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Zur Wirksamkeit der Annahme des Jahresabschlusses durch die Gesellschafter im Umlaufverfahren

Christian Thurow

LG Hamburg, Urteil vom 1.7.2022, 418 HKO 83/21

 

Das Ende der abendländischen Zivilisation ist nah. Nachdem das bayerische Kultusministerium bekannt gegeben hat, dass nach 48 Jahren „Faust I“ aus dem gymnasialen Lehrplan gestrichen wird, widerspricht nun auch das Landgericht (LG) Hamburg den Weisheiten des Dr. Faust. So kann man zwar, was man schwarz auf weiß besitzt, getrost nach Hause tragen. Rechtlich gültig muss ein solch schriftliches Dokument aber nicht unbedingt sein.


 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Eine GmbH hatte zwei Gesellschafter, welche zu jeweils 50% am Stammkapital beteiligt waren. Die Satzung der GmbH sah vor, dass die Gesellschafterversammlung beschlussfähig ist, wenn mindestens drei Viertel des gesamten Stammkapitals vertreten sind. Ferner konnten Beschlüsse mit Zustimmung aller Gesellschafter auch schriftlich oder fernmündlich getroffen werden.

Nach diversen Streit- und wohl auch Betrugsfällen waren die Gesellschafter zerstritten und führten mehrere Prozesse gegeneinander. In diesem Umfeld beantragte der Gesellschafter-Geschäftsführer die Feststellung des Jahresabschlusses im Umlaufverfahren, was der andere Gesellschafter ablehnte. Aus Sicht des Gesellschafter-Geschäftsführers war eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren auch gegen den Willen aller Gesellschafter nach § 2 COVMG zulässig (COVMG – Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie). Aufgrund des treuwidrigen Verhaltens sei damit die Stimme des anderen Gesellschafters ungültig und der Jahresabschluss durch sein eigenes Abstimmungsverhalten festgestellt.

 

 

Lösung

Das LG Hamburg widerspricht der Rechtsauffassung des Gesellschafter-Geschäftsführers. Zwar ist es zutreffend, dass nach § 2 COVMG Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden können. Wie auch der überwiegende Teil der einschlägigen Literatur geht das LG Hamburg aber davon aus, dass im Falle des Bestehens von Satzungsregelungen zur Beschlussfähigkeit in Gesellschafterversammlungen deren Inhalt gleichermaßen nach dem COVMG zu berücksichtigen ist.

Im Ausgangsfall sah die Satzung der GmbH vor, dass zur Beschlussfähigkeit der Gesellschafterversammlung mindestens drei Viertel des gesamten Stammkapitals vertreten sein mussten. Diese Regelung ist bei Anwendung des § 2 COVMG auch auf schriftliche Beschlüsse anzuwenden. Da einer der beiden Gesellschafter seine Teilnahme an dem Umlaufverfahren verweigert hat, war die laut Satzung erforderliche Anwesenheit – bzw. Teilnahme von drei Vierteln des Stammkapitals – nicht gegeben. Mangels Beschlussfähigkeit waren daher die Feststellung des Jahresabschlusses, der Beschluss zur Gewinnverwendung, die Entlastung des Geschäftsführers nichtig.

Da die Anfechtung mit dem Nichterreichen des Quorums begründet war, kann offenbleiben, ob nach § 2 COVMG wenigstens eine qualifizierte Mehrheit der Gesellschafter dem Umlaufverfahren zustimmen muss oder ob bereits ein einzelner Minderheitsgesellschafter ein solches Verfahren beantragen kann. Offenbleiben kann auch, ob ein treuwidriges Verhalten des verweigernden Gesellschafters vorgelegen hat.

 

 

 

Praxishinweis:

Das Urteil verdeutlicht einmal mehr die Wichtigkeit der Satzung, insbesondere bei Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern. So ist im Streitfall eine Drei-Viertel-Mehrheit bei zwei jeweils zu 50% beteiligten Gesellschaftern, die sich überworfen haben, wohl nur schwer zu erzielen.

Eine der wesentlichen Fragen konnte das LG Hamburg mit der Bezugnahme auf die Satzung unbeantwortet lassen. Nach § 2 COVMG können Beschlüsse in Schriftform auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden:

  • Doch was genau ist mit „sämtlicher Gesellschafter“ gemeint?
  • Kann ein Gesellschafter mit einem 1%-Anteil am Stammkapital bereits das Umlaufverfahren durchsetzen?
  • Oder bedarf es einer 50%igen oder gar 75%igen Zustimmung?

Alle genannten drei Varianten wären durch den Wortlaut des COVMG gedeckt. Auf eine gerichtliche Auslegung ist nun weiterhin zu warten.

 

 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)

 

 

BC 10/2022

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