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NZA Editorial

 

  • (Keine) Entbürokratisierung im Arbeitsrecht

    Professor Dr. Markus Stoffels, Heidelberg

    Heft 3/2024

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 3/2024 Professor Dr. Markus Stoffels

    Die Regierungskoalition schickt sich an, das geltende Recht von verzichtbaren bürokratischen Hemmnissen zu befreien. Das Bundesjustizministerium spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem „Bürokratie-Burnout“, an dem viele Unternehmen litten. Das nun vorgestellte Vierte Bürokratieentlastungsgesetz, das viele Gesetzesänderungen bündelt, soll eine Entlastung von 682 Millionen Euro bringen (Referentenentwurf abrufbar auf den Seiten des BMJ). Auch der Bundesminister für Arbeit und Soziales war aufgefordert, einen substanziellen Beitrag zu liefern. Hier richtete sich der Blick vor allem auf das gerade novellierte Nachweisgesetz, das – obwohl die europäische Arbeitsbedingungen-Richtlinie dies nicht vorschreibt – am Erfordernis eines schriftlichen Nachweises (§ 2 I NachwG) festgehalten hat. Hierfür hatte der Bundesarbeitsminister scharfe Kritik einstecken müssen (zB Gaul/Pitzer/Piontek DB 2022, 1833, 1834: „nicht mehr zeitgemäß“; weiterführende Überlegungen de lege ferenda finden sich übrigens bei Bayreuther NZA 2023, 593).

    Heils Vorschlag lautet nun: Falls Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihren Arbeitsvertrag nicht in Papierform schließen, sondern in elektronischer Form mit qualifizierter elektronischer Signatur (§ 126a BGB) in einem ausdruckbaren Format, so würde dies künftig genügen, vorausgesetzt alle wesentlichen Vertragsbedingungen befinden sich im Text des Arbeitsvertrags. Entsprechendes soll für in elektronischer Form geschlossene Änderungsverträge bei Änderungen wesentlicher Vertragsbedingungen gelten. Ausgenommen werden sollen die Wirtschaftsbereiche und Wirtschaftszweige nach § 2a I Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz. Die Regelung im Nachweisgesetz, der zufolge die elektronische Form ausgeschlossen ist, bliebe indes unverändert. Zuwiderhandlungen – etwa durch Übersendung des Nachweises per E-Mail – wären weiterhin bußgeldbewehrt. Das ist kein echter Fortschritt, sondern eine Mogelpackung. Welcher Arbeitnehmer ist derzeit in der Lage, eine digitale Signatur zu erstellen? Dafür bedarf es einer Anmeldung bei einem von der Bundesnetzagentur anerkannten Zertifizierungsdienst. Ich zitiere aus Jauernig/Mansel, 19. Aufl. 2023, § 126a BGB Rn. 1: „Die Verwendung der elektronischen Form bedarf eines erheblichen technischen und (für viele auch intellektuellen) Anwender-Aufwands. (…) Für den (Normal-)Verbraucher ist die elektronische Form keine reizvolle Alternative zur gesetzlichen Schriftform.“

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  • Arbeitsrecht reloaded?

    Rechtsanwältin Dr. Doris-Maria Schuster und Rechtsanwalt Dr. Jonas B. Hofer, Hamburg/Stuttgart

    Heft 2/2024

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 2/2024 Dr. Jonas B. HoferFoto der Autorin von NZA-Editorial Heft 2/2024 Dr. Doris-Maria SchusterDer 6. Deutsche Arbeitsrechtstag steht vor der Tür. Das Thema ist dieses Mal ein großes und grundlegendes, nämlich „Die moderne Arbeitswelt zwischen regulatorischer Überfrachtung, notwendigen Schutzmechanismen und den Anforderungen des Marktes“. Vom 31.1. bis 2.2.2024 diskutieren namhafte Vertreter der Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Justiz in Berlin darüber, ob unser Arbeitsrecht noch zeitgemäß ist und den Herausforderungen des Markts standhalten kann.

    Eine kränkelnde Wirtschaft, die voranschreitende Verlagerung gesellschaftlicher Aufgaben auf die Arbeitgeber, die zunehmende Komplexität regulatorischer Vorgaben im Arbeitsleben und die schwindende Bedeutung von tariflicher und betrieblicher Interessenvertretung prägen inzwischen unseren Arbeitsalltag. All das wirft die Frage auf, ob die moderne Arbeitswelt der zunehmenden Masse an teils gut gemachten, teils aber auch nur gut gemeinten Regelungen standhalten wird oder unser Arbeitsrecht neu gedacht und grundlegend reformiert werden müsste. Dem gehen drei hochkarätig besetzte Panels auf dem 6. Deutschen Arbeitsrechtsrechtstag nach. 

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  • Das Arbeitsrecht im digitalen Zeitalter

    Rechtsanwalt Professor Dr. Achim Schunder, Frankfurt a. M.

    Heft 1/2024

    Liebe Leserinnen, liebe Leser, 

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 1/2024 Achim Schunderder Jahreswechsel gibt Anlass, eine kleine Bilanz bei der Gesetzgebung im Arbeitsrecht zu ziehen und ein Schlaglicht auf die, die Arbeitsrechtspraxis derzeit bewegenden Faktoren zu werfen. 

