Heft 16/2023
„Kein Lohn ohne Arbeit“ – dieses Grundprinzip des synallagmatischen Arbeitsverhältnisses ist in vielen Fällen aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes durchbrochen. Neben der fortbestehenden Vergütung an Feiertagen oder bezahlten Erholungsurlaubs ist der wesentliche Anwendungsfall die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 EFZG. Danach bekommt derjenige, der infolge Krankheit an der Erbringung der Arbeitsleistung unverschuldet verhindert ist, sein Entgelt sechs Wochen lang weitergezahlt. Macht ein erkrankter Arbeitnehmer den Anspruch geltend, muss er die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm darlegen und ggf. beweisen. Der Nachweis, dass man krank ist, geschieht regelmäßig durch Vorlage eines ärztlichen Attests, der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB). Deren besonderer Beweiswert ist gesetzlich anerkannt, was u.a. daran deutlich wird, dass § 7 EFZG dem Arbeitgeber ein Leistungsverweigerungsrecht bei der Bezahlung so lange einräumt, bis der Arbeitnehmer die AUB vorlegt.
Will der Arbeitgeber dagegen vorgehen, muss er konkrete Anhaltspunkte vortragen, die den hohen Beweiswert der AUB erschüttern. 2021 modifizierte das BAG (NZA 2022, 39) seine bisherige Rechtsprechung und sah den Beweiswert bei Darlegung ernsthafter Zweifel als erschüttert an, was etwa bei Ausspruch einer Eigenkündigung bei gleichzeitiger Vorlage einer passgenau bis zum Beendigungstermin attestierten Arbeitsunfähigkeit der Fall sein sollte. Welche weiteren Konstellationen eine Erschütterung des Beweiswerts nach sich ziehen, wird seitdem kontrovers diskutiert (s. dazu Fuhlrott/Mai NZA 2022, 97). Zwischenzeitlich – so hört man aus der Arbeitsgerichtsbarkeit – ist das Anzweifeln der AUB insbesondere in Zusammenhang mit Kündigungsszenarien häufig Gegenstand arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen. Daher mussten sich auch jüngst das LAG Niedersachsen (NZA-RR 2023, 285) und das LAG Schleswig-Holstein (BeckRS 2023, 14720 mit Besprechung Fuhlrott NZA-RR 2023, 447) mit dieser Fragestellung beschäftigen. Die Kammern stellten dabei fest, dass eine Erschütterung des Beweiswerts auch bei einer auf eine Arbeitgeberkündigung unmittelbar folgende Arbeitsunfähigkeit möglich sei bzw. der Text des Kündigungsschreibens und das weitere Verhalten des Arbeitnehmers selbst bei Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht zur Beweiserschütterung führen können.