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Green Controlling: Ja, aber wie und mit wem?

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

 

 

Mit berufsspezifischen Umfragen in der Kernzielgruppe Controller lässt sich belegen, dass die Nachhaltigkeit stärker in die betriebswirtschaftlichen Kernprozesse vorgerückt und zunehmend strategisch relevant ist. Allerdings fehlt es noch an der Umsetzung im Controlling-Instrumentarium.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Obwohl die operative und strategische Relevanz der Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung mittlerweile weitestgehend unbestritten ist und es nicht mehr um das Ob, sondern „nur“ noch um das Wie geht, fehlt es vielerorts noch an der instrumentalen Verankerung im Steuerungssystem. Das gilt auch für das Controlling: In drei umfassenden Studien (2011, 2016, 2022) hat sich der Internationale Controller Verein (ICV) in den vergangenen Jahren der Frage gewidmet, inwieweit das sog. „Green Controlling“ in den Unternehmen angekommen ist.

Ein aktuell Anfang Februar 2023 bekannt gegebenes Fazit macht zunächst Mut: „Die Nachhaltigkeit ist, auch aufgrund der regulatorischen Vorgaben, stärker in die betriebswirtschaftlichen Kernprozesse vorgerückt und zunehmend strategisch relevant.“ Dann aber kommt der (massive) Dämpfer: „In den Controlling-Instrumenten sind Nachhaltigkeitsaspekte noch nicht angekommen.“ Diese Feststellung verdient umso mehr Beachtung, als insbesondere dem Controlling die Aufgabe zukommt, zu verhindern, dass marketing- bzw. PR-orientierte Schönfärberei tatsächliche Defizite ummantelt.

 

 

Lösung

Insgesamt gesehen lautet ein zentrales Ergebnis der ICV-Studie, für die im August und September 2022 exklusiv die ICV-Mitglieder und damit ausgewiesene Controllingpraktiker befragt wurden, dass Nachhaltigkeitscontrolling als funktionsübergreifende Verantwortung im Unternehmen verstanden wird. Damit einher geht eine zunehmende strategische Bedeutung des Themas „Nachhaltigkeit“ für das Controlling. Der Zeitreihenvergleich zeigt: Nachhaltigkeit hat sich mittlerweile als fester Bestandteil der strategischen Agenda von Unternehmen etabliert. Heute geben 43% der Unternehmen an, Nachhaltigkeitsaspekte in eher hohem oder sehr hohem Ausmaß in der Strategieentwicklung zu berücksichtigen. Bereits gegenwärtig spielt für viele Unternehmen Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle, wenn es etwa um die Schaffung neuer Märkte, die Entwicklung nachhaltiger Produkte oder die Einführung neuer Geschäftsmodelle geht.

Diese Bedeutung wird in der Zukunft weiter zunehmen, was zeigt, dass Nachhaltigkeit als Fokusthema auf der strategischen Agenda der Unternehmen angekommen ist. Wichtigster Akteur in Sachen Nachhaltigkeit ist – so die Studie – aber nach wie vor die Geschäftsführung bzw. der Vorstand, die/der das Thema in den Unternehmen hauptsächlich verantwortet. Hingegen spielt das Controlling noch immer eine vergleichsweise untergeordnete Rolle in der Planung und Steuerung ökologischer und sozialer Ziele.

Dementsprechend ist im Instrumentenkasten der Controllerin bzw. des Controllers eine zunehmende Integration von Nachhaltigkeit und Controlling bislang nicht erkennbar. Hier zeigt der Zeitreihenvergleich kaum Veränderungen. Nachholbedarf besteht insbesondere auf operativer Ebene – etwa in der Planung, im Forecasting oder in der Kosten- und Ergebnisrechnung. Beispielsweise geben lediglich 12% der Befragten an, dass Nachhaltigkeitsaspekte im Forecasting in eher hohem oder hohem Ausmaß berücksichtigt werden.

Was ist zu tun? Die befragten Controller erwarten, dass Datenmanagement und Systemlandschaften künftig zum zentralen Thema für Unternehmen werden. Wenn die erfolgreiche Umsetzung eines Nachhaltigkeitscontrollings gelingen soll, muss sich die Qualität und Verfügbarkeit von Nachhaltigkeitsdaten gegenüber heute deutlich verbessern. Ein wesentliches Thema der Zukunft wird für Unternehmen der Aufbau einer integrierten Systemlandschaft für die Planung, Steuerung und das Performance Management (Leistungsmanagement) von Nachhaltigkeit sein.

Ferner wird in der Studie betont, dass für Controller künftig neue Qualifikationen relevant werden, sofern sie den gestiegenen Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit angemessen Rechnung tragen wollen. Die größte Bedeutung wird hier einem generellen Verständnis von Nachhaltigkeitsanforderungen, der sog. Sustainability Literacy („Nachhaltigkeitskompetenz“), beigemessen. Auch die Fähigkeit des Systemdenkens sowie Kenntnisse im Energie- und Ressourcenmanagement werden von Unternehmen als besonders wichtig erachtet. Nur dann steht zu erwarten, dass das bisherige Studienergebnis, wonach der Controller als Berater des Managements (Business Partner) zum Thema „Nachhaltigkeit“ nach wie vor nicht wesentlich in Erscheinung tritt, gewendet werden kann. Aus Sicht des ICV ist zu empfehlen, diesen Weg konsequent zu gehen, sodass Controller und Nachhaltigkeitsmanager perspektiv im Tandem die Themen „Nachhaltigkeit und Controlling“ im Unternehmen moderieren und so eine ganzheitliche Integration in die Unternehmenssteuerung gewährleisten können.