    Die Bundesregierung stand im Dezember 2023 vor der zweiten Spielhälfte ihrer Regierungstätigkeit. Im Jahr 2022 ist kurz vor Ablauf der Umsetzungsfrist die Arbeitsbedingungen-Richtlinie aus 2019 in das Nachweisgesetz mehr schlecht als recht implementiert worden (s. dazu Rolfs/M. Schmid NZA 2022, 945). Die Coronagesetzgebung (IfSG, Verordnungen aus Gründen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes) prägten noch das Jahr 2022, während ein Jahr später – gottlob – auch in rechtlicher Hinsicht das Virus seinen Schrecken verloren hat. Im Juni 2023 ist nach über anderthalb Jahren des Fristablaufs das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft getreten (s. Dzida/Seibt NZA 2023, 657 und aktuell Musiol NZA 2024, 29, in diesem Heft). Kurz vor der Weihnachtspause haben Bundestag und Bundesrat die Vorschläge der Expertenkommission von Rainer Schlegel, Ingrid Schmidt und Gregor Thüsing zur Betriebsratsvergütung (NZA 2023, 1303) legislativ umgesetzt und das BetrVG entsprechend ergänzt. Zu erwähnen ist noch die Entgelttransparenzrichtlinie, die im Juni 2023 in Kraft getreten und bis Juni 2026 umzusetzen ist (dazu Rolfs/Lex NZA 2023, 1353). Es ist zu wünschen, dass der Gesetzgeber hier nicht wieder kurz vor Fristablauf reagiert, sondern bei dieser komplexen Kodifikation zeitnah die Umsetzung angeht (s. dazu Winter NZA 2024, 9, in diesem Heft).

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  • Tarifpluralität in der Betriebsverfassung

    Professor Dr. Cord Meyer, Berlin

    Heft 24/2023

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 24/2023 Cord MeyerFragte man den jüngst verstorbenen Dr. Dirk Neumann, warum er als Vorsitzender Richter am Tarifsenat des BAG am richterrechtlich begründeten Grundsatz der Tarifeinheit festgehalten habe, so bekam man die knappe Antwort: Im Interesse der Praktikabilität und der klaren Ordnung im Betrieb. 

    Nach Freigabe von Tarifpluralität durch den 4. Senat unter Vorsitz von Klaus Bepler am 7.7.2010 (NZA 2010, 1068) wurden auch die rechtlichen Zweifelsfragen im Bereich der Betriebsverfassung evident: Wie wirkt sich die Tarifpluralität auf die Tarifsperren aus § 77 III und § 87 I ES BetrVG aus, wenn im Betrieb zwei Tarifverträge mit Inhaltsnormen miteinander konkurrieren? Wie ist die Tarifpluralität aufzulösen, wenn die von einer Gewerkschaft vereinbarte Inhaltsnorm auf eine von der anderen Gewerkschaft abgeschlossene Betriebsnorm trifft, die nach § 3 II TVG alle Arbeitsverhältnisse im Betrieb erfasst? Ist eine Trennung nach den Gewerkschaftsmitgliedern möglich und benötigt ein Betriebsrat hierzu nicht eine Kenntnis der jeweiligen normativen und/oder arbeitsvertraglichen Bindung an den jeweiligen Tarifvertrag?

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  • Soziales Entschädigungsrecht und das Arbeitsrecht

    Professor Dr. Jens M. Schubert, Leuphana Universität Lüneburg

    Heft 23/2023

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 23/2023, Jens M. Schubert

    Am 1.1.2024 tritt das modernisierte und verbreiterte Opferentschädigungsrecht als Bestandteil des SGB XIV vollständig in Kraft (Art. 60 SozERG) und ist nun als „Soziales Entschädigungsrecht“ zu merken. Insbesondere Opfer von Gewalttaten sollen vom Staat (neben den zivilrechtlichen Ansprüchen gegen die Täter) vielfältige Unterstützung erfahren bzw. Rechtsansprüche, auch Rehabilitationsangebote erhalten. Hintergrund ist die grundsätzlich gesehene Verantwortung des Staates bei der Bewältigung von Gewalttaten als Element des Sozialstaatsprinzips. 

    Aber was hat dies mit dem Arbeitsrecht zu tun? Zum einen ist das soziale Entschädigungsrecht nicht auf ein bestimmtes Umfeld beschränkt – auch der Arbeitsplatz ist vom Gesetz erfasst (und wird auch im offiziellen Antragsvordruck abgefragt). Zum anderen ist es der Gewaltbegriff selbst. Er umfasst körperliche und psychische Gewalttaten (§ 13 SGB XIV) und ist nicht etwa auf Krieg oder Terrorakte beschränkt, wie man vielleicht meinen könnte (vgl. BT-Drs. 19/13824, S. 176; zum Arbeitsplatz bereits LSG Hessen 22.9.2016 – L 1 VE 7/12, BeckRS 2016, 122896 Rn. 31). Beide Gewaltformen sind in § 13 SGB XIV legaldefiniert.

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  • Standort- und Beschäftigungszusagen ein Auslaufmodell?

    Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Burkard Göpfert, München

    Heft 22/2023

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 22/2023 Burkard GöpfertMit Wucht steht der „Standort Deutschland“ in seinem Kern in Frage: Chemie, Stahl, Anlagenbau, Automobil. Die enorm gestiegenen Energiekosten gehen mit Demographie, Fachkräftemangel und Bürokratie eine toxische Verbindung ein. Die aggressive Biden-Gesetzgebung (Inflation Reduction Act) entzieht Europa sukzessive die industrielle Basis. Substanzielle Standort- und Beschäftigungszusagen der deutschen Industrie, teilweise bis 2032 (also weit über die nächsten Betriebsratswahlen hinaus) werden allerorts überprüft und erweisen sich als kaum mehr erfüllbar. Neue abzuschließen, so verständlich die Forderung ist, wird eine unternehmerische Herausforderung. Hier muss man zwei entscheidende Fragen stellen:  

    1. Sind beschäftigungssichernde Aussagen als Bestandteil der gewerkschaftlichen Tarifpolitik (und der dort geradezu überlebensnotwendigen Mitgliederbindung und -werbung) angesichts der dramatischen Umbrüche wirklich noch tragfähig? Hier wird man die bisherigen Ansätze (zB das „Pforzheimer Modell“) weiter entwickeln müssen. Das Wiederaufleben von Forderungen nach Sonderregelungen für Mitglieder ist hier sicher ein erster Hinweis und die Tarifpartner werden hier auch bekannte Lösungen („Inzell“ als Beispiel) weiterdenken müssen.

