Dr. Hans-Jürgen Hillmer
Eine neue Studie zum „Goodwill“ in Bilanzen hat zu dem Ergebnis geführt, dass stark mitbestimmte Unternehmen bei M&A-Transaktionen weniger ins Risiko gehen. Der größere Teil der dennoch getätigten Zukäufe erfolgte im Ausland. Zugleich wird bei Akquisitionen relativ selten diversifiziert, d.h., meistens wurden Unternehmen aus der eigenen Branche übernommen.
Praxis-Info!
Hintergrund
Die vom Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Wissenschaftler erfassten in einem ersten Schritt alle paritätisch mitbestimmten Unternehmen (also mit zahlenmäßig gleich vielen Sitzen im Aufsichtsrat für Kapitalseite und Beschäftigte, in erster Linie Unternehmen, die in den Leitindizes DAX, MDAX, SDAX und TecDAX notiert sind). Erfasst sind 111 Unternehmen, für die zu sog. Mergers & Acquisitions (M&A) von 2006 bis 2019 jährliche Daten vorliegen, also zu Beteiligungen an oder Übernahmen von anderen Unternehmen (Merger – Verschmelzung, Zusammenschluss; Acquisitions – Unternehmenserwerbe). Nicht im Datensatz sind Unternehmen der Finanzbranche, weil sich die Forscher für strategische Zukäufe interessieren, nicht für reine Finanzbeteiligungen.
In einem zweiten Schritt wurde zwischen Unternehmen mit starker und schwacher oder ganz ohne Mitbestimmung differenziert. Dazu wurde die Stichprobe um rund 60 nicht-mitbestimmte Unternehmen aus den vier Leitindizes ergänzt – mithin auf insgesamt rund 170 Firmen. Durchgeführt wurde die Studie von Wirtschaftswissenschaftlern der Universität Duisburg-Essen (UDE) und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).
Ergebnisse
In der Studie wurde festgestellt, dass zwischen 2006 und 2019 die knapp 170 wichtigsten börsennotierten deutschen Unternehmen fast ein Viertel ihrer Einnahmen, gut 400 Mrd. €, dafür aufgewendet haben, andere Unternehmen aufzukaufen. Auf eine verstärkte Internationalisierung deutet hin, dass der größere Teil der Zukäufe im Ausland erfolgte. Da zugleich meist Unternehmen aus der eigenen Branche übernommen wurden, haben die Studienautoren feststellen können, dass bei Akquisitionen relativ selten diversifiziert wird.
M&A-Transaktionen können die Wachstumsstrategie von Unternehmen demnach voranbringen, zugleich warnen die Forscher aber vor der Gefahr, dass Käufer „zu teuer“ erwerben und sich mit Akquisitionen „überheben“. Ein zentrales Anliegen der Studie bestand daher darin, aus dem Verhältnis von „Goodwill“ (Geschäfts- oder Firmenwert) und Eigenkapital Hinweise auf mögliche Risiken abzuleiten. Diese Quote ist in den rund 170 untersuchten Unternehmen der erweiterten Stichprobe zwischen 2006 und 2019 von durchschnittlich 34% auf 38% gestiegen. Nach Analyse der Ökonomen von UDE, WZB und I.M.U. zeigen sich dabei deutliche Unterschiede – je nachdem, ob Unternehmen von den Beschäftigten mitbestimmt sind. Das „Goodwill“-zu-Eigenkapital-Verhältnis ist in stark mitbestimmten Unternehmen um bis zu 23% Prozentpunkte niedriger als in Unternehmen mit schwacher oder ganz ohne Arbeitnehmerbeteiligung. Im Ergebnis gehen Unternehmen, die über eine starke Mitbestimmung der Beschäftigten verfügen, insbesondere im Aufsichtsrat, bei Zukäufen im Mittel weniger hoch ins Risiko als Firmen mit schwacher oder ganz ohne Mitbestimmung.
