FG Düsseldorf, Urteil vom 8.7.2022, 1 K 472/22 U (Revision nicht zugelassen)
Das Anfordern von Unterlagen kann eine Prüfungshandlung darstellen, durch die eine den Ablauf der Festsetzungsfrist hemmende steuerliche Außenprüfung wirksam beginnt.
Praxis-Info!
Problemstellung
Eine GmbH erbringt Bauleistungen und Bauträgertätigkeiten. Das Finanzamt erteilte der GmbH am 16.11.2015 eine Bescheinigung zum Nachweis der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen und/oder Gebäudereinigungsarbeiten. Die Umsatzsteuererklärung 2015 reichte die GmbH am 21.6.2016 beim Finanzamt ein.
Mit Schreiben vom 13.10.2020 ordnete das Finanzamt bei der GmbH eine steuerliche Außenprüfung u.a. für die Umsatzsteuer 2016 bis 2018 an (Prüfungsbeginn: 1.12.2020). Laut einem Vermerk des Betriebsprüfers würden die für den Prüfungszeitraum 2016 bis 2018 vorgelegten Unterlagen darauf hindeuten, dass für die in 2015 bereits geleisteten Anzahlungen in Höhe von mindestens 85.000 € unzulässigerweise das Reverse-Charge-Verfahren (Umkehr der Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG) nicht angewendet worden sei. Da die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2015 am 31.12.2020 ablaufe, sei mit der Prüfung noch in 2020 zu beginnen.
Mit Schreiben vom 15.12.2020 wurde daher der Prüfungszeitraum u.a. auf die Umsatzsteuer 2015erweitert (wegen erheblicher Änderungen der Besteuerungsgrundlagen: Prüfungsbeginn: 21.12.2020). Hierzu wurden am 18.12.2020 Unterlagen für 2015 angefordert (u.a. Eingangs-/Ausgangsrechnungen, elektronische FiBu-Daten etc.). Laut den Prüfungsfeststellungen habe die GmbH u.a. umsatzsteuerfreie Bauträgertätigkeiten erbracht, wobei die eigentlichen Bauarbeiten von fremden Unternehmen ausgeführt worden seien. Diese hätten auch Umsatzsteuer in Rechnung gestellt; die Umkehr der Steuerschuldnerschaft sei nicht angewendet worden. Vorsteuer habe die GmbH zutreffend nicht abgezogen. Die GmbH sei aufgrund der erteilten Bescheinigung "Nachweis zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen und/oder Gebäudereinigungsarbeiten" ein Unternehmen, welches nachhaltig Bauleistungen erbringe; es schulde in 2015 Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 5 S. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 UStG.
Die GmbH legte hiergegen Einspruch ein. Begründung: Der Umsatzsteuerbescheid 2015 habe nicht geändert werden dürfen, da die reguläre Festsetzungsfrist am 31.12.2020 abgelaufen sei. Eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO greife nicht. Reine Vorbereitungshandlungen wie die Versendung einer Prüfungsanordnung mit Schreiben vom 15.12.2020 bzw. die Anforderung allgemeiner Unterlagen mit Schreiben vom 18.12.2020 führten noch nicht zu einer Ablaufhemmung.
Lösung
Das Finanzamt war formell berechtigt, den Umsatzsteuerbescheid vom 14.10.2021 zu erlassen.
Da die GmbH die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2015 im Jahr 2016 abgegeben hatte, endete die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist grundsätzlich mit Ablauf des 31.12.2020. Der Ablauf der Festsetzungsfrist wurde jedoch durch die am 18.12.2020 begonnene steuerliche Außenprüfung für das Jahr 2015 nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt. Die Anforderung von Unterlagen durch das Schreiben vom 18.12.2020 stellt eine Prüfungshandlung dar. Bei der Bekanntgabe der Erweiterung der Betriebsprüfung am 21.12.2020 war für die GmbH erkennbar, dass die Prüfung mit der Anforderung der Unterlagen am 18.12.2020 bereits begonnen hatte.
Mit einer Außenprüfung ist tatsächlich noch nicht begonnen, wenn der Prüfer erscheint und die Prüfungsanordnung übergibt, sondern erst dann, wenn er nach der Übergabe oder Übersendung der Prüfungsanordnung Handlungen zur Ermittlung des Steuerfalls vornimmt. Zu den Prüfungshandlungen zählen auch Maßnahmen eines Außenprüfers zur Ermittlung eines Steuerfalls (wie die Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren u.Ä.). Letzteres ist am 18.12.2020 geschehen (konkrete Ermittlungsmaßnahmen!). Die GmbH musste damit rechnen, dass der Prüfer die angeforderten Unterlagen sichtet, auf die zutreffende steuerliche Behandlung der Sachverhalte hin überprüft und anhand der Eingangsrechnungen sowie der Aufzeichnungen zu teilfertigen Arbeiten die umsatzsteuerliche Behandlung der geleisteten Anzahlungen in 2015 begutachtet. Die Anforderung umfassender Unterlagen verwirklicht den Zweck der steuerlichen Betriebsprüfung, die steuerlichen Verhältnisse insgesamt zu prüfen.
- Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer steuerlichen Außenprüfung begonnen oder wird deren Beginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben, so läuft die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt oder im Fall der Hinausschiebung der Außenprüfung erstrecken sollte, nicht ab. Dies gilt so lange, bis die aufgrund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder nach Bekanntgabe der Mitteilung nach § 202 Abs. 1 S. 3 AO drei Monate verstrichen sind (§ 171 Abs. 4 S. 1 AO).
- Bloße Vorbereitungshandlungen wie die Prüfung, ob der Steuerfall in den Prüfungsplan aufgenommen werden soll, die Kontaktaufnahme mit dem Steuerpflichtigen oder dessen Vertreter zur Absprache des Prüfungsbeginns reichen hingegen nicht aus.
- Die Abgrenzung, ob eine Handlung als Prüfungsvorbereitung oder als Prüfungshandlung zu beurteilen ist, richtet sich nach der Qualität im Einzelfall, nämlich wie der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen den Gehalt der Ermittlungsmaßnahme unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte.
|
[Anm. d. Red.]
BC 9/2022
becklink450646