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Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen mit 6% ab 2014 verfassungswidrig: vorläufige Umsetzung bis zur Gesetzesneuregelung

BC-Redaktion

Landesamt für Steuern Niedersachsen, Mitteilung vom 17.9.2021

 

Mit seinem am 18.8.2021 veröffentlichten Beschluss vom 8.7.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die gesetzlich geregelte 6%-Verzinsung von Steuerforderungen und Steuererstattungen für verfassungswidrig erklärt. Die Finanzämter dürfen das Gesetz nur noch für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 31.12.2018 weiter anwenden. Für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 hat das BVerfG den Gesetzgeber verpflichtet, eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen. Der Gesetzgeber hat dafür Zeit bis zum 31.7.2022.


 

 

Die Entscheidung des BVerfG hat insbesondere folgende Auswirkungen:

  • Es geht erstens ausdrücklich nur um Nachzahlungs- und Erstattungszinsen, nicht um Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen (und auch nicht um Prozesszinsen). Anträge wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit solcher anderer Zinsen werden die Finanzämter – entsprechend dem weiter geltenden Gesetz – ab sofort wieder ablehnen. Im Ergebnis müssen diese anderen Zinsen jetzt gezahlt werden.
  • Es geht zweitens nur um die gesetzliche 6%-Regelung zur Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen für die Zeit ab 2019. Für die Zeit bis dahin hat das BVerfG das Gesetz ausdrücklich für weiter anwendbar erklärt. Mit anderen Worten: Zinsfestsetzungen für die Zeit bis 31.12.2018, die bislang wegen der ausstehenden Entscheidung des BVerfG noch vorläufig oder in ihrer Wirkung ausgesetzt waren, sind nun als endgültig anzusehen. Wenn die Finanzämter bislang für die Zeit bis 31.12.2018 auf die Zahlung von Nachzahlungszinsen im Wege der Aussetzung der Vollziehung vorläufig verzichtet haben, ist damit jetzt Schluss: Die Steuerpflichtigen müssen auch diese Beträge nachentrichten.
  • Dagegen hat das BVerfG den Finanzämtern jegliche Festsetzung von Zinsen auf Steuerforderungen und -erstattungen für die Zeit ab 2019 untersagt. Sie dürfen ab sofort für die Zeit ab 2019 „neue“ Zinsen gar nicht mehr verlangen, sondern müssen hierfür abwarten, wie der Gesetzgeber die Dinge neu regeln wird.
  • Aktuell ist somit offen, wie für die Zeit ab 2019 zu verfahren sein wird. Denn nach der Entscheidung des BVerfG ist es nun Sache des Gesetzgebers, für die Zeit ab 1.1.2019 eine Ersatzregelung zur Verzinsung von Nachzahlungen und Erstattungen zu treffen. Bundestag und Bundesrat haben hierfür Zeit bis zum 31.7.2022, und sie können die Regelung auch rückwirkend ab 2019 in Kraft setzen.
  • Endgültige, nicht mehr änderbare Zinsfestsetzungen für Zeiten ab 1.1.2019 sind (wegen der sog. „Bestandskraft“ solcher Bescheide) hiervon grundsätzlich nicht betroffen (außer dass die Finanzämter auch aus bestandskräftigen Zinsfestsetzungen die Zahlung noch offener/nicht entrichteter Beträge nicht mehr fordern dürfen).

Bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber verfahren die Finanzämter bei Zinsfestsetzungen für die Zeit ab 1.1.2019 mit vorläufiger Wirkung wie folgt (in die Bescheide werden entsprechende Aussagen in Form von Nebenbestimmungen und Erläuterungen aufgenommen; Details hierzu enthält das BMF-Schreiben vom 17.9.2021, IV A 3 – S 0338/19/10004 :005):

