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Herausforderungen bei der Bewertung von Wachstumsunternehmen

Prof. Dr. Christian Zwirner und Gregor Zimny

 

Die Bewertung von Wachstumsunternehmen nach IDW S 1 gewinnt in der Praxis immer mehr an Bedeutung. Bewertungsanlässe können beispielsweise ein Reverse IPO (Einbringen z.B. eines operativ tätigen Unternehmens in ein Unternehmen, von dem nur noch eine „Hülle“ als börsennotierte AG existiert) oder die Forderung von Investoren bzw. Venture-Kapitalgebern nach einer fundierten Unternehmensbewertung sein. Bei der Bewertung von Wachstumsunternehmen bestehen im Vergleich zu „etablierten“ Unternehmen Herausforderungen aufgrund eines geringeren Umfangs an aussagekräftigen Vergangenheitsdaten und der schwierigen Zukunftsprognose.


 

Praxis-Info!

Die Bewertung von Wachstumsunternehmen gewinnt in der Praxis zunehmend an Bedeutung. Die Schwierigkeiten im Rahmen von objektivierten Bewertungen nach IDW S 1 liegen dabei vor allem in einer fehlenden Historie bei den Finanzdaten, der Ableitung einer erwartungstreuen Planung sowie bei der Bestimmung der Kapitalkosten, die das Risiko des Unternehmens angemessen abbilden.

Die Herausforderungen der Bewertung eines Wachstumsunternehmens nach IDW S 1 wird im Folgenden anhand eines Startups, das bio-vegane Nahrungsmittel vertreibt, dargestellt. Der Markt für bio-vegane Nahrungsmittel ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. So ist beispielsweise in Deutschland der Umsatz mit vegetarischen und veganen Nahrungsmitteln von € 736 Mio. in 2017 mit einem CAGR (Compound Annual Growth Rate – „jährliche Wachstumsrate“) von rund 28,7% auf ca. € 1.219 Mio. in 2019 gestiegen. Auch der Markt für ökologische Nahrungsmittel ist in Europa und den USA in den letzten zwei Jahrzehnten stark gewachsen. Das europäische Marktvolumen für ökologische Nahrungsmittel ist von rund € 7,0 Mrd. in 2000 auf ca. € 37,3 Mrd. in 2017 gestiegen.

Dieses Wachstum im Markt für bio-vegane Nahrungsmittel ist in einem sich wandelnden Ernährungsverhalten der Konsumenten begründet. So wird der Fokus immer stärker auf eine gesunde Ernährung gelegt und auch der Tierschutz wird vielen Konsumenten immer wichtiger. In Deutschland ist beispielsweise die Anzahl von Veganern von weniger als 80.000 in 2008 auf rund 1,3 Mio. in 2020 gestiegen, und es wird davon ausgegangen, dass sich in der Zukunft bis zu 10 Mio. Deutsche vegan ernähren könnten.

Der Markt für bio-vegane Nahrungsmittel befindet sich also weiter im Wachstum. Die Höhe und Stärke des zukünftigen Wachstums ist jedoch nur mit Unsicherheit zu prognostizieren. Weiter gibt es bisher nur wenige börsennotierte Unternehmen, die sich auf den Markt für bio-vegane Nahrungsmittel konzentrieren. Das wohl bekannteste börsennotierte Unternehmen ist Beyond Meat, das seit ca. zwei Jahren an der Börse notiert ist. Der Börsenkurs des US-amerikanischen Nahrungsmittelproduzenten von veganen Nahrungsmitteln ist seit dem IPO im Jahr 2019 stark gestiegen. Der Aktienkurs unterlag dabei hohen Schwankungen. In den Geschäftsjahren 2016 bis 2020 hat Beyond Meat zum Abschluss des Geschäftsjahres durchgehend Verluste erwirtschaftet. Das Ergebnis verschlechterte sich von rund € -24 Mio. für das Geschäftsjahr 2016 auf ca. €-43 Mio. für das Geschäftsjahr 2020. Die Umsatzerlöse stiegen im selben Betrachtungszeitraum allerdings von rund € 15 Mio. in 2016 auf etwa € 333 Mio. in 2020. Auf der einen Seite hohes Umsatzwachstum, auf der anderen Seite konstant negative Ergebnisse – eine typische Herausforderung bei der Bewertung von Wachstumsunternehmen.