    2. Auf Unternehmensseite wird man künftig an der Vergangenheit orientierte – „bewahrende“ – Beschäftigungszusagen entsprechende Versprechungen noch strenger an Business Judgement Rule messen müssen; harte Standort- und Beschäftigungssicherung werden zunehmend schwer vertretbar sein.

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  • Datenschutzrecht – Der Informationsanspruch des Betriebsrats

    Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Michael Witteler, Berlin

    Heft 21/2023

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 21/2023 Michael Witteler

    Das europarechtlich geprägte Datenschutz- und das nationale Betriebsverfassungsrecht haben viele Schnittstellen, sind jedoch nicht aufeinander abgestimmt. Das führt in der Praxis immer wieder zu Schwierigkeiten. Muss das so sein?

    Die Weitergabe personenbezogener Daten an den Betriebsrat darf nur auf Basis einer Rechtsgrundlage erfolgen. Zwar hat der deutsche Gesetzgeber mit § 79a BetrVG entschieden, dass der Betriebsrat nicht datenschutzrechtlich Verantwortlicher ist. Das ändert jedoch nichts daran, dass jede Übermittlung personenbezogener Daten an den Betriebsrat einer Rechtsgrundlage bedarf. Der Betriebsrat steht aufgrund seiner Rolle zwar im Lager der Arbeitnehmer, dennoch darf niemals übersehen werden, dass Arbeitgeber und Betriebsrat bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten der Arbeitnehmer in deren allgemeines Persönlichkeitsrecht eingreifen. Dies steht nicht zur Disposition der Betriebsparteien. 

    Für Arbeitgeber ist diese Entscheidung schwierig. Auf den ersten Blick können sie sich nun auf eine höchstrichterliche Rechtsprechung verlassen und die Namen an den Betriebsrat weitergeben. Der Haken ist, dass die Datenschutzbehörden an die Rechtsauffassung des BAG nicht gebunden sind. Eine Verarbeitung, die das BAG für zulässig hält, könnte durch die zuständige Datenschutzbehörde anders beurteilt werden. Über eine Untersagung der Verarbeitung müssten die Verwaltungsgerichte entscheiden, über ein Bußgeld die Strafgerichte. Eine Vorlage an den EuGH hätte diese schwierige Situation vermieden. 

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  • Betriebsratsvergütung: Darf’s noch etwas mehr sein?

    Professor Dr. Adam Sagan, MJur (Oxon), Bayreuth

    Heft 20/2023

    Foto des Autors von NZA-Editorial Heft 20/2023, Adam SaganDem US-Präsidenten Truman zufolge kann ein ehrlicher Staatsdiener in der Politik nicht reich werden. Das dürfte auch für das privatrechtliche Amt als Mitglied des Betriebsrats gelten. Von ihm erwartet das Gesetz einigen Idealismus. Betriebsräte üben ihr Amt unentgeltlich aus (§ 37 I BetrVG). Sie dürfen wegen ihrer Tätigkeit weder benachteiligt noch begünstigt werden (§ 78 BetrVG). Hinzu kommt der Mindestanspruch auf das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung (§ 37 IV BetrVG). Reich wird man davon nicht.

    Die Realität sieht mitunter anders aus. Schlagzeilen hat der Fall VW gemacht. Wer dort als gelernter Montagewerker beschäftigt wurde, konnte als Arbeitnehmervertreter deutlich mehr als 500.000 EUR im Jahr verdienen. Dafür hat der 6. Strafsenat des BGH im Januar 2023 klare Worte gefunden (6 StR 133/22, NZA 2023, 301). Betriebsräte dürfen nicht wegen ihrer Tätigkeit wie Spitzenmanager bezahlt werden. In Rede steht eine Strafbarkeit von Vorständen und Prokuristen wegen Untreue (§ 266 StGB). Der Sache nach ist die Entscheidung des BGH richtig. Offensichtlich wurde mit der rechtsgrundlosen Überzahlung der Betriebsräte das Vermögen des Unternehmens bewusst geschädigt. Heikel sind einzelne Passagen der Begründung. Sie können dahin missverstanden werden, eine Bezahlung oberhalb des Niveaus vergleichbarer Arbeitnehmer sei eine unzulässige Begünstigung. Das ist nicht haltbar. Das Mindestentgelt nach § 37 IV BetrVG markiert nicht die Obergrenze zu der nach § 78 BetrVG unzulässigen Begünstigung.

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  • Das „Aus“ von § 12a ArbGG in Diskriminierungsklagen?

    Rechtsanwältin Dr. Anja Euler, Ludwigsburg

    Heft 19/2023

    Foto der Autorin von NZA-Editorial Heft 19/2023 Anja Euler§ 12a I 1 ArbGG gehört zum „Inventar“ des Arbeitsrechts und hat eine lange Tradition. Damit bricht der EuGH jetzt.

    Doch ein Blick zurück: Arbeitnehmer/innen sollen von arbeitsgerichtlicher Durchsetzung ihrer Rechte nicht abgehalten werden durch das Risiko, im Unterliegensfalle auch die Kosten des gegnerischen Anwalts zu tragen. § 12a ArbGG schließt jede Kostenerstattung aus. Diese lange Tradition kann nun zu Ende sein. Denn der EuGH hat aktuell (Urt. v. 14.9.2023 – C-113/22, NZA 2023, 1235 [in diesem Heft]) die sozialrechtliche Gleichbehandlungsrichtlinie äußerst bemerkenswert ausgelegt. Diskriminierungsschäden sind zu ersetzen. Zu ihnen zählen auch die Verfahrens- und Anwaltskosten einer gegen die Ungleichbehandlung gerichteten Klage. Obwohl das spanische Prozessrecht für das Ausgangsverfahren vorsieht, dass keine Kosten erstattet werden, stellen diese einen zu ersetzenden Schaden dar, so der EuGH.

