FG Köln, Urteil vom 23.3.2022, 6 K 923/20
Das deutsche Steuerrecht sieht für Gebäude eine typisierte Nutzungsdauer von 33, 40 oder 50 Jahren vor. Davon abweichende Restnutzungsdauern – insbesondere dann, wenn sie einen kürzeren Zeitraum umfassen – sind vom Steuerpflichtigen nachzuweisen. Doch welche Art von Gutachten ist für einen solchen Nachweis erforderlich?
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Problemstellung
Der Kläger, Eigentümer mehrerer Vermietungsobjekte, erwarb ein Mehrfamilienhaus. Auf Basis eines Gutachtens, das durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erstellt worden ist, wurde für das Mehrfamilienhaus eine wirtschaftliche Nutzungsdauer von 31 Jahren ermittelt. Diese machte der Kläger in seiner Steuererklärung geltend. Das Gutachten beruhte auf
- der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) sowie
- dem Schema zur Bestimmung der Restnutzungsdauer bei modernisierten Gebäuden der Arbeitsgemeinschaft der Vorsitzenden der Gutachterausschüsse für Grundstückswerte in Nordrhein-Westfalen.
Das Finanzamt erkannte die kürzere Nutzungsdauer nicht an, da aus Sicht der Behörde der Begriff der „wirtschaftlichen Nutzungsdauer“ nicht mit dem Begriff der „tatsächlichen Nutzungsdauer“ in § 7 Abs. 4 S. 2 EStG gleichzusetzen sei.
Lösung
Das Finanzgericht (FG) Köln widerspricht der Auffassung des Finanzamts. Der Steuerpflichtige hat grundsätzlich eine kürzere Restnutzungsdauer darzulegen und nachzuweisen. Für die Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes kann sich der Steuerpflichtige dabei jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Da es keine absolute Gewissheit über die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer gibt, ist eine Darlegungsmethode nur dann zu verwerfen, wenn die Ergebnisse eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegen. „Semantische Einwände“ (semantisch: den Bedeutungsinhalt eines sprachlichen Zeichens betreffend) zum Begriff „wirtschaftliche versus tatsächliche Nutzungsdauer“ greifen nicht. Die tatsächliche Nutzungsdauer umfasst sowohl die verbleibende technische Nutzungsdauer als auch eine eventuell kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer.
Im Ausgangsfall ist es nicht ersichtlich, dass der Gutachter durch die angewandte Ermittlungsmethode den angemessenen Schätzungsrahmen verlassen hat. Das Gutachten selbst und die darin verwendeten Modelle wurden auch nicht vom Finanzamt beanstandet. Aus Sicht des FG Köln hat der Steuerpflichtige daher eine kürzere Nutzungsdauer ausreichend dargelegt und nachgewiesen.
Wie häufig bei Finanzgerichtsurteilen wird – wie zu vernehmen ist – die Finanzverwaltung dieses Urteil über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anwenden. In einer internen Verfügung sollen die Finanzbehörden angewiesen worden sein, das BFH-Urteil vom 28.7.2021, IX R 25/19, nicht anzuwenden (https://kurzelinks.de/Gebaeude-AfA). Laut diesem BFH-Urteil dürfen Steuerpflichtige eine verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer (als die in § 7 Abs. 4 EStG festgelegte) bei der Ermittlung einer Gebäude-AfA berücksichtigen und sich dabei jeder Darlegungsmethode bedienen. Übrigens: Auch das Finanzgericht Münster hat mit Urteil vom 27.1.2022 (1 K 1741/18 E, vgl. BC 2022, 192, Heft 5) entschieden, dass die Nutzungsdauer von Gebäuden und damit die AfA verkürzt werden kann, wenn geeignete Nachweise hierfür erbracht werden. Es empfiehlt sich gegebenenfalls, in vergleichbaren Fällen den betreffenden Steuerbescheid durch einen Einspruch offenzuhalten. |
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 8/2022
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