Dr. Hans-Jürgen Hillmer
BFH-Urteil vom 17.6.2020, X R 15/18
Sofern eine natürliche Person, wie z.B. ein Imbiss-Betreiber, mehrere gewerbliche Tätigkeiten ausübt, kann es sich gewerbesteuerrechtlich entweder um einen einheitlichen Betrieb (Steuergegenstand) oder aber um mehrere selbständige Betriebe – und damit um mehrere Steuergegenstände – handeln. Diese formal scheinende Differenzierung kann in der Praxis massiv auf die Höhe gewerbesteuerlicher Belastungen einwirken.
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Hintergrund
Für die Unterscheidung zwischen einem einheitlichen Betrieb und mehreren selbständigen Betrieben kommt der Gleichartigkeit bzw. Ungleichartigkeit der Betätigungen wesentliche Bedeutung zu. Dabei ist dem BFH zufolge jedoch nicht von einer strikten Zweiteilung in gleichartige bzw. ungleichartige Betätigungen auszugehen; vielmehr steigt das notwendige Maß des für eine Zusammenfassung der Betätigungen erforderlichen wirtschaftlichen, organisatorischen und finanziellen Zusammenhangs in Abhängigkeit vom zunehmenden Grad der Verschiedenartigkeit der Betätigungen. Dieser abstrakte Sachverhalt erhellt sich für die in der Buchhaltungs- und Steuerpraxis tätigen Experten, wenn der konkrete Sachverhalt der getroffenen Entscheidung betrachtet wird.
Im Streitfall hatte der Betreiber B geklagt, der ein Eiscafé und einen Grillimbiss im selben Gebäude führte. Die Geschäftsräume waren zwar nicht miteinander verbunden; jedoch wurden die Außengastronomie, das Geschäftsfahrzeug und die Kundentoilette für beide Bereiche genutzt. Ferner bestanden getrennte Konten. Lohnzahlungen für Mitarbeiter des Eiscafés wurden aber teilweise auch vom Konto des Imbisses getätigt. Mit beiden Tätigkeiten trat der Kläger unter derselben Bezeichnung auf; es gab nur eine einheitliche Telefonnummer und eine einheitliche Telefaxnummer.
In diesem Geschäftsumfeld ermittelte B die Gewinne beider Betätigungen durch getrennte Einnahmen-Überschussrechnungen. Während der Grillimbiss in den Streitjahren 2010 und 2011 sehr profitabel war, wurden mit dem Café beträchtliche Verluste erwirtschaftet. Für die Ermittlung der Gewerbesteuer kam es nun darauf an, ob eine Zusammenrechnung erfolgen konnte, was die Steuerlast senken würde (einheitlicher Gewerbebetrieb, so die Ansicht des Betreibers B), oder ob der Imbiss für sich der Gewebesteuer zu unterwerfen war (getrennte Betriebe, so das Finanzamt).
Lösung
Vor diesem Hintergrund wurde das der Ansicht des Finanzamts folgende Urteil der Vorinstanz (FG Münster vom 10.10.2017, 7 K 3662/14 G) vom BFH aufgehoben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, das Fehlen des wirtschaftlichen Zusammenhangs folge daraus, dass es sich um ungleichartige Betätigungen handle, die einander weder förderten noch ergänzten. Auch wenn in beiden Betrieben Lebensmittel zum Verzehr angeboten würden, gehörten sie zu verschiedenen Gewerbezweigen und seien daher nicht gleichartig. Die Betriebsausstattung (Eismaschine einerseits, Kaffeemaschine andererseits) sowie die benötigten Waren seien unterschiedlich.
Auch für den BFH liegt im Streitfall die Annahme zweier Teilbetriebe zwar durchaus im Bereich des Möglichen. Zur Begründung der gegenteiligen Auffassung (sprich einheitlicher Gewerbebetrieb) blickt der BFH aber mehr als 80 Jahre zurück und bemüht den Reichsfinanzhof (RFH), der 1938 für gleichartige Betätigungen in der Hand desselben Unternehmers bereits die Vermutung aufgestellt habe, hier werde ein einheitlicher Betrieb anzunehmen sein, wenn nicht ganz besondere Umstände dagegen sprechen. Diese Vermutung sei allerdings widerlegt, wenn kein Zusammenhang zwischen den Betätigungen gegeben ist. Daraus folgt für den BFH, dass auch bei gleichartigen Tätigkeiten ein gewisser wirtschaftlicher, organisatorischer und finanzieller Zusammenhang bestehen muss.