    Worum ging der Rechtsstreit? Nach spanischem Recht erhielten Mütter aufgrund ihres demografischen Beitrags zur sozialen Sicherheit eine Rentenzulage. Nicht aber Väter, was der EuGH als diskriminierend angesehen hatte. Ein weiterer Vater erhielt die Zulage erst im Klageverfahren, deshalb wollte er Schadensersatz, u.a. auch die Anwaltskosten für die Klage. Die aber sind nach spanischem Verfahrensrecht nicht zu erstatten, was § 12a ArbGG entspricht. Der EuGH fordert, dass der Gleichheitsgrundsatz auch einen Anspruch auf finanzielle Wiedergutmachung begründet, um durch Diskriminierung entstandene Schäden in vollem Umfang auszugleichen. Insoweit sei es ohne Belang, dass das vorlegende Gericht gemäß den spanischen Verfahrensvorschriften gehindert ist, der diskriminierenden Behörde die Prozesskosten aufzuerlegen. Ein EU-rechtlicher Entschädigungsanspruch auch auf Prozesskosten und Anwaltshonorar kollidiert – so das vorlegende Gericht – mit den verbindlichen Verfahrensvorschriften. Anders der EuGH: Zwar komme es der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten zu, die Tragweite dieser Wiedergutmachung zu bestimmen. Doch dürfen diese Bedingungen die Wiedergutmachung nicht in ihrem Wesensgehalt beeinträchtigen. Oder anders gesagt: EU-Recht schlägt nationales Recht.

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  • Der Kuss-Skandal, ein System – Lehren für Unternehmen

    Special Counsel Dr. Nadine Kramer und Associate Maximilian Luca Schunder, Covington & Burling LLP, Frankfurt a. M.

    Heft 18/2023

    Foto Autor NZA-Editorial 18/2023, Maximilian Luca SchunderFoto Autorin NZA-Editorial 18/2023, Dr. Nadine KramerDie Szene ging, begleitet von heftigen Protesten, um die Welt: der unfreiwillige Kuss von Jennifer Hermoso durch den spanischen Verbandschef Luis Rubiales. Aktuellen Presseberichten zufolge hat sie deswegen Strafanzeige gestellt. Rubiales ist zurückgetreten, weil er nun seine Arbeit nicht ordnungsgemäß ausüben könne. Also, Strafrecht ist klar ein Thema. Aber wozu ein Editorial in der NZA? Die „falsche“ Zeitschrift ausgewählt? Mitnichten.

    Der Sachverhalt ist arbeitsrechtlich relevant. Ein wesentlicher Aspekt bildet das Verbot der Benachteiligung, etwa bezogen auf die Beschäftigungsbedingungen, die durch eine sexuelle Belästigung erreicht wird. So bestimmt § 3 IV AGG, „sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts“ sind diskriminierend. Regelmäßig kommen aufgrund eines Ereignisses die Versäumnisse der Unternehmen bei der Prävention auf. So auch hier. Aktuellen Berichten zufolge, u.a. der New York Times, haben Mitglieder des spanischen Frauenfußballteams eine Atmosphäre beschrieben, in der sie über Jahre hinweg viele (indirekte) Hinweise erlebten, dass sie als Frauen in den Augen der  Spitzenfunktionäre ihren Platz kennen sollten. Wieder ein typisches, überkommen geglaubtes, Stereotyp: Frauen haben nichts zu sagen, sondern nach der männlichen Pfeife zu tanzen. Henrik Ibsens „Nora“ lässt grüßen. Mehr als ein Dutzend im spanischen Fußball tätige Frauen berichteten von über einem Jahrzehnt systematischen Sexismus. Dieser äußerte sich durch Bevormundung und beiläufige Bemerkungen bis hin zu Beschimpfungen. Die Frauen berichteten von Kontrollen vor dem Schlafengehen und der Anweisung, ihre Hoteltüren nachts einen Spalt breit offen zu lassen. Leider bestätigen auch jüngere Entscheidungen solche Phänomene hierzulande (vgl. etwa LAG Köln Urt. v. 3.3.2023 – 6 Sa 385/21).

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  • Unbedingte Einkommensgrenze beim Elterngeld: unionsrechtswidrig

    Professorin Dr. Anne Christin Wietfeld, Universität Greifswald

    Heft 17/2023

    Foto der Autorin von NZA-Editorial Heft 17/2023, Anne Christin Wietfeld (Foto: Wally Pruß)
    (Foto: Wally Pruß)

    Das Bundesfamilienministerium hat für 2024 angekündigt die Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt, herabzusetzen. Dafür ist eine Änderung des § 1 VIII BEEG erforderlich. Die Vorschrift sieht bislang unterschiedliche Einkommensgrenzen für Alleinerziehende und für zwei anspruchsberechtigte Eltern vor. Künftig soll es nur noch eine einheitliche Einkommensgrenze in Höhe von 150.000 € geben. Das Ministerium übersieht bei den Änderungsplänen, dass das Unterschreiten einer Einkommensgrenze als generelle Voraussetzung für den Elterngeldbezug einen Verstoß gegen Art. 8 I, III iVm Art. 5 II der RL (EU) 2019/1158 (sog. Vereinbarkeitsrichtlinie) darstellt.