Bei börsennotierten Wachstumsunternehmen besteht mit der Marktkapitalisierung regelmäßig eine Einschätzung des Kapitalmarkts zum Wert des betreffenden Unternehmens, sodass für den Bewerter zumindest Informationen darüber vorliegen, welchen Wert die Marktteilnehmer dem Unternehmen beimessen. Bei nicht börsennotierten Wachstumsunternehmen fehlt es regelmäßig an dieser Einschätzung. Orientierungshilfen können lediglich zeitnahe Transaktionen unter fremden Dritten liefern, sofern derartige Transaktionen stattgefunden haben.

Ungeachtet von marktorientierten Bewertungen müssen Bewerter insbesondere bei objektivierten Unternehmensbewertungen nach IDW S 1 regelmäßig eine Bewertung auf Basis künftiger Cashflows des Bewertungsobjekts vornehmen. IDW S 1 i. d. F. 2008 empfiehlt zur Unternehmensbewertung das national geprägte Ertragswertverfahren oder alternativ die international weit verbreiteten Discounted-Cashflow-(DCF-)Verfahren. Theoretisch können mittels des Barwertverfahrens sämtliche Besonderheiten von Wachstumsunternehmen abgebildet werden. In der Praxis liegen die Probleme jedoch regelmäßig bei der konkreten Ermittlung der jeweiligen Parameter. Bei Wachstumsunternehmen ergibt sich die Schwierigkeit, dass aufgrund der Volatilität (Schwankung) und Unsicherheit des Markts künftige Cashflows schwer ermittelt werden können. Für die Ermittlung der künftigen Cashflows des Bewertungsobjekts ist es wichtig, die Position des Unternehmens bzw. seiner Angebote im Lebenszyklus zu identifizieren. Es ist nicht empfehlenswert, hinsichtlich der Kostenstruktur lediglich auf Gegenwarts- oder Vergangenheitsdaten zurückzugreifen, weil diese keine validen Aussagen für künftige Perioden zulassen. Um ein nachhaltiges Wachstum von einem kurzfristigen Trend trennen zu können, bedarf es daher umfassender Marktanalysen. Dabei können auch Experteninterviews hilfreich sein.

Eine weitere Herausforderung bei der Bewertung von Wachstumsunternehmen stellt die Abbildung des operativen Risikos dar. Während für große und kapitalmarktorientierte Unternehmen in reifen Märkten meistens eine angemessene Peer Group (Gruppe von vergleichbaren Unternehmen) gebildet werden kann, die zur Ableitung eines Betafaktors und somit der Kapitalkosten geeignet ist, besteht bei Wachstumsunternehmen in rapide wachsenden Märkten meist die Schwierigkeit, eine angemessene Peer Group zu bestimmen.

Insgesamt ergeben sich bei der Bewertung von Wachstumsunternehmen und Startups nach IDW S 1 verschiedene Herausforderungen, die im Wesentlichen aus dem Mangel an Vergangenheitsdaten zur Plausibilisierung der Planungsrechnung sowie der adäquaten Ableitung der Kapitalkosten bestehen. Dabei ist das Kernproblem bei der Bewertung von Wachstumsunternehmen die Qualität und der Umfang der verfügbaren Informationen im Vergleich zu etablierten Unternehmen.

 

WP/StB Prof. Dr. Christian Zwirner,
Dr. Kleeberg & Partner GmbH WPG StBG, München (www.kleeberg.de)

Gregor Zimny, CVA, Prokurist, Dr. Kleeberg & Partner GmbH WPG StBG, München

BC 8/2021 

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