Besonders groß kann der Goodwill ausfallen, wenn der Käufer sich von der Übernahme einen außerordentlichen Nutzen für die Zukunft verspricht. Der kann etwa in Synergien mit dem eigenen Geschäft liegen, einem dringend benötigten Know-how oder einem prognostizierten besonderen Wachstumspotenzial. Chancen im Wettbewerb können so wahrgenommen werden, die ohne gezielte Unternehmenskäufe nicht realisiert werden könnten, stellen die Studienautoren fest. Allerdings bestehe insbesondere bei „Zukunftswerten“ mit hohem Aufschlag natürlich auch ein Risiko, dass sich die Erwartungen nicht erfüllen und sich der Kaufpreis im Nachhinein als zu hoch herausstellt. Dann muss nach den international gültigen Bilanzierungsregeln im Zuge eines sog. „Werthaltigkeitstests“(„Goodwill Impairment Test“) der „Goodwill“ teilweise oder im Extremfall sogar vollständig abgeschrieben werden, was in den Bilanzen Unternehmenswert und Gewinne schmälert und zu Kursverlusten an der Börse führen kann.
Ein wichtiges zentrales Ergebnis der Studie besteht darin, dass der „Goodwill“ schneller wächst als das Eigenkapital: Im Durchschnitt haben sich die knapp 170 Unternehmen des erweiterten Datensatzes von 2006 bis 2019 recht kräftig entwickelt. Die addierte Bilanzsumme stieg um 82% auf rund 3,176 Billionen €. Das Eigenkapital legte sogar 2019 um 115% auf rund 964 Mrd. € zu. Noch stärker wuchs allerdings der „Goodwill“ in den Bilanzen des Samples (der Stichprobe): um 139% auf zuletzt rund 369 Mrd. €. Dementsprechend ging auch die Quote des „Goodwills“ im Verhältnis zum Eigenkapital hoch: 2006 von 34% auf 38% in 2019.
Vor diesem Hintergrund betonen die Studienautoren noch einmal, dass die Unternehmensmitbestimmung von Beschäftigten im Aufsichtsrat aus ökonomischer Perspektive einen wesentlichen Stabilisierungsfaktor für Unternehmen darstellt. Denn die Studie zeige, dass dort, wo die Mitbestimmung stark ist, der Goodwill im Verhältnis zum Eigenkapital geringer sei als in weniger stark mitbestimmten Unternehmen und demzufolge weniger Risiken aus solchen Deals bestehen. Die genauen Wirkungszusammenhänge müssten noch erforscht werden, schreiben die Forscher. Sie vermuten aber, dass die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat – in dem solche elementaren strategischen Entscheidungen getroffen werden – ein wichtiger Faktor dafür ist, dass das Aufsichtsgremium vom Management geplante M&A-Transaktionen sorgfältig begleitet.
- Für KMU ohne Aufsichtsrat und die im Finanzmanagement Verantwortlichen lässt sich daraus ableiten, dass Leuchtturm-Entscheidungen einzelner Geschäftsführer zumindest durch die Einbeziehung der Expertise der Mitarbeitenden auf nachgeordneten Ebenen abgefedert werden sollten. Bilanzbuchhalter/innen und Controller/innen sind hier im Rahmen des Management-Coaching gefordert, jenseits einer „Ja-Sager-Mentalität“ entsprechenden Stimmen Gehör zu verschaffen.
- Die Hans-Böckler-Stiftung hat zum Thema eine ausführliche Pressemitteilung vom 7.9.2022 herausgegeben, die weitere Einzelergebnisse enthält (siehe unter https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-stark-mitbestimmte-unternehmen-43179.htm). Die Studie „Unternehmenskäufe und -übernahmen in Deutschland. Entwicklung, Goodwill und Mitbestimmung“ finden Sie unter https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008387 zum Download.
- Vereinfacht gesagt, entsteht ein „Goodwill“, wenn bei einer Übernahme oder einem Zusammenschluss von Unternehmen ein Kaufpreis gezahlt wird, der über den Bilanz- oder Buchwert des gekauften Unternehmens hinausgeht. Das ist bei M&A-Aktivitäten fast immer der Fall. Hintergrund: Der Käufer zahlt mit dem Aufschlag etwa für immaterielle Vermögenswerte wie Markennamen, einen attraktiven Kundenstamm oder besondere Kompetenzen. Der „Goodwill“ wird in der Bilanz des kaufenden Unternehmens als immaterieller Firmenwert ausgewiesen.
- Mit der zunehmenden Quote des „Goodwills“ im Verhältnis zum Eigenkapital wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die oben genannten Werthaltigkeits-Tests durchgeführt werden müssen. Im schlimmsten Fall – so ist mit den Studienautoren zu warnen – könnte bei hohen Quoten und hohem Abschreibungsbedarf eine Art Spirale in Gang kommen mit dem Potenzial, einzelne Unternehmen zu destabilisieren.
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Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 10/2022
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