    Nach Art. 5 I iVm Art. 3 I lit. b Vereinb-RL muss das nationale Recht jeder Arbeitnehmerin und jedem Arbeitnehmer anlässlich der Geburt oder Adoption eines Kindes einen Anspruch auf mindestens vier Monate Elternurlaub gewähren. Hierbei handelt es sich um ein individuelles Recht. Um dies zu gewährleisten und zu fördern, dass Väter und Mütter gleichermaßen Elternurlaub in Anspruch nehmen, sind zwei dieser vier Monate gem. Art. 5 II Vereinb-RL nicht auf den jeweils anderen Elternteil übertragbar. Das nationale Recht muss nach Art. 8 I, III Vereinb-RL sicherstellen, dass sämtliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jedenfalls für den unübertragbaren Elternurlaubszeitraum von zwei Monaten eine Vergütung oder Bezahlung erhalten. Die Richtlinie lässt hiervon keine Ausnahmen zu. Die Mitgliedstaaten haben lediglich Umsetzungsspielräume bezogen auf die Art und den Umfang des finanziellen Ausgleichs. Die Einkommensgrenze im BEEG führt aber dazu, dass der Elterngeldanspruch für Eltern, die diese überschreiten, gänzlich entfällt und sie somit entgegen der Richtlinienvorgabe während der Elternzeit keine Vergütung oder Bezahlung erhalten.

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  • Beweiswert der AUB – Neue Spielregeln?

    Rechtsanwalt Professor Dr. Michael Fuhlrott, Hamburg

    Heft 16/2023

    Foto Autor NZA-Editorial 16/2023, Michael Fuhlrott, Hamburg

    Kein Lohn ohne Arbeit“ – dieses Grundprinzip des synallagmatischen Arbeitsverhältnisses ist in vielen Fällen aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes durchbrochen. Neben der fortbestehenden Vergütung an Feiertagen oder bezahlten Erholungsurlaubs ist der wesentliche Anwendungsfall die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 EFZG. Danach bekommt derjenige, der infolge Krankheit an der Erbringung der Arbeitsleistung unverschuldet verhindert ist, sein Entgelt sechs Wochen lang weitergezahlt. Macht ein erkrankter Arbeitnehmer den Anspruch geltend, muss er die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm darlegen und ggf. beweisen. Der Nachweis, dass man krank ist, geschieht regelmäßig durch Vorlage eines ärztlichen Attests, der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB). Deren besonderer Beweiswert ist gesetzlich anerkannt, was u.a. daran deutlich wird, dass § 7 EFZG dem Arbeitgeber ein Leistungsverweigerungsrecht bei der Bezahlung so lange einräumt, bis der Arbeitnehmer die AUB vorlegt.

    Will der Arbeitgeber dagegen vorgehen, muss er konkrete Anhaltspunkte vortragen, die den hohen Beweiswert der AUB erschüttern. 2021 modifizierte das BAG (NZA 2022, 39) seine bisherige Rechtsprechung und sah den Beweiswert bei Darlegung ernsthafter Zweifel als erschüttert an, was etwa bei Ausspruch einer Eigenkündigung bei gleichzeitiger Vorlage einer passgenau bis zum Beendigungstermin attestierten Arbeitsunfähigkeit der Fall sein sollte. Welche weiteren Konstellationen eine Erschütterung des Beweiswerts nach sich ziehen, wird seitdem kontrovers diskutiert (s. dazu Fuhlrott/Mai NZA 2022, 97). Zwischenzeitlich – so hört man aus der Arbeitsgerichtsbarkeit – ist das Anzweifeln der AUB insbesondere in Zusammenhang mit Kündigungsszenarien häufig Gegenstand arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen. Daher mussten sich auch jüngst das LAG Niedersachsen (NZA-RR 2023, 285) und das LAG Schleswig-Holstein (BeckRS 2023, 14720 mit Besprechung Fuhlrott NZA-RR 2023, 447) mit dieser Fragestellung beschäftigen. Die Kammern stellten dabei fest, dass eine Erschütterung des Beweiswerts auch bei einer auf eine Arbeitgeberkündigung unmittelbar folgende Arbeitsunfähigkeit möglich sei bzw. der Text des Kündigungsschreibens und das weitere Verhalten des Arbeitnehmers selbst bei Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht zur Beweiserschütterung führen können. 

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  • Datenschutz ist kein Tatenschutz!

    Rechtsanwalt Dr. Philipp Byers, Dentons, München

    Heft 15/2023

    Foto Autor Editorial NZA 15/2023, Philipp ByersBislang gibt es kaum Rechtsprechung, die sich mit der Zulässigkeit von Mitarbeiterkontrollen seit Geltung der DS-GVO auseinandergesetzt hat. Daher wurde mit Spannung das aktuelle BAG-Urteil zur Thematik „Beweisverwertung bei Videoüberwachung“ erwartet (BAG 29.6.2023 – 2 AZR 296/22, PM 31/32, NZA-aktuell Heft 13/2023, S. VI). Das BAG hat entschieden, dass Aufnahmen aus einer offenen Videoüberwachung – auch wenn sie den datenschutzrechtlichen Vorgaben nicht entsprechen – als Beweismittel herangezogen werden dürfen, um Fehlverhalten eines Mitarbeiters zu beweisen. 

    Dies hatte das LAG Niedersachen als Vorinstanz noch anders gesehen (LAG Niedersachsen 6.7.2022 – 8 Sa 1148/20, NZA-RR 2022, 632): Danach durften die Aufzeichnungen, die einen Arbeitszeitbetrug belegen sollten, nicht verwertet werden. Die Überwachung habe gegen datenschutzrechtliche Vorschriften verstoßen, da die festgelegte Aufnahmespeicherdauer von 96 Stunden überschritten worden sei. Zudem habe eine Betriebsvereinbarung geregelt, dass die Aufzeichnungen nicht zur Auswertung personenbezogener Daten verwendet werden dürfen. Das LAG Niedersachsen bejahte daher ein Beweisverwertungsverbot, das zur Unwirksamkeit der Kündigung führte. Das BAG erteilte der Vorinstanz eine klare Absage und setzte seine bisherige Rechtsprechung fort. Schon vor Geltung der DS-GVO hatte das BAG verdeutlicht, dass „Datenschutz kein Tatenschutz“ ist und Beweisverwertungsverbote nur bei gravierenden Datenschutzverstößen in Betracht kommen (BAG 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, NZA 2018, 1329). Auch Verletzungen gegen die betriebliche Mitbestimmung führten nach dem BAG bisher nicht zu einem Verwertungsverbot (BAG 13.12.2007 – 2 AZR 536/06, NZA 2008, 1008). Für ein Beweisverwertungsverbot war es vielmehr erforderlich, dass unverhältnismäßig in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingegriffen wurde (BAG 20.6.2013 – 2 AZR 546/12, NZA 2014, 143). An dieser Linie hält das BAG auch nach Inkrafttreten der DS-GVO fest. Danach wird weiterhin ein Verwertungsverbot nur bei unverhältnismäßigen Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht in Betracht kommen. Letztlich wird hier aber der EuGH wohl das letzte Wort haben.

