LAG Düsseldorf, Urteil vom 12.3.2021, 6 Sa 824/20 (Revision zugelassen)
In Einklang mit der bereits 2012 ergangenen Rechtsprechung des EuGH zur Kürzung des Urlaubsanspruchs bei der sog. Kurzarbeit „Null“ urteilt jetzt auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. Danach wird der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch des Arbeitnehmers mit der Suspendierung der Arbeitspflicht während der Kurzarbeit „Null“ in Höhe von 1/12 für jeden vollen Monat gekürzt, in dem der Arbeitnehmer in Kurzarbeit „Null“ war.
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Problem/Sachverhalt
Das LAG Düsseldorf urteilte am 12.3.2021 über den Urlaubsanspruch einer Arbeitnehmerin, die im Jahr 2020 abschnittsweise über Monate aufgrund von Kurzarbeit nicht gearbeitet hatte. Die Klägerin war seit dem 1.3.2011 als Verkaufshilfe mit Backtätigkeiten bei der Beklagten mit einer Arbeitszeit von drei Tagen pro Woche beschäftigt. Arbeitsvertraglich stand der Klägerin ein jährlicher Urlaubsanspruch von 28 Arbeitstagen zu.
Als Folge der COVID-19-Pandemie wurde im Betrieb der Beklagten Kurzarbeit eingeführt und entsprechende Vereinbarungen mit den jeweiligen Arbeitnehmern – so auch mit der Klägerin – getroffen. Hierbei wurde der Klägerin zunächst der noch bestehende Resturlaub aus den Vorjahren gewährt, bevor sie sich in den Monaten Juni, Juli sowie im Oktober 2020 durchgehend in sog. Kurzarbeit „Null“ befand. In den Monaten August und September 2020 wurden der Klägerin insgesamt 11,5 Urlaubstage gewährt, wobei sie hierfür einvernehmlich aus der Kurzarbeit herausgenommen wurde. Im November und Dezember 2020 arbeitete die Klägerin an insgesamt fünf Tagen.
Die Beklagte war ausgehend hiervon der Auffassung, sie habe den Urlaubsanspruch der Klägerin für das Jahr 2020 erfüllt. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit einer entsprechenden Feststellungklage, in der sie geltend machte, ihr stünde für das gesamte Kalenderjahr 2020 ungekürzter Urlaub und damit gerechnet auf eine dreitätige Arbeitswoche insgesamt 14 Urlaubstage, somit also noch 2,5 Resturlaubstage zu.
Das vorinstanzliche Arbeitsgericht (ArbG) Essen wies die Klage mit Urteil vom 6.10.2020 (Az.: 1 Ca 2155/20) mit der Begründung ab, ein Arbeitnehmer würde nach europäischem Recht nur Urlaubsansprüche für Zeiten, in denen er tatsächlich gearbeitet habe, erwerben. Etwaige günstigere Regelungen im Bundesurlaubsgesetz (BurlG) würden nicht existieren. Die Klägerin legte daraufhin am 26.11.2020 Berufung zum LAG Düsseldorf ein.
Entscheidung
Das LAG Düsseldorf bestätigte das Urteil des ArbG Essen, womit die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung ihres ungekürzten Erholungsurlaubs habe, und wies damit die Berufung als unbegründet zurück. Dies ergab sich – auch für den vertraglichen Mehrurlaub, da keine abweichenden vertraglichen Vereinbarungen bestanden – aus den §§ 1, 3 BUrlG.
Grundsätzlich komme es für die Entstehung des Urlaubsanspruchs nur auf das Bestehen des Arbeitsverhältnisses und nicht auf die tatsächliche Erbringung von Arbeitsleistungen an. Über die Höhe des Urlaubsanspruchs sei damit aber noch keine Entscheidung getroffen. Nach § 3 BUrlG bestimmt sich die Höhe nach der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht zur Gewährleistung des Erholungszwecks. Bei sechs Arbeitstagen in der Woche werde ein gesetzlicher Mindesturlaub von 24 Tagen festgelegt. Verteilt sich die Arbeitszeit auf weniger Tage, werde der Urlaubsanspruch entsprechend gekürzt, um so eine gleichwertige Urlaubsdauer aller Arbeitnehmer von sechs Wochen pro Jahr sicherzustellen. Wechselt die Anzahl der Arbeitstage während des Jahres, habe jeweils für die einzelnen Zeiträume eine eigene Berechnung der hierfür zu gewährenden Urlaubstage zu erfolgen.
