BFH-Beschluss vom 13.10.2021, I B 31/21
„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie.“ Dieser Satz Goethes trifft auf das deutsche Recht nur bedingt zu, da hier eine Theorie sehr entscheidend sein kann. Beispielsweise bei der Frage, ob bei einer Gesellschaft die Sitz- oder Gründungstheorie anzuwenden ist. Durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU (Brexit) ist dieser Sachverhalt nunmehr für britische Limited-Gesellschaften relevant geworden.
Praxis-Info!
Die Sitztheorie besagt, dass eine Gesellschaft dort wirksam registriert bzw. errichtet sein muss, wo sie ihren tatsächlichen Sitz hat. Ist dies nicht der Fall, verliert sie unter Umständen ihre zivilrechtliche Rechtsfähigkeit. Bei der Sitztheorie ist u.a. darauf abzustellen, wo die Gesellschaft ihre Verwaltung hat oder wo sich der Sitz der Geschäftsführung befindet.
Da innerhalb der EU die Niederlassungsfreiheit gilt, ist bei in der EU gegründeten Firmen demgegenüber die Gründungstheorie anzuwenden. Hierbei kommt es einzig darauf an, ob die Gesellschaft in einem EU-Mitgliedstaat wirksam gegründet wurde.
Der Brexit hat für britische Limited-Gesellschaften einen Wechsel von der Anwendung der Gründungs- zur Sitztheorie verursacht. Zivilrechtlich ist eine britische Limited ohne Verwaltung, Betriebsstätte, Sitz der Geschäftsführung in Großbritannien somit nicht mehr länger in Deutschland rechtsfähig. Bei der körperschaftsteuerrechtlichen Behandlung einer ausländischen Gesellschaft kommt es allerdings nicht auf die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit, sondern auf den sog. Typenvergleich an. Aus dem Typenvergleich ergibt sich, dass eine britische Limited als Körperschaftsteuersubjekt zu behandeln ist. Demzufolge kann die britische Limited weiterhin Beteiligte in einem finanzgerichtlichen Verfahren sein, da sich hier die Beteiligtenfähigkeit an der Steuerrechtsfähigkeit (und nicht an der zivilen Rechtsfähigkeit) orientiert.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 3/2022
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