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  • Beitragspflicht selbst bei 50%iger GmbH-Beteiligung

    Vors. Richter am Bayer. LSG Stephan Rittweger, München

    Heft 14/2023

    Autor NZA Editorial Heft 14/2023, Stephan RittwegerDer Beitragspflicht von GmbH-Gesellschaftern, die nicht Geschäftsführer sind, hat das BSG aktuell ein bedeutsames Element hinzugefügt. Beiträge sind auch für in ihrer GmbH tätige Gesellschafter abzuführen, die einen Stimmanteil von 50 % halten – so das BSG. Dies gilt selbst dann, wenn die Gesellschafter Gewinnbeteiligungen und Tantiemen erhalten, Bürgschaften und Darlehen geleistet haben oder gar faktisch gleichberechtigt mit sowie unbehelligt von den Geschäftsführern über das Wirtschaften der Gesellschaft entschieden haben. Auch wenn das Urteil vom 13.12.2022 (B 12 KR 16/20 R, BeckRS 2022, 37896 = NZA 2023, 910 Ls., in diesem Heft) zu einer Holzhandlung und dort zu Vertrieb und Logistik ergangen ist – die Entscheidung gilt für alle GmbHs, also auch für Freiberufler-GmbHs und damit auch alle Anwalts-GmbHs. 

    Blickt man zurück auf die BSG-Rechtsprechung zur Versicherungspflicht von GmbH-Gesellschaftern und -Minderheitsgeschäftsführern, dann sticht folgende Entwicklung ins Auge: Vor zwanzig Jahren hatte eine gelebte, faktische Weisungsfreiheit, zB wegen familiärer Bindungen, Versicherungsfreiheit zur Folge. Das hatten auch die Sozialversicherungsträger so wiedergegeben. Von dieser Position ist das BSG im Jahr 2012 abgerückt. Eine – nach den Angaben der Beteiligten – gelebte, faktische Weisungsfreiheit steht seither nicht über einer gesellschaftsrechtlich bestimmten und handelsregisterlich dokumentierten Rechtsmacht in der GmbH. 

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  • „TimePartner“-Urteil des BAG: Rechtssicherheit statt Zeitenwende

    Rechtsanwalt Professor Dr. Mark Lembke, LL.M. (Cornell), Greenfort, Frankfurt a. M.

    Heft 13/2023

    Autor NZA Editorial Heft 13/2023, Mark LembkeNachdem der EuGH am 15.12.2022 (NZA 2023, 31) in Sachen „TimePartner“ über die BAG-Vorlage vom 16.12.2020 (NZA 2020, 642) entschieden hatte, richteten sich am 31.5.2023 bange Blicke in Richtung Erfurt. Würde den vom Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 5 I LeiharbeitsRL, § 8 I AÜG) abweichenden Zeitarbeits-Tarifverträgen der DGB-Tarifgemeinschaft ein Unwirksamkeitsverdikt drohen wie ehemals den CGZP-Tarifverträgen? Droht ein „CGZP-Déja-vu“, fragte Hamann pointiert (NZA-Editorial 22/2022).

    Im Kern ging es um die Frage, ob die (Zeitarbeits-)TVe das in Art. 5 III RL niedergelegte Gebot der „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ befolgen müssen. Sie ging zurück auf die sog. Däubler-Kampagne mit dem Ziel: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ auch in der Leiharbeit. Der EuGH entschied: Lassen die Sozialpartner durch einen TV Ungleichbehandlungen für die Dauer der Überlassung in Bezug auf wesentliche Arbeitsbedingungen zum Nachteil von Leiharbeitnehmern zu, muss dieser TV zur Achtung des Gesamtschutzes der betroffenen Leiharbeitnehmer ihnen Vorteile in Bezug auf wesentliche Arbeitsbedingungen gewähren, die geeignet sind, ihre Ungleichbehandlung auszugleichen. Däubler (NZA 2023, 73) stellte daraufhin fest, die heutigen Leiharbeitstarife seien nicht mehr in der Lage, den Gleichstellungsgrundsatz zu verdrängen, weil es an einer Kompensation für die Nachteile fehle. Vorsorglich versah er seine Prognose („Ende der Leiharbeitstarifverträge“) aber mit einem Fragezeichen. Nun ist das Gegenteil eingetreten (BAG 31.5.2023 – 5 AZR 143/19, NZA-aktuell H. 11/2023, S. VII):

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  • Kurskorrektur bei arbeitsgerichtlicher Videoverhandlung

    Präsident des LAG Baden-Württemberg a. D. Professor Dr. Johannes Peter Francken, Freiburg

    Heft 12/2023

    Autor NZA Editorial Heft 12/2023, Johannes Peter Francken

    Die Videoverhandlung ergänzt das arbeitsgerichtliche Verfahrensangebot. In Kammerterminen und Senatssitzungen gehören dem Spruchkörper auch ehrenamtliche Richter/innen an, die ihre Sachkunde, Erfahrung und Kenntnis der betrieblichen Praxis in das Gerichtsverfahren einbringen. Hierbei hat der Unmittelbarkeitsgrundsatz eine besondere Bedeutung. Die wechselseitige und unmittelbare Kommunikation zwischen Berufsrichter/innen und ehrenamtlichen Richter/innen muss jederzeit gewährleistet sein und ist bei körperlicher Präsenz an der Gerichtsstelle am besten gewährleistet. Die Wiedergabe der Komplexität der mündlichen Verhandlung kann für einen sich an verschiedenen Orten aufhaltenden Spruchkörper nur mit Abstrichen von Videokonferenzsystemen geleistet werden und beeinträchtigt damit den Unmittelbarkeitsgrundsatz nebst Entscheidungsfindung. 

