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Mietanpassung bei behördlich angeordneter Geschäftsschließung

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

BGH-Urteil vom 12.1.2022, XII ZR 8/21

 

Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht. Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.


 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Die Frage der Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Geschäftsschließung beschäftigt die Gerichte schon länger (siehe Weichler, BC 2021, 109, Heft 3). Der u.a. für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH hatte nun konkret die Frage zu entscheiden, ob ein Mieter von gewerblich genutzten Räumen für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der COVID-19-Pandemie zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet ist.

Im Sachverhalt ging es um gemietete Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs. Aufgrund von Allgemeinverfügungen im Land Sachsen hatte die Beklagte ihr Textileinzelhandelsgeschäft im Mietobjekt vom 19.3.2020 bis einschließlich 19.4.2020 schließen müssen und für den Monat April 2020 keine Miete entrichtet.

Vorinstanzlich hatte das Oberlandesgericht Dresden (OLG) die Beklagte zur Zahlung der hälftigen Kaltmiete verurteilt. Unter dem Az. XII ZR 8/21 hat der BGH das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen.

 

 

Lösung

Der BGH vertritt zunächst die Auffassung, dass die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts nicht zu einem Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 S. 1 BGB führt. Dem Vermieter werde dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich.

Dem Mieter von gewerblich genutzten Räumen kann jedoch im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen. Aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, wie Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen, und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ist für den BGH im vorliegenden Fall die sog. große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter versteht man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Diese Erwartung der Parteien wurde dadurch schwerwiegend gestört, dass die Beklagte aufgrund der erlassenen Allgemeinverfügungen schließen musste.

Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB berechtigt jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters – wie im vorliegenden Fall – auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Denn die wirtschaftlichen Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung erlitten hat, beruhen nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie sind vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann. Durch die COVID-19-Pandemie hat sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst wird. Das damit verbundene Risiko kann – so der BGH – regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.

Dies bedeutet aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Es bedarf vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung ist, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Diese werden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen ist. Zu berücksichtigen kann auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern.

Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Hierbei können auch Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich. Schließlich sind bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.

Das OLG Dresden (sein vorinstanzliches Urteil stammt vom 24.2.2021 und trägt das Az.: 5 U 1782/20) hat nach der Zurückverweisung gemäß BGH-Vorgabe nunmehr zu prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrags erforderlich macht.

 

 

 

Praxishinweise:

  • Schon am Tag der Veröffentlichung hat das besprochene BGH-Urteil (Az. XII ZR 8/21) zur Absenkung der Mieten während der Corona-Pandemie große Resonanz gefunden und es beispielsweise auch in viele Nachrichtensendungen des 12.1.2022 geschafft. Stellvertretend für viele sei hier auf eine Stellungnahme von Dr. Michael Schultz (Partner bei Müller Radack Schultz) verwiesen, wonach der BGH erfreulicherweise in vielen Fällen Klarheit geschaffen habe – auch wenn es seiner Ansicht nach bei der Beurteilung der Frage, inwieweit das Festhalten am unveränderten Vertrag zumutbar ist, auf alle Umstände des Einzelfalls ankomme. Denn „der BGH hat entschieden, dass es im Hinblick auf Umsatzrückgänge und -verluste nicht um einen möglichen Konzernumsatz geht, sondern dass auf das konkrete Mietobjekt abzustellen ist. Staatliche Hilfen sind zu berücksichtigen, ausgenommen die staatlichen Hilfen, die nur als Darlehen gewährt worden sind. Zu Recht hat der BGH auch entschieden, dass eine Existenzgefährdung nicht Voraussetzung für eine Mietanpassung ist“.
  • Offene Fragen leitet Schultz daraus ab, dass der BGH nur den Fall einer pandemiebedingten Geschäftsschließung beurteilt hat. Er habe sich aber nicht dazu geäußert, ob bzw. inwieweit auch eine Anpassung der Miete in den Phasen zwischen den Lockdowns vorzunehmen ist, wie dies etwa vom OLG Frankfurt befürwortet worden sei. Schultz erwartet daher, dass sich der BGH auch zukünftig mit Fragen der pandemiebedingten Mietanpassung befassen wird.
  • Die vom BGH vorgegebene Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung hatte zuvor auch Weichler (BC 2021, 109, Heft 3) gesehen und empfohlen, in neue Miet- und Pachtverträge eine individualvertragliche Klausel aufzunehmen, die eine konkrete Regelung beim Eintritt einer Schließung der Betriebsstätte aufgrund einer behördlichen Maßnahme beinhaltet.
  • Die oben angesprochene Notwendigkeit eines Nachweises der wirtschaftlichen Nachteile und der Gegenrechnung von finanziellen Vorteilen dürfte jedenfalls in der Praxis manchen Schreibtisch der in unternehmerische Vermietungen eingebundenen Bilanzbuchhalter/innen und Controller/innen füllen.

 

 

Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld

 

BC 2/2022

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