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Umsatzsteuerliche Organschaft vor dem Aus?

Thorsten Haake

 

Zum Themenkomplex der umsatzsteuerlichen Organschaft sind in zwei laufenden Vorlageverfahren des BFH vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Schlussanträge der Generalanwältin veröffentlicht worden. In beiden Verfahren geht es im Kern um die Frage, ob die Regelungen in § 2 UStG zur Organschaft mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Wenn nicht, drohen dem Staat möglicherweise erhebliche Steuerausfälle – und Unternehmen könnten profitieren.

 

 

Praxis-Info!

 

Hintergrund

Der Begriff der umsatzsteuerlichen Organschaft ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Danach wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Auf der Basis des Unionsrechts werden inzwischen unter bestimmten Voraussetzungen auch Personengesellschaften als Organgesellschaften anerkannt. Die Rechtsfolgen einer umsatzsteuerlichen Organschaft bestehen insbesondere darin, dass die Organgesellschaften wie rechtlich unselbständige Betriebsteile behandelt werden und dass der Organträger Steuerschuldner für den gesamten Organkreis ist.

Beide Vorlageverfahren des BFH (beim EuGH geführt unter Rs. C-141/20 und C-269/20) behandeln die Rechtsfrage, ob die zugrunde liegende Ermächtigung im Unionsrecht zur Bildung einer Organschaft es erfordert, dass die Gesamtheit der Organgesellschaften (auch als „Mehrwertsteuergruppe“ bezeichnet) als Steuerschuldner behandelt wird, oder ob es auch – so wie in § 2 UStG – zulässig ist, eine der Organgesellschaften als Steuerschuldner zu behandeln.

 

 

Abb.: Wirkungen der umsatzsteuerlichen Organschaft (gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG)

 

 

Lösung

In ihren am 13.1.2022 bzw. 27.1.2022 veröffentlichten Schlussanträgen stellt die Generalanwältin beim EuGH unmissverständlich klar, dass sie die Regelungen zur Organschaft in § 2 UStG für unionsrechtswidrig hält. Den Ausführungen der Generalanwältin ist weiterhin zu entnehmen, dass die Mitglieder einer „Mehrwertsteuergruppe“ selbständige Steuerpflichtige bleiben sollen und eigene Steuererklärungen abzugeben haben. Das beinhaltet möglicherweise auch, dass Innenumsätze als steuerpflichtig zu behandeln wären.

Wie der EuGH in den Verfahren entscheiden wird, ist nicht abschätzbar. Oftmals folgt er zwar den Ausführungen der Generalanwälte, allerdings ist dies eben auch nicht zwangsläufig der Fall. Ebenfalls vollkommen offen ist aus heutiger Sicht, welche Folgen sich aus einer durchaus im Bereich des Möglichen liegenden Unionsrechtswidrigkeit der geltenden Regelungen ergeben. Soweit der Fiskus sich drohenden Steuerausfällen gegenübersieht, wird er sicher alle Hebel in Bewegung setzen, um diese Ausfälle zu minimieren.

 

 

Praxishinweise:

  • In einem der beiden Ausgangsverfahren (Az. V R 40/19) hat sich der BFH u.a. ausdrücklich mit den möglichen fiskalischen Auswirkungen einer Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Regelungen befasst. In dem für den Fiskus ungünstigsten Fall könnte sich dann nämlich der Organträger gegen die bisher gegen ihn ergangenen Steuerfestsetzungen zur Wehr setzen, während eine Steuerfestsetzung gegen einen fiktiven Steuerpflichtigen („Mehrwertsteuergruppe“) sowie gegen die Organgesellschaften mangels bestehender gesetzlicher Grundlagen nicht möglich wäre. Dem als „Warnung“ verstandenen Hinweis des BFH auf erhebliche Steuerausfälle entgegnet die Generalanwältin, dass Deutschland genug Zeit gehabt habe, „die im Zusammenhang mit seiner Regelung für Mehrwertsteuergruppen festgestellten Probleme zu beheben“.
  • Um mögliche Vorteile aus der EuGH-Rechtsprechung zu sichern, sollten alle Organträger prüfen, ob es zweckmäßig ist, derzeit noch offene Besteuerungszeiträume verfahrensrechtlich weiterhin offen zu halten, bis Klarheit über die EuGH-Rechtsprechung und deren Folgen besteht.

 

StB Thorsten Haake, Fachberater für Internationales Steuerrecht, PKF Fasselt Partnerschaft mbB, Duisburg

 

BC 4/2022

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