    Das hat die Bundesregierung jetzt doch noch in ihrem Gesetzentwurf vom 26.5.2023 zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten berücksichtigt und für das arbeitsgerichtliche Verfahren eine gesonderte Regelung in § 50a ArbGG-E getroffen (BR-Drs. 228/23). Hingegen hatte es im Referentenentwurf vom 23.11.2022 in § 128a IV ZPO, der auch für das arbeitsgerichtliche Verfahren gelten sollte, noch geheißen: Der Vorsitzende kann den Mitgliedern des Spruchkörpers gestatten, sich an anderen Orten als dem Sitzungszimmer aufzuhalten und an der mündlichen Verhandlung per Bild- und Tonübertragung teilzunehmen. Hiergegen regte sich zu Recht in selten gegebener Einstimmigkeit erheblicher Widerstand bei Verbänden und Arbeitsgerichtsbarkeit. BDA, BRAK, DGB, Verdi, Deutscher Richterbund, Deutscher Arbeitsgerichtsverband, Bund der Richter/innen der Arbeitsgerichtsbarkeit und die 83. und 84. Konferenz der BAG-Präsidentin und der LAG-Präsident/innen äußerten massive Bedenken (s. auch Bader NZA-Editorial Heft 2/2023; Francken NZA 2022, 1225; Heimann NZA-aktuell Heft 1/2023, S. VIII; Natter NZA-Beilage 2022, 37 (42)).

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  • Massenentlassungen: Rolle rückwärts oder falscher Alarm?

    Rechtsanwalt Dr. Sebastian Naber, NEUWERK, Hamburg

    Heft 11/2023

    Autor NZA Editorial Heft 11/2023, Sebastian NaberDie nicht eben eintönige Geschichte des Massenentlassungsrechts ist um ein Kapitel reicher: Der 6. Senat des BAG setzt am 11.5.2023 mehrere Verfahren aus (Az.: 6 AZR 157/22 (A), PM, s. NZA aktuell, H. 10/2023, S. VI). Was steckt dahinter?

    Am 30.3.2023 lässt Generalanwalt Pikamäe mit einem Schlussantrag zu einer vergleichsweise unspektakulären Vorlage aufhorchen: Der 6. Senat möchte eigentlich nur geklärt wissen, ob ein Verstoß gegen § 17 III 1 KSchG europarechtlich zur Nichtigkeit der Kündigung führt (BAG Vorlagebeschl. v. 27.1.2022 – 6 AZR 155/21 (A), NZA 2022, 491). Generalanwalt Pikamäe nutzt seinen Schlussantrag indes für grundlegende Ausführungen zur Massenentlassungs-RL: Diese weisen weit über die Vorlagefrage hinaus, u.a. lässt sich ihnen eine „doppelte“ Pflicht zur Information/Anzeige gegenüber der Agentur für Arbeit entnehmen. Vor allem führt der Generalanwalt zur möglichen Nichtigkeit von Kündigungen in Rn. 53 aus, dass „der kollektive Charakter implizieren [dürfte], (…), dass die Arbeitnehmervertreter die Möglichkeit haben, Maßnahmen zu ergreifen, um überprüfen zu lassen, ob der Arbeitgeber die in diesem Artikel vorgesehene Pflicht einhält.“ Ergänzende Vorschriften stünden im Ermessen der Mitgliedstaaten, wie es etwa Arbeitnehmern zu gestatten, sich „auf die Folgen des Verstoßes (…) für die Auflösung des Arbeitsvertrags zu berufen“ (Schlussantrag v. 30.3.2023 – C-134/22, BeckRS 2023, 5798).

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  • Es gibt nur einen – EuGH legt DS-GVO verbindlich aus!

    Geschäftsführender Direktor Institut wida, LfDI Baden-Württemberg aD Dr. Stefan Brink, Berlin

    Heft 10/2023

    Autor NZA-Editorial 10/2023, Stefan Brink

    Der Beschäftigten-Datenschutz ist in aller Munde: Arbeitnehmer richten unliebsame Auskunftsanträge nach Art. 15 DS-GVO an ihren Arbeitgeber, der wegen der knappen Antwortfristen und des kaum fassbaren Anspruchsumfangs (inkl. Mail-Kommunikation der vergangenen Jahre, Back-Ups, Logfiles und Surf-Protokollen) ins Schwitzen gerät. Dass es hier (und an vielen anderen Stellen der sehr betroffenenfreundlichen DS-GVO) zu Rechtsverstößen des Arbeitgebers kommt, ist naheliegend. Doppelt unschön also, dass die Verordnung nicht nur anspruchsvolle Regeln setzt, sondern deren Verletzung zugleich hart ahndet – sei es in Gestalt eines Bußgeldes der Datenschutz-Aufsichtsbehörde in Millionenhöhe, sei es durch die Zuerkennung von Schadenersatzansprüchen der in ihren Rechten Verletzten.