Hinsichtlich des Reporting gewinnt der Lagebericht für Nachhaltigkeitsinformationen der Studie zufolge erheblich an Bedeutung. Dies scheint mit einem Verlust an Relevanz beim klassischen Nachhaltigkeitsbericht einherzugehen: Zwei Drittel der Befragten planen nicht, zukünftig einen separaten Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen. Ein Drittel plant sogar, ausschließlich im Lagebericht zu berichten.

Außerdem werden andere Formate wie Social Media und Homepages als zusätzliche Kommunikationsinstrumente neben dem Lagebericht an Bedeutung gewinnen. Diese veränderte Wahrnehmung hinsichtlich der verwendeten Formate der Nachhaltigkeitsberichterstattung lässt für die Studienleiter darauf schließen, dass künftig eine stakeholder-spezifischere Kommunikation der Nachhaltigkeitsperformance an Bedeutung gewinnt.

 

 

Praxishinweise:

  • Die Studie des ICV (ca. 6.000 Mitglieder) wurde vom ICV Fachkreis Green Controlling for Responsible Business in Zusammenarbeit mit der ICV Ideenwerkstatt durchgeführt (zum Fachkreis siehe unter https://www.icv-controlling.com/de/arbeitskreise/green-controlling-for-responsible-business.html). Die Green-Controlling-Studie 2022 des ICV hat zum einen den aktuellen Stand des Green Controllings in Unternehmen in der D-A-CH-Region untersucht, diesen aber auch mit den Ergebnissen der Vorgänger-Studien von 2011 und 2016 verglichen.
  • Wenn es gelingt, das für viele Unternehmen derzeit noch vorrangige Problem der mangelnden Datenverfügbarkeit und -qualität auf ein zufriedenstellenderes Niveau zu heben, könnte sich die Frage stellen, ob die zunehmende Integration von Controlling und Nachhaltigkeit auch einen Ausbau der personellen Ressourcen im kaufmännischen Bereich zur Folge haben wird. Hier bleibt aber abzuwarten, wie die Unternehmen in den nächsten Jahren auf die neuen Anforderungen personell reagieren werden.
  • Verpassen Sie also nicht den Nachhaltigkeitszug, in dem Ihre Kolleginnen und Kollegen vielleicht schon sitzen, wenn sie der im letzten BC-Newsetter vom 9.2.2023 enthaltenen Empfehlung gefolgt sind, Unterstützung bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung anzubieten. Ein „Zugticket“ in Form eines PDF der ICV-Studie können Nicht-Mitglieder für 29 € erwerben; ICV-Mitglieder können kostenlos mitfahren.
  • Wer meint, man könne ja auch später noch nachbuchen, sollte an Hinweisen aus der den Controllern (und Bilanzbuchhaltern) besonders nahestehenden Finanzbranche nicht vorbeigehen. Kreditinstitute sind inzwischen regulatorisch gefordert, Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG-Kriterien) bei der Kreditvergabe und -überwachung zu berücksichtigen. Ohne Nachhaltigkeitsticket kein Kredit?
  • Letzteres dürfte zwar noch eine überzogene Schlussfolgerung sein. Aber im Rahmen einer Studie zur Nachhaltigkeit bei der Kreditvergabe kamen Wissenschaftler der FH Münster mit Stand 14.2.2023 zu folgenden Ergebnissen: Bislang spielen ESG-Risiken in der Kreditvergabe bereits bei 38% der befragten Institute eine Rolle. Zwar befinde sich vieles derzeit noch in der Planungsphase, so insbesondere bei kleineren Instituten, wie z.B. Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Eine große Mehrheit der Institute beabsichtige aber, diese ESG-Risiken künftig zu berücksichtigen. Dabei wird den Umweltrisiken, also Faktoren wie Energieeffizienz, Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen, mit deutlichem Abstand die höchste Bedeutung beigemessen. 37% der Kreditinstitute gaben außerdem schon jetzt an, dass sich die Kreditwürdigkeit eines Kunden oder einer Kundin durch eine positive ESG-Einschätzung verbessern könne (weitere Informationen siehe unter www.ppi.de/banken/kredit/kreditprozess/studie-2023-esg-kriterienim-kreditprozess/).
  • Um im Bild zu bleiben: Ein preisgünstigeres Nachhaltigkeitsticket ist also schon Realität. Und wer als immer noch nicht überzeugter Skeptiker beobachtet, wie sehr die nachwachsende Generation Nachhaltigkeit inzwischen mehr und mehr als Selbstverständlichkeit (insbesondere auch des Arbeitgebers) voraussetzt, wird nicht nur höhere Einstiegspreise in Kauf nehmen müssen, sondern eines Tages auch dem Abfahren eines bereits vollbesetzten Nachhaltigkeitszugs hinterherschauen müssen. Auf Bahnhöfen solcher Art wird man dann froh sein müssen, wenn es wenigstens noch ein Abstellgleis gibt, das frühere Versäumnisse nicht allzu rücksichtslos bestraft, sondern im Wege von kostenintensiven Nachschärfungen in letzter Minute die Chance von Aufholeffekten bietet – sonst bleibt nach vergeblichen Restrukturierungsversuchen nur noch die Überführung zur Endstation Insolvenzbahnhof.

 

 

    Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld

     

    BC 3/2023 

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