Dies gelte gleichermaßen bei Kurzarbeit „Null“. Wird die Arbeitspflicht (anteilig) suspendiert, könne damit ebenso bei der Kurzarbeit „Null“ für den Urlaubsanspruch eine Kürzung erfolgen. Begründen ließe sich dies vor allem damit, dass bei dem Nichtbestehen der Arbeitspflichten für die Klägerin auch kein Bedürfnis zur Erholung von ihren nach ihrem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben bestehe. Dies ergebe sich obendrein aus der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH zur Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG). Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub beruhe auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Referenzzeitraums auch tatsächlich gearbeitet hat, sofern er dies denn konnte. Ausnahmen ergäben sich daher beispielsweise für krankheitsbedingte Abwesenheiten oder Zeiten des Mutterschutzes. Abgesehen hiervon nehme die Rechtsprechung bereits in vielfachen Fallgestaltungen eine Kürzung des Urlaubsanspruchs bei Suspendierung der Arbeitspflicht an, so etwa bei Altersteilzeitarbeitenden während der Freistellungsphase im Blockmodell oder bei Transferkurzarbeit „Null“ (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 30.8.2017, 5 Sa 626/17).
Kurzarbeiter seien ausgehend hiervon mit Teilzeitbeschäftigten gleichzusetzen, bei denen anerkanntermaßen eine Kürzung des Erholungsurlaubs erfolge. Demnach sei es auch unerheblich, dass weiterhin Meldepflichten bestehen und sich ein Arbeitnehmer bereithalten müsse, falls der Arbeitgeber die Kurzarbeit vorzeitig beendet. Die Kurzarbeit „Null“ führe dazu, dass durch die Suspendierung der Arbeitspflicht bereits kein Urlaubsanspruch für diese Zeiträume entstehe. Daher habe gleichermaßen eine entsprechende jahresbezogene Umrechnung stattzufinden, sofern die Kurzarbeit nicht über das ganze Jahr dauere.
Überdies sei die Kurzarbeit nicht mit einem Annahmeverzug zu vergleichen, da hier keine einseitige fehlende Inanspruchnahme der Leistung durch den Arbeitgeber vorliegt, sondern die Entscheidung auf einer beiderseitigen Vereinbarung beruht. Zudem existierten keine gesetzlichen Normen, die einer Kürzung des Urlaubsanspruchs bei Kurzarbeit „Null“ entgegenstünden. So stelle das BUrlG keine Sonderregelungen bereit; insbesondere regelt § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG nur die Urlaubsvergütung, nicht aber die Frage der Anzahl der Urlaubstage. Auch § 96 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 SGB III greife nur, soweit arbeitsrechtlich Urlaub erteilt werden kann. Nicht stichhaltig ist ferner das im Prozess angeführte Argument der Klägerin, die konjunkturell bedingte Kurzarbeit erfolge lediglich im Interesse des Arbeitgebers; vielmehr bestehe der Sinn der Kurzarbeit in beiden Fällen darin, Arbeitsplätze zu erhalten und Kündigungen zu verhindern. Die Kürzung des Urlaubsanspruchs sei schließlich auch mit Unionsrecht – ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 8.11.2012, C‑229/11 und C‑230/11) – vereinbar.
