FG Münster, Urteil vom 27.1.2022, 1 K 1741/18 E
Bei Gebäuden zu Wohnzwecken (kein Betriebsvermögen) wird im Steuerrecht gewöhnlich eine Restnutzungsdauer von 50 Jahren unterstellt. Liegt eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer des Gebäudes vor, so kann diese als Grundlage für die Ermittlung der AfA verwendet werden. Doch wie lässt sich eine solche kürzere Restnutzungsdauer nachweisen?
Praxis-Info!
Problemstellung
Der Kläger erzielte Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung einer Immobilie, welche er im Rahmen einer Zwangsversteigerung erworben hatte. Im Kontext des anstehenden Eigentümerwechsels wurde für das Grundstück im Jahr vor dem Erwerb durch den Kläger im Auftrag des zuständigen Amtsgerichts von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Grundstücksbewertung ein Wertgutachten erstellt. Dieses kam zu der Einschätzung, dass die Restnutzungsdauer der Immobilie 30 Jahre betrage. Der Kläger übernahm diese Einschätzung nach dem Erwerb und setzte eine AfA von 3,3% an.
Das Finanzamt berücksichtigte dagegen nur eine AfA von 2%. Es führte aus, dass die in einem Wertgutachten angesetzte Restnutzungsdauer in der Regel nicht als Grundlage für den steuerlich relevanten Abschreibungszeitraum geeignet sei. Die Ermittlung der Restnutzungsdauer war von dem Gutachter nach den Grundsätzen der Immobilienverordnung und der Sachwertrichtlinie erfolgt. Das Ergebnis einer solchen Bewertung sei nicht auf den Begriff der Restnutzungsdauer im steuerrechtlichen Sinne übertragbar.
Lösung
Das Finanzgericht (FG) Münster widerspricht der Auffassung des Finanzamts. Gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 EStG kann anstelle der unterstellten Nutzungsdauer von 50 Jahren die der tatsächlichen kürzeren Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechende AfA angesetzt werden. Der Steuerpflichtige hat die kürzere Nutzungsdauer darzulegen und nachzuweisen. Bei der Schätzung der Nutzungsdauer durch den Steuerpflichtigen kann allenfalls eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden. Sie ist daher nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt. Eine Bestimmung der Gutachtenmethodik oder eine Festlegung auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren findet sich nicht im Steuerrecht. Entscheidend ist, dass nachvollziehbare Gründe für die gewählte Nachweismethode vorliegen.
Im Ausgangsfall wurde das Gutachten im Auftrag des Amtsgerichts von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erstellt. Das Ergebnis des Gutachtens liegt aus Sicht des FG Münster nicht erheblich außerhalb des zulässigen Schätzungsrahmens. Auch lag aufgrund der Beauftragung durch das Amtsgericht kein Parteigutachten vor. Die nach dem Erwerb notwendigen Sanierungen unterstützen zusätzlich die Ansicht, dass eine Nutzungsdauer von 50 Jahren unrealistisch ist. Somit ist der Kläger zu Recht von einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer ausgegangen und der AfA-Satz von 3,3% nicht zu beanstanden.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 5/2022
becklink447871