Im Juli 2021 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die gesetzlich geregelte 6%-Verzinsung von Steuerforderungen und Steuererstattungen für Zeiträume nach dem 31.12.2018 für verfassungswidrig erklärt. Aber wie so oft im Steuerrecht steckt der Teufel im Detail.
Praxis-Info!
Der eingangs erwähnte Beschluss des BVerfG bezieht sich auf eine spezielle Regelung – hier die Verzinsung nach § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO – in einem bestimmten Zeitraum (nach dem 31.12.2018). So geht es in dem Beschluss ausschließlich um Nachzahlungs- und Erstattungszinsen, nicht um Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen. Bereits ab dem Jahr 2014 war der Zinssatz nicht mehr verfassungsgemäß; das bisherige Recht wurde aber für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume für weiterhin anwendbar erklärt (vgl. Lüdemann, BC 2021, 404, Heft 9).
In diversen Steuer- bzw. steuernahen Gesetzen finden sich vielfältige Zinssatzregelungen in ähnlicher Höhe. Hierzu einige Beispiele (ohne Anspruch auf Vollzähligkeit):
- § 288 Abs. 1 BGB: Der Verzugszinssatz für Geldschulden beträgt für das Jahr 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
- § 352 HGB: Die Höhe der gesetzlichen Zinsen, mit Ausnahme der Verzugszinsen, ist bei beiderseitigen Handelsgeschäften fünf vom Hundert für das Jahr.
- § 6a Abs. 3 S. 3 EStG: Bei der Berechnung des Teilwerts der Pensionsverpflichtung sind ein Rechnungszinsfuß von 6 Prozent und die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik anzuwenden.
- § 15 Abs. 1 BewG: Der einjährige Betrag der Nutzung einer Geldsumme ist, wenn kein anderer Wert feststeht, zu 5,5 Prozent anzunehmen.
- § 15 Abs. 2 UmwG: Die bare Zuzahlung ist nach Ablauf des Tages, an dem die Eintragung der Verschmelzung in das Register des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers nach § 19 Abs. 3 UmwG bekannt gemacht worden ist, mit jährlich 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen.
Da sich die Begründung des BVerfG-Beschlusses auch auf andere Regelungen übertragen lässt, kommt es zurzeit zu einer Häufung von Zinssatzurteilen, wie zwei aktuelle Beispiele aus Nordrhein-Westfalen zeigen.
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Anwendung des Regelzinssatzes in Höhe von 5,5% gemäß § 15 Abs. 1 BewG zur Ermittlung des Jahreswerts eines Nutzungsvorteils aus einem zinslosen Darlehen
FG Düsseldorf, Urteil vom 26.1.2022, 4 K 272/21 Erb (Revision zugelassen)
Problemstellung
Im Ausgangsfall ging es um die Stellung eines zinslosen Darlehens zwischen nahestehenden Personen.
Das Finanzamt sah einen Nutzungsvorteil aus der Zinslosigkeit des Darlehens, welches der Schenkungsteuer unterworfen wurde. Unter Anwendung des § 15 Abs. 1 BewG bewertete das Finanzamt den Nutzungsvorteil mit 5,5% der Darlehenssumme pro Jahr.
Aus Sicht des Klägers war ein Zinssatz in dieser Höhe nicht mehr zeitgemäß.
Lösung
Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf folgt nicht der Auffassung des Klägers. Der Darlehensnehmer war zum Zeitpunkt der Darlehensaufnahme ein erwerbsloser Student. Die Stellung von Sicherheiten, eine feste Tilgung oder ein Rückzahlungszeitpunkt waren nicht vereinbart. Es ist daher nicht ersichtlich, dass der Kläger auf dem Kapitalmarkt eine vergleichbare Finanzierung zu einem niedrigeren Zinssatz hätte erhalten können.
Es bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. In dem relevanten BVerfG-Beschluss geht es um die Abschöpfung eines Liquiditätsvorteils; der dortige Zinssatz ist also am Anlagekapitalmarkt orientiert. Im Ausgangsfall bezieht sich der Zinssatz aber auf einen vergleichbaren Zinssatz für die Kreditaufnahme. So weist die Deutsche Bundesbank für das Jahr der Darlehensaufnahme für Konsumentenkredite mit einer Laufzeit von über fünf Jahren einen Effektivzinssatz von durchschnittlich 6,61% aus. Ein Zinssatz von 5,5% erscheint daher angemessen.
Abzinsungssatz von 5,5% für unverzinsliche Verbindlichkeiten verfassungsgemäß?
FG Münster, Urteil vom 18.1.2022, 2 K 700/18 G,F (Revision zugelassen)
In diesem Urteil geht es um die Abzinsung von unverzinslichen Verbindlichkeiten im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung für die Besteuerungszeiträume 2011 bis einschließlich 2013. Wie schon bereits in ähnlicher Sache geurteilt, bleibt das FG Münster bei seiner Auffassung, dass der Abzinsungszinssatz von 5,5% für Veranlagungszeiträume bis Ende 2013 verfassungsgemäß ist. Das FG Münster stützt sich dabei auch auf den erwähnten Beschluss des BVerfG, wonach der Zinssatz von 6% bei Nachzahlungs- und Erstattungszinsen erst ab dem Zeitraum 2014 verfassungswidrig war. Damit bleibt das FG Münster weiterhin im Widerspruch zu einem Urteil des FG Hamburg; die höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu steht noch aus.
Die Kombination aus verschiedenen gesetzlichen Zinsregelungen und unterschiedlichen Zeiträumen wird die Finanzgerichte wohl noch einige Zeit beschäftigen. In der Zwischenzeit dürften sich einige klagende Unternehmen fragen, mit welchem Zinssatz sie die Rückstellung für Prozesskostenrisiken für Klagen gegen den Abzinsungszinssatz wohl am besten abzinsen sollten.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 3/2022
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