  • Neu zu erlassende Bescheide, mit denen eine erstmalige Festsetzung von Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen einhergehen würde, werden von vornherein in Bezug auf diese Zinsen vorläufig „auf null“ gesetzt, bis der Gesetzgeber die Ersatzregelung geschaffen hat und das Finanzamt diese sodann auf die Fälle – gegebenenfalls rückwirkend – anwenden kann.
  • Bescheide, die vor der Entscheidung des BVerfG ergangen waren und die noch nicht endgültig sind, bleiben grundsätzlich weiterhin nicht endgültig, solange sie von keinem der Beteiligten „angefasst“ werden. Das heißt: Die in den Bescheiden enthaltenen Zinsfestsetzungen sind weiterhin „in der Welt“, aber mit dem Status „vorläufig“ (= bis zur Neuregelung des Gesetzgebers), und dies auch unabhängig davon, ob die betreffenden Zinszahlungen geleistet, gestundet oder in anderer Weise ausgesetzt worden sind. Sobald der Gesetzgeber spätestens bis 31.7.2022 die Ersatzregelung getroffen haben wird und damit für alle Beteiligten klar sein wird, welche Änderungen sich konkret ergeben, werden die Finanzämter diese Änderungen eigenständig und grundsätzlich ohne weiteren „Anstoß“ der Steuerpflichtigen in jedem einzelnen Fall von sich aus vornehmen. Das wird dann auch maschinell möglich sein.
  • Bei Bescheiden, die vor der Entscheidung des BVerfG ergangen sind und die jetzt – warum auch immer – geändert werden (müssen), kommt es darauf an, ob sich durch die Änderung für den Steuerpflichtigen eine (weitere) Nachzahlung ergibt oder ob ihm etwas zu erstatten ist: Bei einer (weiteren) Nachzahlung wird das Finanzamt die diesbezüglichen (weiteren) Zinsen – wie bei den Neufestsetzungen (siehe oben) – vorläufig „auf null“ setzen. Bei einer Erstattung (wegen nachträglich verminderter Nachzahlungshöhe) wird das Finanzamt die insoweit zu viel gezahlten Zinsen mit erstatten. Maßgeblich ist also der Änderungsbetrag (nach oben bzw. nach unten). Oder umgekehrt ausgedrückt: Die Zinsen in Bezug auf den gegenüber der bisherigen Festsetzung unveränderten Teil bleiben vorläufig unangetastet – mit der Betonung auf „vorläufig“. Denn all dies gilt nur bis zur Ersatzregelung durch den Gesetzgeber.
  • Je nachdem, wie der Gesetzgeber sodann die Ersatzregelung ausgestaltet, werden die Finanzämter die Nachzahlungs- und Erstattungszinsen zu gegebener Zeit entsprechend neu festsetzen.

Mit diesem Vorgehen beachten die Steuerverwaltungen von Bund und Ländern sowohl die Entscheidung des BVerfG als auch die Hoheit und Kompetenz des Gesetzgebers für die zu treffende Ersatz-/Neuregelung. Keine Bürgerin und kein Bürger und kein Unternehmen muss befürchten, hierdurch Nachteile zu haben. Das berechtigte Anliegen aller Steuerpflichtigen, bei der Verzinsung von Steuernachforderungen und von Steuererstattungen gesetzes- und verfassungsgerecht behandelt zu werden, werden die Finanzämter umfassend beachten: Sie werden in der Regel ohne weiteres Zutun der Steuerpflichtigen nach Maßgabe der bis 31.7.2022 vom Gesetzgeber zu erlassenden Neuregelung die Verzinsung für die Zeiten ab 1.1.2019 „glattziehen“.

 

 

Praxis-Info!

Nachzahlungszinsen auf Steuernachforderungen dürfen nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden. Das gilt auch für private Schuldzinsen. Steuererstattungszinsen hingegen führen – wie Guthabenzinsen überhaupt – zu steuerpflichtigen Einkünften (vgl. BMF-Schreiben vom 16.3.2021, IV C 1 – S 2252/19/10012 :011).

Die Verzinsung von Steuernachforderungen beginnt (gemäß § 233a Abs. 2 S. 1 AO) erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

Die Finanzämter wurden durch das BMF-Schreiben vom 14.6.2018 (IV A 3 – S 0465/18/10005-01) angewiesen, Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, wenn die Zinsen ab April 2015 entstanden sind. Dies galt unabhängig von der Steuerart und dem Besteuerungszeitraum. Die Anweisung beschränkte sich darüber hinaus auch nicht auf Nachzahlungszinsen. Sie galt vielmehr für jeden Zinsbescheid, in dem der Zinssatz nach § 238 AO zugrunde gelegt wurde, d.h.

  • Stundungszinsen (§ 234 AO),
  • Hinterziehungszinsen (§ 235 AO) und
  • Aussetzungszinsen (§ 237 AO).

Voraussetzung war aber, dass der Steuerpflichtige gegen den Zinsbescheid Einspruch eingelegt hat. Weiterhin muss er Aussetzung der Vollziehung beantragt haben. Nur wenn beide Bedingungen erfüllt wurden, setzte das Finanzamt den Zinsbescheid aus.

Für Zinsen vor April 2015 fand das Schreiben jedoch keine Anwendung. Ausnahme: Die Vollziehung hätte für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge, wobei im Einzelfall ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers zu bejahen war.

 

[Anm. d. Red.]

 

 

BC 10/2021

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