ebene des Organträgers. Doch ist dies wirklich mit dem Europarecht vereinbar? Muss vielleicht anstelle des Organträgers eine fiktive „Mehrwertsteuergruppe“ besteuert werden? Der BFH lässt keinen Zweifel daran, dass letztere Variante zu einem erheblichen Steuerausfall führen würde.
Abb.: Wirkungen der umsatzsteuerlichen Organschaft
Praxis-Info!
Fragestellungen
Liegt eine finanzielle, organisatorische und wirtschaftliche Eingliederung eines Unternehmens in ein anderes Unternehmen vor, bilden beide Unternehmen eine Organschaft. Die Besteuerung der Organschaft erfolgt auf Ebene des Organträgers. Die Umsätze zwischen Organträger und Organgesellschaft unterliegen nicht der Umsatzsteuer.
Aufgrund neuerer EuGH-Rechtsprechung hat der BFH allerdings Zweifel, ob diese Praxis mit dem Europarecht vereinbar ist. Hierbei geht es um die Frage, ob es europarechtlich zulässig ist, anstelle des Organkreises den Organträger zum Steuerpflichtigen zu bestimmen. Mit anderen Worten: Ist der Organkreis als Mehrwertsteuergruppe zu besteuern, oder kann – wie in Deutschland – per Gesetz ein Mitglied des Organkreises als Steuerschuldner bestimmt werden? Die Konsequenz aus dieser Frage ist erheblich. Sollte der EuGH zu der Feststellung gelangen, dass – entgegen der deutschen Praxis – die Besteuerung auf Ebene des Organkreises zu erfolgen hat, droht der Bundesrepublik ein potenzieller Steuerausfall in Milliardenhöhe. Der Organkreis ist nämlich lediglich ein fiktives Gebilde, für dessen Besteuerung die gesetzliche Grundlage fehlt. Zugleich könnten sich Organunternehmen weiterhin auf § 2 Abs. 2 UStG berufen, wonach Innenleistungen innerhalb der Organschaft nicht zu einem steuerpflichtigen Umsatz führen, während der Organträger die Steuerschuldnerschaft für die Organschaft mit Hinweis auf die Europarechtswidrigkeit des § 2 Abs. 2 UStG verweigern könnte.
Sollte der EuGH die bisherige Praxis der Organträgerbesteuerung aufrechterhalten, stellt sich im Ausgangsfall weiterhin die Frage, ob bei einer juristischen Person (hier: Stiftung öffentlichen Rechts), die sowohl eine Hoheitstätigkeit als auch entgeltliche Leistungen erbringt, die Erbringung einer unentgeltlichen Dienstleistung aus dem Bereich seiner wirtschaftlichen Tätigkeit für den Bereich seiner Hoheitstätigkeit unter den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG (§ 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG) fällt. Mit anderen Worten: Liegt eine unentgeltliche Wertabgabe von einer Organgesellschaft an eine Organträgerin vor, wenn zur Erbringung der Hoheitstätigkeit – also der unternehmensfremden, nichtwirtschaftlichen Tätigkeit – Ressourcen aus dem Unternehmen verwendet werden? Sollte dies bejaht werden, ist diese unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer zu unterwerfen.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 7/2020
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