    Genau an dieser Stelle taten sich besonders die deutschen Arbeits- und Zivilgerichte schwer, einen (immateriellen) Schaden bei den Betroffenen (an) zu erkennen: Man schaute verwundert auf die steigende Zahl der Auskunftsklagen, häufig auch im Verbund mit Kündigungsschutzklagen, und schwankte zwischen der munteren Zuerkennung von Schadenersatzansprüchen (ja, laut DS-GVO hat da das Fugen-S zu fehlen) in Höhe von im Schnitt 1.500 EUR wegen verspäteter oder unvollständiger Auskunft und sich anschließender Sorgen des Beschäftigten, ob seine personenbezogenen Daten denn nun beim Arbeitgeber in guten Händen seien und der missmutigen Abweisung nach dem Motto: „Besorgnis wegen fehlerhafter Behandlung von persönlichen Daten? Habt Euch nicht so, das sind doch reine Bagatellen!“ Letzteres hatte zudem den sicherlich völlig unmaßgeblichen Vorteil für das entscheidende Gericht, dass man nicht allzu tief in die Materie einsteigen musste und das Vorliegen eines Verstoßes gegen die DS-GVO getrost „offen lassen“ konnte. Dass die Figur „Bagatellschaden“ dabei nicht etwa dem geltenden europäischen Recht, sondern der eigenen Rechtsprechungstradition zur Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts entliehen wurde, scherte da wenig, bis der EuGH kam. 

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  • Arbeitszeiterfassung – Der Elefant im Raum

    Professor Dr. Daniel Ulber, Halle (Saale)

    Heft 9/2023

    Autor NZA-Editorial Heft 9/2023, Daniel UlberNunmehr liegt der langerwartete Entwurf des BMAS für eine Novelle des Arbeitszeitgesetzes vor. Er regelt die vom EuGH (14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683) aus der Arbeitszeitrichtlinie abgeleitete Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Nachdem das BAG (13.9.2022 – 1 ABR 22/21, NZA 2022, 1616) § 3 I Nr. 1 ArbSchG bereits jetzt eine entsprechende Pflicht entnimmt, war das überfällig, da viele Einzelfragen ungeklärt blieben. Während das BAG wohl in erster Linie im Blick hatte, den Betriebsparteien Beinfreiheit zu verschaffen, nahm das BMAS nunmehr im Sinne von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit das Heft in die Hand. Der Referentenentwurf hält sich – was beim ArbZG überrascht – an die unionsrechtlichen Vorgaben. Ziel ist, dass die Schutzvorschriften von Richtlinie und ArbZG möglichst eingehalten werden. Das hat dem Entwurf viel unqualifizierte und polemische Kritik eingebracht. Dabei lassen die unionsrechtlichen Vorgaben und die (restriktive) Rechtsprechung des EuGH dem Gesetzgeber wenig Spielraum (s. auch Greiner/Kalle, NZA 2023, 547, in diesem Heft). Dem BMAS muss man vielmehr attestieren, dass es solide gearbeitet hat. Das dürfte auch der eigentliche Anlass für die vielfach geübte Kritik sein. Schlupflöcher beinhaltet das Gesetz nicht und verlangt richtigerweise im Grundsatz eine elektronische Erfassung. Wer Vertrauensarbeitszeit bislang so organisiert hatte, dass sie gegen das ArbZG verstößt, läuft nun Gefahr, entdeckt zu werden. Für alle anderen reicht eine App für 6 bis 8 EUR, um die Arbeitszeit durch Dritte erfassen zu lassen. Da kann man die unionsrechtswidrigen Abweichungsbefugnisse für die Tarifvertragsparteien durchaus verschmerzen.

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  • Beschäftigtendatenschutz ohne nationale Rechtsgrundlage?

    Rechtsanwalt Professor Dr. Michael Fuhlrott, Hamburg

    Heft 8/2023

    Autor NZA-Editorial Heft 8/2023, Michael Fuhlrott

    Die DS-GVO regelt den Beschäftigtendatenschutz nur rudimentär. Vielmehr überlässt die Öffnungsklausel in Art. 88 I DS-GVO den Mitgliedsstaaten weiten Gestaltungsspielraum, die „durch Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarungen spezifischere Vorschriften … hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext … vorsehen“ können. Mit § 26 BDSG hat der deutsche Gesetzgeber eine derartige Rechtsgrundlage geschaffen (so BAG 7.5.2019 – 1 ABR 53/17, NZA 2019, 1218); über diese Norm werden bei Fehlen entsprechender Betriebsvereinbarungen nahezu sämtliche Datenverarbeitungen im Arbeitsrecht gerechtfertigt. Und: Da jede Verarbeitung personenbezogener Daten einer Rechtfertigung bedarf, kommt dieser Norm besonderes Gewicht zu.

    Ein aktuelles Urteil des EuGH (v. 30.3.2023 – C-34/21NZA 2023, 487, in diesem Heft) bringt diese Grundsätze nun ins Wanken: Ausgangspunkt war die Frage, ob Online-Unterricht per Video einer Einwilligung der Lehrkraft bedarf, was das Land Hessen unter Berufung auf die landesgesetzliche Rechtsnorm, konkret auf § 23 Hessisches Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetz (HDSIG) verneint hatte. Diese Norm entspricht in Absatz 1 – nahezu wörtlich – den Vorgaben von § 26 I BDSG. Bei Gesetzeseinführung stützte sich der hessische Gesetzgeber auch auf die Öffnungsklausel in Art. 88 DS-GVO (Begründung HDSIG, Hess. Landtag, Drs. 19/5728, S. 108). Der EuGH sieht in einer nationalen Rechtsvorschrift aber keine „spezifischere Vorschrift“ iSv Art. 88 I DSGVO, wenn diese nicht „geeignete und besondere Maßnahmen zur Wahrung der menschlichen Würde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Person“ (Rn. 65 a. E.) beinhalte, wie es Art. 88 II DS-GVO verlange. Denn damit werde der Regelungsspielraum der Nationalstaaten begrenzt, um Harmonisierungsbrüche im Beschäftigtendatenschutz zu vermeiden.

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