Bei ungleichartigen Betätigungen stellt sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis gerade umgekehrt dar. Grundsätzlich indiziert die Ungleichartigkeit der Betätigungen ihre gewerbesteuerrechtliche Selbständigkeit Auch in solchen Fällen kann es sich aber um einen einheitlichen Gewerbebetrieb handeln, wenn die verschiedenen Betätigungen – vor allem – wirtschaftlich und daneben auch organisatorisch und finanziell zusammenhängen. Für die Feststellung, ob ein solcher wirtschaftlicher, organisatorischer und finanzieller Zusammenhang besteht, hat die Rechtsprechung die folgenden Merkmale genannt:
- Ein wirtschaftlicher Zusammenhang ist gegeben, wenn die beiden Betätigungen einander stützen und ergänzen. Ein wesentliches Indiz liegt darin, dass das Angebot der einen Betätigung die andere ergänzt oder Kunden des einen Bereichs gelegentlich an den anderen Bereich weitergeleitet werden.
- Kriterien für einen organisatorischen Zusammenhang sind etwa die Benutzung derselben Räume und Einrichtungen, die Tätigkeit derselben Mitarbeiter in beiden Bereichen sowie ein (teilweise) gemeinsamer Einkauf.
- Für einen finanziellen Zusammenhang spricht die Führung gemeinsamer Kassen, Aufzeichnungen oder Bankkonten sowie eine einheitliche Gewinnermittlung, ferner die einheitliche Kostentragung für beide Bereiche sowie der Ausgleich von Verlusten der einen Betätigung durch Gewinne der anderen Betätigung.
Mit diesen Maßgaben, die die Münchener Richter mit Beispielen aus der Rechtsprechung unterfüttern, verweist der BFH zurück an das FG, das die Verhältnisse des vorliegend zu beurteilenden Einzelfalls erneut zu würdigen haben wird. Weil es sich nicht um eindeutig ungleichartige Betätigungen handelt, wird es dabei – so der BFH ausdrücklich – nicht so strenge Anforderungen an den Grad des erforderlichen wirtschaftlichen, organisatorischen und finanziellen Zusammenhangs stellen dürfen wie bei seiner Entscheidung im ersten Rechtsgang.
- Wichtig war dem BFH auch noch folgender Leitsatz: „Wenn Gewerbesteuermessbescheide für mehrere Betriebe desselben Inhabers ergehen, setzt ihre hinreichende inhaltliche Bestimmtheit in der Regel voraus, dass sie einen Hinweis auf den jeweiligen Betrieb (Steuergegenstand) enthalten.“
- Das Urteil ist ein prägnantes Beispiel dafür, dass es im Steuerrecht nicht selten auf vermeintliche Kleinigkeiten ankommt. Zwar wird der Gutschein für eine Eiskugel, die anlässlich eines Stadtfestes Kunden im Eiscafé erhielten, die im Grillimbiss ein bestimmtes Gericht bestellten, nicht für zusätzliche Steuerlasten sorgen. Denn für den BFH ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG die – nur an zwei Tagen und damit lediglich punktuell durchgeführte – „Rabattaktion im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht als wesentlich angesehen hat“. Aber eventuell wird die Nutzung einer Kaffeemaschine den Ausschlag geben: Die BFH-Richter heben ausdrücklich hervor, dass zwar im Anlagenverzeichnis für die Eisdiele eine Kaffeemaschine aufgeführt ist, nicht aber im Anlagenverzeichnis für den Grillimbiss. Daraus wird geschlussfolgert: „Sollte auch im Grillimbiss Kaffee verkauft worden sein und zu dessen Zubereitung die – ausweislich ihrer Anschaffungskosten recht hochwertige – Kaffeemaschine des Eiscafés genutzt worden sein, wäre dies ein weiteres gewichtiges Indiz für einen wirtschaftlichen Zusammenhang der Betätigungen i.S. eines Sich-Ergänzens.“
- Was aber – wofür übrigens die strikte räumliche Trennung spricht –, wenn die Imbiss-Kunden sich mit Kaffee aus einer als GWG abgeschriebenen Einfachvorrichtung zufriedengeben mussten, sodass das spitzfindige Abstellen auf die Bestandteile des Anlagenverzeichnisses unmaßgeblich oder eben sogar irreführend sein könnte? Immerhin sei eingeräumt, dass den mit Steuerrechtsspezialitäten aller Art mehr als ausgelasteten BFH-Richter (Streitfall stammt aus 2010/2011!) vielleicht einfach die Zeit fehlt, um den mehr oder weniger ausgeprägten Duft der Kaffeezubereitung in den räumlich getrennten, unverbundenen Betriebszweigen zu genießen.
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Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 12/2020
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