Bereits im Jahr 2012 legte das ArbG Passau dem EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren die Frage vor, ob es mit dem Unionsrecht (insbesondere Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta und Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie) vereinbar sei, wenn im Falle der Verringerung der wöchentlichen Arbeitstage im Rahmen der Kurzarbeit der Anspruch auf Erholungsurlaub pro rata temporis (zeitanteilig) angepasst werde. Grund dafür waren die Klagen zweier Arbeitnehmer, deren bereits gekündigte Arbeitsverhältnisse im Rahmen eines Sozialplans um ein Jahr verlängert, beide jedoch im Wege von Kurzarbeit „Null“ von der Arbeitspflicht bis dahin befreit wurden. Sie begehrten daraufhin die finanzielle Vergütung nicht gewährten Jahresurlaubs. Der EuGH entschied, dass unionsrechtliche Vorschriften der Kürzung des Urlaubsanspruchs pro rata temporis eines Kurzarbeiters nicht entgegenstünden. Der bezahlte Erholungsurlaub sei zwar nach ständiger Rechtsprechung des EuGH als ein bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts anzusehen und könne vor allem nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Arbeitnehmer im maßgeblichen Bezugszeitraum auch tatsächlich gearbeitet habe. Dies gelte vor allem dann, wenn der Arbeitnehmer wegen einer Erkrankung seine Arbeitspflicht nicht erfüllen konnte. Davon unterscheide sich die Situation im Rahmen der Kurzarbeit allerdings maßgeblich. Diese beruhe auf einer beidseitigen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Weiterhin habe der Kurzarbeiter während Kurzarbeitsperioden Zeit, sich auszuruhen oder etwaigen Freizeitaktivitäten nachzugehen. Schlussendlich gelte es zu beachten, dass die Kurzarbeit gerade den Arbeitnehmer vor einer (vorzeitigen) Entlassung bewahren solle und diesem daher zugutekomme. Eine andere Beurteilung könne den Arbeitgeber dazu veranlassen, keine Kurzarbeit einzurichten. Der Kurzarbeiter könne daher eher mit den Teilzeitbeschäftigten verglichen werden, da auch er gegebenenfalls sogar vollständig von der Erbringung seiner Arbeitsleistung befreit ist. Der Rechtsprechung des EuGH aus dem Jahr 2020 folgend, bestätigt das LAG Düsseldorf zwar letztlich im Wesentlichen nur „Altbekanntes“, so ist es doch erfreulich, dass nun ebenfalls auf nationaler Ebene Klarheit herrscht. Insbesondere stellt das LAG fest, dass es für die Kürzung des Urlaubsanspruchs während Kurzarbeit „Null“ nicht an einer gesetzlichen Rechtsgrundlage fehle. Freilich ist zu beachten, dass das LAG die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen hat. Allerdings ist nach der Rechtsprechungsänderung des BAG im Urteil vom 15.3.2019 (Az. 9 AZR 315/17) zur Frage der Kürzung des Urlaubsanspruchs bei unbezahltem Sonderurlaub – ausgehend von der Suspendierung der Arbeitspflicht – wohl nicht mit einer abweichenden Entscheidung zu rechnen. Offen bleibt allerdings die Frage der Kürzung des Urlaubsanspruchs bei nur „teilweiser“ Kurzarbeit, also Kurzarbeit, die sich entweder nur auf einzelne (sodann arbeitsfreie) Tage verteilt oder anteilig bzw. stundenweise auf einzelne Tage erstreckt. Auch in diesem Fall bietet sich wohl ein Vergleich mit Teilzeitbeschäftigten ausgehend von der Tatsache an, dass der Urlaubsanspruch tage- und nicht stundenbezogen ist. Dementsprechend dürfte im ersten Fall eine Kürzung des Urlaubsanspruchs in Betracht kommen, im zweiten Fall jedoch wohl nicht. Selbst wenn damit die Rechtslage – zumindest für Kurzarbeit „Null“ – scheinbar geklärt ist, kann es dennoch sinnvoll sein, bis zu einer abschließenden höchstrichterlichen Entscheidung die anteilige Reduzierung bzw. den Wegfall des Urlaubsanspruchs bei der Kurzarbeit betrieblich oder individualvertraglich zu regeln. |
RAin Katharina Mönius, Dr. Kleeberg & Partner GmbH WPG StBG, München (www.kleeberg.de)
BC 8/2021
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